Politik regiert ohne Bürger

Der „Schwarze Peter“ war bis 1999 neun Jahre Chef der Münchner CSU. 1993 hätte er Ude fast in die OB-Stichwahl gezwungen. Seit 2002 sitzt der Anwalt im Bundestag. Peter Gauweiler im AZ-Interview.
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Peter Gauweiler in der Bibliothek seiner Anwaltskanzlei am Promenadeplatz.
Daniel von Loeper Peter Gauweiler in der Bibliothek seiner Anwaltskanzlei am Promenadeplatz.

Der „Schwarze Peter“ war bis 1999 neun Jahre Chef der Münchner CSU. 1993 hätte er Ude fast in die OB-Stichwahl gezwungen. Seit 2002 sitzt der Anwalt im Bundestag. Peter Gauweiler im AZ-Interview.

AZ: Herr Gauweiler, sie waren der letzte Münchner CSUler, der Ude Paroli bieten konnte. Das war 1993. Danach hat die CSU herbe Verluste eingefahren und verlor am Sonntag noch einmal sieben Sitze im Stadtrat. Woran liegt das?

PETER GAUWEILER: Von denen, die an der Wahl teilgenommen haben, war das ein Plebiszit für Christian Ude. Wenn die Reaktion darauf Hochmut gegenüber der CSU ist, dann kommt der vor dem Fall. Es gibt ja das berühmte Beispiel von der Zweidrittelmehrheit der SPD in den 60er Jahren, als Hans-Jochen Vogel über 70 Prozent bekam. Danach war schnell der Glanz vorbei, und es begannen die Demontage des erfolgreichen OB Vogel und der siebenjährige Krieg in der SPD. Jetzt hat die CSU verloren. Die CSU hatte bayernweit ein schlechtes Ergebnis. Noch schlechter übrigens die SPD. Und in München hat sie plakatiert: „Ude ist gleich SPD.“ Das stimmt! Es war ja bei ihr sonst niemand da. Kein Plakat war wahrer als dieses!

Aber die CSU konnte das nicht aufbrechen.

Das ist nur ein Merkmal dieser Wahl. Das zweite ist: Die Mehrheit der Wähler hat sich an dieser Veranstaltung „OBund Stadtratswahl“ überhaupt nicht beteiligt. München bildet in SachenWahlbeteiligung den absoluten Tiefpunkt einer bundesweiten Entwicklung.

Was bedeutet das für Sie?

Die Konsequenz ist ganz klar:Wenn hinter dem gesamten Stadtrat nur 47 Prozent aller Wahlberechtigten stehen, muss die Stadtspitze auf eine breitere Basis gestellt werden und darf die zweitstärkste Fraktion nicht auf Dauer ausschließen. Ude sollte wie sein Kollege Maly in Nürnberg der CSU den zweiten Bürgermeister anbieten und froh sein, wenn sie dieses Angebot annimmt und nicht auf Opposition tut. Eine große Koalition wäre ein Standortvorteil.

Das macht Ude nie, er bekommt schon die Krätze, wenn er nur „CSU“ hört.

Das wäre nicht sehr souverän für einen alten Soldaten! Hallo Christian: Was kümmert Dich Dein Geschwätz von gestern? Große Projekte gehen nur gemeinsam. Die 850-Jahr-Feier wäre ein ausgezeichneter Anlass für eine „Hallo-Wach-Kampagne“ für München.

Zurück zur CSU. Da fehlten die Argumente für die Münchner, um sie zu wählen.

Moment: Was die Stadt bei Wohnungsbau, Handel, Messe, U-Bahn oder beim Mittleren Ring an Erfolgen vorzeigen kann, das sind ja alles unsere Münchner CSU-Themen gewesen. Wenn ich heute am Luise-Kiesselbach- Platz an den Bauwagen für den Tunnelbau vorbeifahre (lacht laut), dann habe ich ein wildes Gefühl des Triumphs in mir, weil meine Freunde und ich das durchgekämpft haben. Niemand anders!

Die Wähler haben das der CSU nicht honoriert.

Künstlerpech – Ude hat diese Dinge umgesetzt, nachdem er sie früher bekämpft hat. Das spricht für ihn, aber erst recht für die CSU in München. Trotz allem Ärger, den sie hatte. Und jetzt kann die neue Mischung aus 23 munteren Leuten der künftigen CSUFraktion dem auf den Himmels-Kaiser fixierten Funktionärsapparat im Rathaus Beine machen.

Das hat die Fraktion bisher zu wenig getan.

Warum reagiert Ude dann so abweisend? Der OB-Kandidat Josef Schmid war in einer Situation wie früher Georg Brauchle und hat diese schwierige Situation bravourös gemeistert. Er hat heute schon bessere Ergebnisse als der Bürgermeister von Hamburg, Ole von Beust, am Anfang. Schmid ist bereit, die eingefahrenen Pfade zu verlassen. Er weiß, dass dieses parteiliche Schattenboxen niemanden interessiert. Schließlich sind die Parteien ja insgesamt bei den Wählern in den Miesen.

Was heißt das?

Das heißt, dass sich die Parteien Gedanken machen müssen, warum die Menschen nicht mehr wählen. Diese Entwicklung ist gefährlicher als die Links-Partei, weil es eine innere Auswanderung aus unserem politischen System signalisiert. Diese Menschen sehen keine Zukunft mehr.

Woran liegt das?

Das hängt damit zusammen, dass die Volksparteien die soziale Schieflage nicht erkannt haben, in der sich die Leute befinden, und dass die Propaganda von der Globalisierung unsere Arbeitsplätze verbilligt. Die Politik schafft sich ab, wenn sie davor die Augen verschließt. Die Schutzfunktionen der Sozialen Marktwirtschaft gelten nicht mehr, und wenn die Parteien sagen, dass sie da nichts mehr machen können, muss man sie auch nicht wählen. Das rigorose Rauchverbot ist da nur eine Nebensächlichkeit.

Also haben sich die Parteien von den Bürgern entfernt?

Die Berliner Parteien haben sich verpuppt, und das Volk erreicht sie nur über Medien und Werbeagenturen und wendet sich deshalb von ihnen ab. Also machen immer mehr Menschen nicht mehr mit. Das meine ich mit „innerer Auswanderung“.

Haben Sie in dieser Situation einen Rat für Schmid?

Ich möchte lieber dem CSU-Vorsitzenden Erwin Huber ein paar Ratschläge geben: Wir sind eine Volkspartei, die darf die eigene Stammkundschaft nicht vergessen. Zum Beispiel den aktuellen Ärger der Hausärzte. Das sind doch unsere Leute! Und wir sind eine Schulpartei – so kann es beim G8 nicht weitergehen! Und holt euch bei der Landesbank das Geld zurück – von denen, die unseren Staatsbankern die milliardenschweren Schrottimmobilien- Papiere angedreht haben!

Und die Links-Partei?

Die Links-Partei hat nur den Finger auf dieWunden gelegt, die schon Schröder und Fischer geschlagen haben.

Also muss die CSU von der Links-Partei lernen?

Die nimmt sich doch die CSU als Vorbild. Nochmal: Wir sind die Vertretung von Otto Normalverbraucher. Das ist unsere Stammkundschaft.

Die SPD hat an die Linke auch verloren.

Ja, überall. Das ist doch interessant: Wenn man sieht, was sich die CSU in Bayern in den letzten zwölf Monate geleistet hat und die SDP hat davon landesweit nicht profitiert. Wenn ich SPD-Anhänger wäre, müsste mich das sehr zum Grübeln bringen. Da wurde von unseren Leuten so oft der Ball auf den Elfmeterpunkt gelegt, vor dem eigenen leeren Tor. Und die SPD brachte keinen Ball ins Netz – und hat bei der Wahl keinen Punkt gemacht!

Interview: Willi Bock

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