Postbote Günther Brummer: Manche lassen sich sogar Sommerreifen liefern

Acht bis neun Millionen Pakete werden derzeit pro Werktag in Deutschland ausgefahren – fast so viele wie kurz vor Weihnachten. Ein Zusteller berichtet.
von  Nina Job
Günther Brummer legt ein Paket ab.
Günther Brummer legt ein Paket ab. © Annette Davidson/Deutsche Post

Acht bis neun Millionen Pakete werden derzeit pro Werktag in Deutschland ausgefahren – fast so viele wie kurz vor Weihnachten. Ein Zusteller berichtet.

München - Der 51-jährige Günther Brummer ist einer von mehr als 640 radelnden Postboten in München und dem Landkreis. Sie sind bei Wind und Wetter unterwegs. Und haben schon seit Wochen alle Hände voll zu tun: die Postboten. Neben der Paketflut durch viele Internetbestellungen hat die neue Zeit auch überraschende Aspekte. Günther Brummer, seit 28 Jahren dabei, erzählt, wie er seine Kunden jetzt erlebt.

AZ: Herr Brummer, haben Sie sehr viel mehr zu tun als vor Corona?
GÜNTHER BRUMMER: Jetzt ist beinahe so viel wie kurz vor Weihnachten. Die Ausgangsbeschränkungen kamen ja doch sehr überraschend, von einem Tag auf den anderen. Die Leute bestellen nun auch viele Dinge des Alltags im Internet, die sie sich vorher nicht bestellt hätten.

"Zehn Säcke Blumenerde, ein Satz Sommerreifen: Dann sind wir baff!"

Was zum Beispiel?
Alles Mögliche! Kollegen haben mir erzählt, dass einer zehn Säcke Blumenerde bestellt hat. Ein anderer Kunde hat sich sogar einen Satz Sommerreifen per Post liefern lassen. Da waren wir schon baff.

Das würden Sie mit Ihrem E-Bike trotz Anhänger aber nicht schaffen, oder?
Nein, ich transportiere nicht die Riesenschachteln. Meine Sendungen sind höchstens 15 Zentimeter hoch, aber auch schon mal richtig schwer.

Wie viele Sendungen bringen Sie so an den Mann oder die Frau?
Zur Zeit stelle ich etwa 1200 Briefe und Postkarten zu. Dazu kommen noch 20 bis 30 Päckchen jeden Tag. Meine Kollegen, die ausschließlich Pakete liefern, schaffen so 180 bis 220 Pakete am Tag.

Günther Brummer legt ein Paket ab.
Günther Brummer legt ein Paket ab. © Annette Davidson/Deutsche Post

"Bekomme viel mehr Wertschätzung"

Wie hat sich Ihre Arbeit verändert seit Corona?
Vorher konnte man seine Sendungen oft sehr schlecht an den Mann bringen. Jetzt sind fast alle zu Hause. Und dafür, dass es eine Krise ist, sind die Menschen sehr, sehr freundlich. Ich bekomme viel mehr Wertschätzung. Dafür, dass ich nur der Briefträger bin, hat sich sehr viel geändert in letzter Zeit.

Wie haben sich Ihre Arbeitsabläufe geändert?
Wir beginnen jetzt morgens in zwei Schichten, damit wir den Zwei-Meter-Abstand zueinander einhalten können. Beim Kunden gibt es keinen direkten Kontakt mehr: Er öffnet die Tür und wir vermerken ein Q für Quarantäne, so muss er nicht unterschreiben. Zwischendurch desinfizieren wir uns ständig die Hände und waschen sie auch, so oft es geht.

"Früher war ich Schreiner"

Auch Kinder kommen ja jetzt viel weniger raus. Sie werden sicher manchmal sehnlichst erwartet, oder?
Oh ja! Ein Mädchen hat jeden Tag an der Tür auf mich gewartet, weil ihre Oma aus Hamburg ein Päckchen zum Geburtstag geschickt hatte. Zur Zeit schaffen wir es nicht immer, ein Paket innerhalb von zwei Tagen zu liefern. Das schafft keiner – auch nicht unsere Konkurrenz! Als das Päckchen dann kam für die kleine Maus, war es mit Herzen und Blumen verziert. Sie ist gleich in ihr Zimmer gelaufen damit.

War Postbote Ihr Wunschberuf?
Zuerst nicht. Ich bin ein Seiteneinsteiger. Früher war ich Schreiner. Aber ich musste meinen Beruf aufgeben, weil ich sehr allergisch gegen Holzstaub war. Damals hat man viele afrikanische Hölzer verarbeitet, dieser Staub drang bis in die hinterste Ritze der Lunge. Ich wollte damals eigentlich nur mal einen Sommer als Zusteller arbeiten. Daraus sind 28 Jahre geworden.

Was mögen Sie an Ihrem Beruf?
Das Beste ist die Selbstständigkeit. Man hat keinen Chef im Nacken sitzen, ich muss mich nur an meinen Tourplan halten. Wenn ich mal zwischendurch am Gartenzaun ratschen will, mache ich das. In einem Hochregallager zu arbeiten, wäre nichts für mich! Ich kenne die Leute in meinem Viertel, ich sehe die Kinder aufwachsen, das mag ich. Viele Ältere warten direkt auf mich. Da spricht man dann schon mal zwei, drei Minuten miteinander.

"Einmal habe ich einen Toten gefunden"

Haben Sie auch mal etwas richtig Unangenehmes erlebt in den 28 Jahren?
Einmal habe ich bei einem Kunden geläutet und er machte nicht auf. Deshalb bin ich über den Garten rein, um das Paket am Wunschort auf seiner Terrasse zu deponieren. Da habe ich gesehen, dass er amourös beschäftigt war. Das war mir extrem unangenehm! So schnell, wie ich dort war, war ich auch wieder weg.

Sind Sie mal zu einer Wohnung oder einem Haus gekommen und haben bemerkt, dass der Bewohner Hilfe braucht?
Ja, das ist aber schon über zehn Jahre her. Ich hörte eine ältere Frau um Hilfe rufen. Sie war gestürzt, die Tür stand offen. Sie hatte zwar einen Hausnotruf um den Hals hängen, aber sie kam nicht zurecht damit. Ich bin dann zu ihr und habe über diesen Hausnotruf die Johanniter gerufen. Leider ist die Frau danach nicht mehr zurückgekommen. Sie musste ins Heim.

Haben Sie auch schon mal einen Toten gefunden?
Ja, einen Kollegen. Er war extrem zuverlässig, ich habe nie wieder so einen korrekten Menschen kennengelernt. Sein Vater war bei der Bundeswehr gewesen, er hatte das von ihm übernommen. Dieser Kollege hat immer zu mir gesagt: 'Günther, wenn ich mal in der Früh nicht da bin, bin ich gestorben.' Dann erschien er eines Morgens nicht und ich bin zu ihm gefahren. Er lag in seinen Postklamotten hinter der Tür. Es konnte ihm leider niemand mehr helfen.

Brummer wurde von einem Dackel gebissen

Wenn Sie sich etwas wünschen könnten für Ihre Arbeit, was wäre das?
Ich würde mir wünschen, dass mehr Kunden einen Wunschort vereinbaren würden, wo man das Paket hinterlassen kann, wenn sie nicht zu Hause sind. Also zum Beispiel im Gartenhäusl oder bei einem bestimmten Nachbarn. Das würde meine Arbeit unglaublich erleichtern – und für die Kunden wäre es auch viel besser. Wir wollen die Pakete ja zustellen und nicht, dass die Leute extra in eine Postfiliale müssen.

Und eine Frage muss ich Ihnen noch stellen, die Sie vermutlich oft hören: Sind Sie schon mal gebissen worden?
Ein Mal. Von einem Dackel. Ich hatte den vorher gar nicht gesehen. Als ich schon am Gehen war, ist er angeschossen gekommen und hat mir in die Wadl gebissen. Meine Hose war zerrissen. Aber das war das einzige Mal. Meine Erfahrung ist: Man darf keine Angst zeigen.

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