Postkarte kommt nach 30 Jahren bei Münchnerin (81) an

An Fasching kommt in Aubing eine Postkarte an, die 1988 in der DDR geschrieben wurde. Die Absender: längst verstorben, der Adressat auch, ein Münchner Postbeamter. Wo war die Karte all die Jahre? Eine Spurensuche.
Irene Kleber |
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Postfach 43: Hier kam die Karte am Faschingssamstag an.
iko 3 Postfach 43: Hier kam die Karte am Faschingssamstag an.
Geschrieben an 29.8.88 – so hat es Tante Martina oben auf der Postkarte in Stralsund notiert.
Sigi Müller 3 Geschrieben an 29.8.88 – so hat es Tante Martina oben auf der Postkarte in Stralsund notiert.
Einen normalen Postkasten am Gartentor gibt es aber auch.
Sigi Müller 3 Einen normalen Postkasten am Gartentor gibt es aber auch.

München - Es gibt Geschichten, die gibt es gar nicht, denkt man, oder jedenfalls nur anderswo, aber nicht vor der eigenen Tür.

Aber es gibt sie doch. Als die 81-jährige Barbara Mahnkopf am Faschingssamstag in der Aubing Postfiliale im Edeka ihr Postfach Nummer 43 aufsperrt, quillt ihr erst mal ein übliches Sammelsurium an Innenleben entgegen. Zeitungen, Prospekte, ein Bestellpackerl eines Versandhändlers.

Dann blitzt eine Karte heraus mit Fotos von Fachwerkhäusern, Plattenbauten, Dünen, auch ein Trabbi ist zu sehen. "Stralsund", steht unter den Fotos. Sie rätselt nachdenklich, welcher ihrer Freunde wohl gerade an der Ostsee Urlaub macht. Und dreht die Karte um.

Postfach 43: Hier kam die Karte am Faschingssamstag an.
Postfach 43: Hier kam die Karte am Faschingssamstag an. © iko

Dann muss sie sich an die gelbe Postfachwand lehnen, für einen Moment. Eine feine, alte Handschrift ziert die linke Seite. Oben rechts: drei tannengrüne DDR-Marken. Die Postkarte ist adressiert an Dieter Mahnkopf. Ihren Ehemann. Ihr Dieter lebt nicht mehr, er ist vor einem Jahr gestorben.

Ihr Blick wandert nach unten. "Deine (...) Tante Martina und Lisa", steht dort. Tante Martina? Sie ist Jahrgang 1899, wäre also heuer 120 Jahre alt geworden. Eine liebe Begleiterin ihrer jungen Jahre, die gern mit ihrer Schwester an die Ostsee gefahren ist. Dann sieht Barbara Mahnkopf das Datum, das oben auf der Urlaubskarte steht. 29. August 1988.

14 Monate vor dem Mauerfall. Da waren die Mahnkopfs, die spät geheiratet haben, erst frisch verliebt. Und jetzt kommt die Karte an, nach über 30 Jahren?

Geschrieben an 29.8.88 – so hat es Tante Martina oben auf der Postkarte in Stralsund notiert.
Geschrieben an 29.8.88 – so hat es Tante Martina oben auf der Postkarte in Stralsund notiert. © Sigi Müller

"Ich musste erst mal heimgehen und einen Likör trinken", sagt die ältere Dame, als die AZ sie zuhause besucht. Daheim – das ist ein Haus nur ein paar Schritte von der Postfiliale entfernt. Eine weißblaue Tischdecke bedeckt den Küchentisch, an der Wand hängt eine Sammlung Bierkrüge, im Schwedenofen prasselt ein Feuer.

Ihr Mann Dieter lächelt von einem Foto, das auf dem Tisch an einer Blumenvase lehnt. "Dass die Karte meinen Dieter nicht mehr erreicht hat, das ist traurig", sagt seine Frau. "Das wäre ein Hallo gewesen." Nicht nur, weil es sich über einen letzten Gruß der beiden alten Damen riesig gefreut hätte.

Man muss wissen, dass Dieter ein Münchner Postbeamter gewesen ist. Zahllose Straßen, Hausnummern, Namen habe er aus dem Effeff gekannt und sich und seiner Post Fehler nicht gerne zugestanden.

Von jeder Reise eine Urlaubskarte – als Test

Barbara Mahnkopf steht auf und zeigt auf die Wand, an der acht Fotos eingerahmt hängen. Dieter mit ihr auf Reisen in Italien. Beide in den Alpen, am Nordkap, in Südafrika. Nur Wochen vor seinem Tod sind sie noch auf Kreuzfahrt gewesen.

"Mein Dieter", sagt sie, "hat von jeder Reise eine Postkarte zu uns nach Hause geschickt, damit er nachprüfen kann, ob sie auch ankommt." Nur einmal sei er unzufrieden gewesen. "Sizilien hat den Test nicht bestanden, die Karte aus dem Postwurfkasten eines Luxushotels ist nie angekommen, das fand er unerhört."

Was hätte er also gesagt zu dieser Karte aus der Vergangenheit? Beschriftet war sie ja korrekt, mit Straße, Hausnummer und der alten Postleitzahl 8000 München 60. Sie hatte keinen Knick, kein Eselsohr, nicht mal eine verblasste Schrift. "Der Dieter wäre damit sofort zur Oberpostdirektion gerannt, hätte aufgeklärt, wo die Karte hängengeblieben ist."

Einen normalen Postkasten am Gartentor gibt es aber auch.
Einen normalen Postkasten am Gartentor gibt es aber auch. © Sigi Müller

Die AZ hat es immerhin versucht. Mit einer Anfrage in der Ermittlungsstelle des Briefzentrums, bei den Post-Detektiven also, bei denen alle Briefe landen, deren Adresse falsch, unleserlich oder sonstwie kryptisch ist. Die Antwort lässt Barbara Mahnkopf ratlos zurück: "Es konnte sich leider keine Kollegin und kein Kollege an die Bearbeitung dieser Karte erinnern", meldet die Post zurück. Das sei auch nicht verwunderlich, schließlich laufen dort wöchentlich tausende rätselhafter Briefe auf.

Auch in der Postfiliale in Aubing weiß niemand etwas. Und über Tante Martinas letzten Wohnsitz in Dresden ist auch nichts herauszubekommen. Sie ist 1992 gestorben, Verwandte gibt es dort keine mehr. Ob die Tanten im Stralsund-Urlaub die Karte gar nicht abgeschickt, sondern vielleicht dort vergessen haben? Aber wer hat sie dann wo gefunden und warum jetzt? Ist sie vielleicht in einem DDR-Archiv gelandet, das nun jemand geöffnet hat? Oder haben Martina und Lisa die Karte nach der Kur mit nach Dresden genommen, wo sie auf einem Dachboden lag, der jetzt erst entrümpelt worden ist?

Möglich wär's. "Bei Umzügen und Haushaltsauflösungen kommen hin und wieder Postkarten erneut in Umlauf", sagt die Post. "Nicht völlig auszuschließen ist aber auch, dass beim Umbau einer unserer Betriebsstellen die Postkarte entdeckt und auf den Weg gebracht wurde."

Nun, vielleicht war es so. Vielleicht aber auch ganz anders. Frau Mahnkopf wüsste es halt gern.


Skurriles von der Post: Versehen oder Scherze

Immer wieder mal tauchen Postkarten (aber nie Briefe), die vor Jahrzehnten abgestempelt wurden, im aktuellen Sendungsstrom der Post auf. Wie sie in die Post gekommen sind, lasse sich aber nur ganz selten herausfinden, erklärt die Post auf AZ-Anfrage.

"In den wenigen Fällen, die bisher aufgeklärt werden konnten, stellte sich heraus, dass die Sendungen schon einmal befördert worden waren – und einfach erneut in einen Post-Briefkasten eingeworfen wurden. Sei es aus Versehen oder weil sich jemand einen Scherz erlaubt hat."

Immer gilt: Sendungen mit zustellfähigen Anschriften werden auch zugestellt. "Denn eine Postkarte ist auch nach vielen Jahren noch eine Sendung, die der Post zur Übermittlung anvertraut wurde und die wir zustellen, egal wie lange (oder wie oft) sie auch unterwegs war."

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