Polizeigeschichte: Münchner Dreigroschenoper

München - Eine der schillerndsten Figuren der Münchner Nachkriegsgeschichte ist jener vierschrötige Typ, den die amerikanische Militärregierung "nach sorgfältigem Studium" am 16. August 1945 zum Polizeipräsidenten der Landeshauptstadt machte. Der 61-jährige Bauschreiner Franz Xaver Pitzer hatte während der Revolution 1919 eine sozialdemokratische Selbstschutzorganisation geführt. Die sogenannte Pitzer-Garde wurde aber von der Partei aufgelöst, weil ihr Hauptmann der Idee einer "Polizei vom, durch und für das Volk" anhing.
Gleich nach deren Machtübernahme im Reich übernahm der Düngemittellaborant und Reichsführer SS Heinrich Himmler die Macht an der Münchner Ettstraße. Seine erste wichtige Amtshandlung war die Einrichtung des KZ Dachau.
"Als Münchner Polizeipräsident sollte Franz Xaver Pitzer nicht immer eine glückliche Hand gehabt haben." So kurz und undeutlich wird in der "Offiziellen Chronik der Münchner Polizei" die Amtszeit des Sozialdemokraten erwähnt.
Bewaffneten Banden und Schwarzhandel
Jedenfalls war die Sicherheitslage bei dessen Amtsantritt katastrophal. Bewaffnete Überfälle von Banden befreiter oder erneut einströmender Ausländer und verwahrloster Halbwüchsiger ("Panther") bereicherten die Polizeiberichte.
Die von der Besatzung abhängige Prostitution florierte ebenso wie der meist von ehemaligen KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern organisierte Schwarzhandel. Betreiber und Händler der Möhlstraße waren überwiegend Überlebende des Nazi-Terros, der erst später Holocaust genannt wurde.
Insbesondere mit dem Straßenverkauf (1946 kostete ein Pfund Butter 200 Reichsmark) und dem illegalen Import, der anfangs unter dem Schutz einer internationalen Hilfsorganisation stand, setzte sich Pitzer auf seine bayerisch-direkte Art auseinander, während die Bemühungen der US-Militärpolizei oft ins Leere liefen.
Abschiebung, Abwanderung und Arbeitslager
Am 29. April 1947 erklärte der Polizeichef, der unverdrossen ein Hitler-Bärtchen trug, München sei zum "Mekka der internationalen Verbrecher" geworden. Er forderte vom Stadtrat, "die unsauberen Elemente unter den Ausländern abzuschieben". Und schon im Dezember hatte er die "erfreuliche Botschaft", dass ein "sehr großer Teil unserer jüdischen Mitbürger abwandern will". Das Ratsprotokoll verzeichnete damals Bravorufe.
Zunächst war im Arbeiterviertel Kaltherberge, wo sich ein großes Lager für "Displaced Persons" befand, eine größere Abwanderung geplant. Nachdruck verlieh der Genosse Polizeichef, der seine Klientel auch mal als "de Sauhund" beschimpfte, indem er anordnen ließ, mehrmals rückfällige Schwarzhändler werde man in Arbeitslager stecken. Den Tag, als dies auf großen Plakaten verkündet wurde, bezeichnete Pitzer als den "glücklichsten Tag meines Lebens".
Betrüger ergaunert 150.000 D-Mark
Der Tag indes, der sich als der unglücklichste seiner Amtszeit herausstellen sollte, war gewiss jener, an dem er in Kontakt kam mit dem stellungslosen Augsburger Schauspieler Josef Schäffler. Dieser schnurrbärtige Gauner wollte einem Direktor der Bayerischen Gemeindebank und einem Schuhgroßhändler allerlei (fiktive) Waren andrehen. Die Währungsreform vom März 1948 hatte neues Geld und neue Begierden geschaffen.
Schäffler ließ sich 150.000 druckfrische D-Mark anzahlen, lieferte aber nicht, sondern tat geheimnisvoll: Jetzt könnte er aus dem in Tirol vergrabenen Mussolini-Schatz einen damals für Atombomben benötigten Stoff besorgen: Uran. Um glaubwürdiger zu erscheinen, ließ der Mime einen Kriegskameraden als US-Oberst auftreten und einen schwarzen Mann als "Captain Bimbo". Außerdem präsentierte er einen Probewürfel - allerdings aus Blei...
Polizeichef ist am Goldgeschäft interessiert
Im weiteren Verlauf der Komödie bot der Schauspieler noch 16 Zentner Gold und Platin an - und kassierte weitere Vorschüsse. Von alledem informierte der gutgläubige Bankier seinen Freund, den Polizeichef Pitzer, der sich am vermeintlichen Geschäft nun ebenfalls interessiert zeigte.
Kaum war die nächtliche Übernahme erfolgt, wurden die Kisten, die nichts weiter als Messing enthielten, von "amerikanischen Militärpolizisten", die wieder nur gespielt waren, kurzerhand beschlagnahmt.
Mangels Beweisen wurde Pitzer freigesprochen
Vom Juni bis Ende Juli 1950 füllten 27 Mitspieler dieser Münchner Dreigroschenoper die Anklagebände des Landgerichts: Schäffler quasi als Macki Messer, der Banker, der Schuhhändler und der Polizeipräsident, dem die Rolle des Tiger Brown zufiel. Mit Volksbühnen-Pathos und voll gespielter Unschuld rief er den Richtern zu: "Den Sohn des Volkes will man treffen... Ein Polizeipräsident, der sich in solche Schiebergeschäfte einlässt, gehört nicht nur eingesperrt, sondern aufgehängt."

So weit kam es dann doch nicht. Mangels Beweisen wurde Pitzer freigesprochen. Seine Goldgläubigkeit und pflichtwidrige Vereitelung der Strafverfolgung reichten allerdings aus, dass die SPD den Sohn des Volkes nach 47 Parteijahren ausschloss und die Stadt den bereits Suspendierten 1951 in den Ruhestand schickte.
Im Jahr darauf erlag Münchens oberster Schutzmann, den der Umgang mit derart gerissenen Schiebern und Schwindlern überfordert und krank gemacht hatte, in seiner Villa am Truderinger Waldrand einer Herzattacke.