Polizei im Einsatz: "Manchmal muss man schießen"
Vor ein paar Tagen macht ein Münchner Polizist bei einer Disco-Schlägerei von seiner Dienstwaffe Gebrauch – die AZ hat ein Training der Beamten besucht, in dem für den Ernstfall geprobt wird.
München - „Ich mach’ sie tot, die Bösen! Seid Ihr die Bösen?“ Ein Polizist hat seine Waffe schon gezogen. Das Ganze könnte schlimm ausgehen: Im Zimmer vor ihm steht der Mann, er hat etwas in der Hand. Und offenbar große Probleme. „Meine Tabletten!“, brüllt er. Ganz klar: Er ist psychisch krank. Und irre gefährlich. Plötzlich stürmt er auf die Polizisten zu, mit einer Axt in der Hand. Die Beamten machen ein paar Schritte rückwärts – und schießen.
Pam-Pam-Pam, dreimal in die Brust. Der Mann rennt weiter, ein Polizist knallt gegen ein Sofa, fällt hin, schießt, der andere auch. Pam. Pam. Der Axt-Mann bricht zusammen. Die Polizisten keuchen, schwitzen. Ihre Herzen rasen.
Es sind Folgen der Todesangst – dabei war’s nur eine Übung, ein Polizeiliches Einsatztraining (PE) im Polizeipräsidium in der Ettstraße. Dort lernt jeder Polizist, mit Gefahren umzugehen. Und notfalls auch zu schießen. Das müssen sie zwar selten. Aber wenn, erwischt es jeden kalt.
Wie oft schießen Polizisten auf Menschen? 2011 feuern Beamte deutschlandweit 85 Mal. 49 sind Warnschüsse, 36 Mal schießen sie gezielt. Dabei werden 15 Personen verletzt und sechs getötet. Laut Innenministerium geben bayerische Polizisten 2011 in 1235 Fällen insgesamt 2029 Schüsse ab – die mit allermeisten gegen Tiere. Acht Fälle sind Warnschüsse, in zwei Fällen schießen Beamte auf Menschen – es gibt dabei laut Ministerium aber keine Verletzten.
Wie ist die Lage in München?
2011 schießen Münchner Beamte 54 Mal: ein Warnschuss und 53 Schüsse auf Tiere. Der letzte Schuss auf einen Menschen wird am 30. Dezember 2010 abgegeben – auf die psychisch kranke Doris H. in Großhadern. Den letzten Warnschuss gibt ein Polizist am vergangenen Mittwoch vor einer Diskothek in Laim ab.
Welche Waffe haben Münchner Polizisten?
Eine P7 von Heckler & Koch. Sieben Schuss sind im Magazin, der achte ist im Lauf.
Wann dürfen Polizisten schießen?
Laut § 66 des Polizeiaufgabengesetzes, „um angriffs- oder fluchtunfähig zu machen“. Es muss Gefahr für Leib und Leben für die Beamten und/oder für andere herrschen. Und: „Ein Schuss, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich wirken wird, ist nur zulässig, wenn er das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ist.“
Welche Munition verwendet die Polizei?
Kaliber 9 Millimeter x 19 – bedeutet: Der Durchmesser der Patrone beträgt neun Millimeter, die Hülse ist 19 Millimeter lang. Die Kugel besteht aus acht Gramm Blei.
Was richtet die Patrone im Körper an?
Sie bleibt im Körper stecken – damit sie keine Dritten verletzt. Nach dem Eintritt im Körper verformt und vergrößert sich die Kugel. So entfaltet sie eine möglichst große „Mannstoppwirkung“.
Wann entsichern Beamte ihre Waffe?
„Unmittelbar vor dem Schuss“, sagt der Verantwortliche für das Polizeiliche Einsatztraining, Franz Hindl. Die P7 hat keinen Entsicherungshebel, sondern eine Griffsicherung: Die Waffe ist erst schussbereit, wenn der Beamte sie mit seiner Faust fest umfasst – um einen Schuss abzugeben, muss er gleichzeitig Abzug und Griffsicherung drücken.
Wie oft feuert ein Polizist im Ernstfall?
Bis der Angreifer zusammenbricht. „Manchmal muss man einfach schießen. Manchmal reicht ein Schuss, manchmal braucht es viel mehr“, sagt der PE-Trainingsleiter der Münchner Polizei, Bernhard Dittmar. Das kann auch dazu führen, dass Menschen regelrecht durchsiebt werden – wie der Student Tennessee Eisenberg, der 2009 in Regensburg auf Polizisten losging. Die schossen 18 Mal auf ihn. Die Kritik war groß. Die Münchner Polizisten verteidigen das Vorgehen: „Durch das Adrenalin spüren viele Angreifer einen Treffer kaum.“
Es gibt Fälle, da reicht nicht einmal ein Schuss ins Herz aus. Münchner Rechtsmediziner fanden heraus, dass manche Angreifer da noch fünf bis sieben Sekunden handlungsfähig waren. Dittmar: „Die Schusswaffe ist kein Lichtschalter. Den Fall wie im Film, wo einer vier Meter zurück durch die Luft fliegt, gibt es nicht.“ Wohin zielen die Beamten? Das ist jedem selbst überlassen. „Sie müssen im Bruchteil einer Sekunde entscheiden, ob sie schießen“, sagt Trainingsleiter Dittmar. „Wir können deshalb keine Vorgaben machen, wohin sie schießen.“ Tödliche Schüsse auf Herz und Kopf würden nicht extra trainiert.
Wie oft trainieren Polizisten?
Das ist je nach Dienstgruppe unterschiedlich. Sondereinsatzkommandos trainieren mindestens drei Mal die Woche, Streifenbeamte müssen im Jahr 20 Stunden PE absolvieren und einmal jährlich eine Schussprüfung bestehen. In einem Jahr durchlaufen zwei Drittel der 5988 Münchner Beamten das Training. Manchmal wird aber nicht trainiert – etwa zur Wiesn.
Wie trainieren die Beamten mit ihrer Waffe?
Es gibt in München drei PE-Zentren: in Neuperlach, in Milbertshofen und seit Mai im Keller des Polizeipräsidiums in der Ettstraße. Dort spielen die Beamten Bedrohungsszenarien mit Selbstmördern oder psychisch Kranken durch – mal mit, mal ohne Waffe. Die Beamten feilen an Mimik, Gestik und Sprache, um Situationen gewaltlos zu entschärfen, in anderen Übungen trainieren sie speziell das Schießen. Das Training sind sehr realistisch. Laut Trainer-Chef Bernhard Dittmar geraten viele in „Echt-Stress-Situationen“: Sie sind schweißgebadet „und nach dem Schusswaffengebrauch wissen die meisten nicht, wie oft sie geschossen haben“
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