Phantombildzeichnerin: Sie gibt dem Bösen ein Gesicht

Die Münchnerin Waldy Benner zeichnet fürs Landeskriminalamt Phantombildervon Schwerverbrechern. Jedes dritte Werk führt zur Festnahme des Täters
MÜNCHEN Schmale Lippen, volle Lippen, kleine oder große Augen, Tränensäcke oder eine krumme Nase – bei Waldy Benner bekommen Bayerns Schwerverbrecher ein Gesicht. Die 42-Jährige ist Phantombildzeichnerin beim Landeskriminalamt (LKA) in München. Fingerspitzengefühl braucht sie jedoch nicht nur, wenn sie am Computer Nasen, Augen und Münder zu Gesichtern zusammensetzt. Vielmehr ist Sensibilität im Umgang mit den oftmals traumatisierten Zeugen gefragt. „Viele fangen an zu zittern, wenn sie dem Täter hier auf dem Bildschirm wieder ins Gesicht sehen”, sagt Benner.
Phantombilder werden bei Kapitaldelikten erstellt. Mord, schwerer Raubüberfall, Vergewaltigung. Etwa 15 Mal im Jahr hat Waldy Benner einen Menschen neben sich sitzen, der vielleicht als einziger einem Verbrecher ins Gesicht gesehen hat. Oftmals nur für Sekundenbruchteile. Rund 34 Prozent der Phantombilder führen direkt zur Festnahme. Meist sind es Nachbarn, Arbeitskollegen oder Angehörige, die die Täter erkennen.
Viele Zeugen oder Opfer eines Verbrechens sind jedoch so belastet, dass sie es sich nicht trauen – oder nicht zutrauen – den Täter zu beschreiben. Deswegen will Benner eines besonders deutlich machen: „Zeugen und Opfer haben nichts zu befürchten, falls es mit der Täterbeschreibung nicht klappt. Wichtig ist aber, dass sie den Mut haben, es überhaupt zu versuchen.”
Phantombilder zu erstellen sei vor allem eine Frage der Psychologie, erklärt die Expertin. Seit knapp vier Jahren zeichnet sie Verbrecher. Einst hatte sie eine Ausbildung in einer Werbeagentur gemacht. Dann wechselte Benner zur Polizei, Abteilung Spurensicherung. Mit zwei weiteren Phantombildzeichnern in Nürnberg und Würzburg teilt sie sich die Fälle auf. Die Beobachtungsgabe eines Zeugen sei von größter Bedeutung für die polizeiliche Ermittlungsarbeit, erklärt LKA-Sprecherin Claudia Vodermaier. Bei der Fahndung nach Verbrechern sei das Phantombild ein wertvolles Instrument in der Öffentlichkeitsarbeit.
Mit der Hand zeichnet Waldy Benner nur noch selten, die meisten Gesichter entstehen am Computer. Künftig sollen die Täter in 3D dargestellt werden. Das sei aber noch Zukunftsmusik. Schwarz-Weiß werden die Bilder jedoch bleiben. Der Betrachter solle nicht den Eindruck eines Fotos haben. „Durch das skizzenhafte Schwarz-Weiß-Bild wird deutlich, dass es sich nur um eine Typisierung, um eine Annäherung an den Täter handelt.”
Erstaunlich sei, wie exakt Zeugen einen Täter beschreiben können, auch wenn sie ihm nur einen kurzen Moment ins Gesicht geschaut haben, erzählt die 42-Jährige. Einen Passanten auf der Straße oder auch den eigenen Ehemann könne man nicht so gut beschreiben. „Aber wenn man in Todesangst war, brennt sich das Bild des Täters ins Gedächtnis ein.”
Hunderte Augenpaare, Brauen, Nasen, Münder, Frisuren, Haaransätze und Gesichtsformen hat sie im Computer gespeichert. Die kann sie beliebig zusammensetzen und mit wenigen Handbewegungen etwa den Hals schmäler oder ein Kinn breiter machen. „In der Regel probieren die Zeugen verschiedene Augen aus, kehren dann aber zu ihrer ersten Wahl zurück.” Augen, Nase und Mund seien entscheidend, weil die ein Täter auf die Schnelle nicht verändern kann. Bart oder Haare dagegen seien ruckzuck abrasiert.
Wenn Zeugen oder Opfer – meist sind es Frauen, die Männer beschreiben – beim Erstellen des Phantombildes nervös werden, zittrige Hände kriegen, vor Aufregung kaum noch ein Wort herausbringen, dann weiß Benner: „Ich hab’ den Täter auf dem Bild gut getroffen”. Das sei zwar jedes Mal eine Bestätigung für sie selber, aber andererseits eine Belastung für die Zeugen. „Sie werden wieder mit dem Geschehen konfrontiert.”
Viele seien jedoch auch erleichtert, weil sie so helfen können, den Täter zu schnappen. „Dann verlassen sie ganz glücklich mein Büro.”