Pfefferspray-Attacken und Chaos im Publikum beim Rolling Loud: Veranstalter wehrt sich gegen Kritik

München - Wizkid, Kendrick Lamar und Travis Scott hießen die Hauptacts des Rolling Loud Hip-Hop-Festivals, das am vergangenen Wochenende zum ersten Mal in München auf dem Messegelände stattgefunden hat.
Gleich am Freitagabend, dem ersten Festivalabend, sorgten jedoch unschöne Szenen für Diskussionen – und viel Ärger in den Kommentarspalten des Rolling-Loud-Instagram-Kanals.
Steinwürfe und Konzertabbruch: Der Freitag am Rolling Loud Festival
Mehrmals unterbrochen wurde zunächst auf der kleineren von zweien, der sogenannten "Snipes-Stage", der Auftritt des US-Künstlers "Sheck Wes". Nach ihm sollte der deutsche Hauptact "Ufo361" auftreten, den sich offenbar sehr viele Besucher anschauen wollten. Für die Securitys laut Berichten wohl zu viele, es sollen chaotische Zustände geherrscht haben, weil viele Zuschauer versuchten, die Wellenbrecher zu überspringen um näher an die Bühne zu kommen.

Nach rund einer Viertelstunde wurde das Konzert von "Sheck Wes" zum ersten Mal unterbrochen, weil es unter den Zuschauern zu viel Bewegung kam und es offenbar einer Person im Publikum nicht mehr gut ging. Securitys besprachen auf der Bühne mit dem Künstler das weitere Vorgehen. Der wiederum ermahnte die Zuschauer, nicht über die Absperrungen zu klettern, weil dann zu viele Leute vor der Bühne seien. Das ging über mehrere Minuten. Während die Musik ausblieb und sich Securitys auf der Bühne aufhielten, heizte der Rapper mit einem Freestyle-Rap ohne Musik das Publikum weiter an. Im Livestream von Magenta TV sind diese Vorgänge zu sehen.
Nach "Sheck Wes": Konzertabbruch am ersten Abend
Nach einer halben Stunde wurde das Konzert erneut unterbrochen und die Veranstalter diskutierten erneut mit den Künstlern auf der Bühne. Da schien dann die Stimmung langsam zu kippen, es waren vermehrt Buhrufe und Pfiffe aus dem Publikum zu hören und auch der Künstler beschwerte sich lautstark, weil er sein Konzert nicht weiterführen durfte. Das sei ihm in seiner ganzen Karriere noch nie passiert, sagte er zum Publikum.
Nach einer mehrminütigen Unterbrechung kam der Künstler noch einmal sichtlich genervt auf die Bühne. Die Musik blieb nach wie vor aus, aber der Rapper heizte über sein Mikrofon Acapella das Publikum weiter an. Zu dem Zeitpunkt wurden auch im Publikum Bengalos gezündet. Nach dieser letzten Unterbrechung durfte der Künstler nochmal zwei Lieder spielen, dann war Schluss.

Das Problem: Einerseits wollten offenbar sehr viele Zuschauer nahe an die Bühne heran. Auf Youtube berichtete ein Besucher außerdem auch davon, dass viele Zuschauer durch den großen Andrang an die Absperrungen gepresst wurden und dann versucht haben, wieder aus dem Gedränge zu flüchten, "mit Angstschweiß im Gesicht".
Dann wurde die Bühne geschlossen. Das "Rolling Loud Media Center" des Veranstalters "Live Nation" teilte noch am Freitag mit, die Bühne werde am Samstag wieder planmäßig bespielt. "Wir arbeiten daran, die beiden Acts, die nicht spielen konnten (darunter 'Ufo361'), im Laufe des Wochenendes auftreten zu lassen."
Nach Steinwürfen schmeißen 65 Securitys hin
Wie die Polizei am Abend auf AZ-Anfrage mitteilte, wurde das Konzert schlussendlich abgebrochen, weil ein Subunternehmer seine 65 vor Ort arbeitenden Ordner abgezogen hatte. Das Risiko sei für sie zu hoch gewesen. Es habe "aufgrund der hohen Ordnerpräsenz" eine aggressive Stimmung im Publikum geherrscht und es seien Steine und Flaschen geflogen. Neun Securitys wurden leicht verletzt.
Im Verlauf des Konzerts von "Sheck Wes" auf der kleineren "Snipes-Stage" sei es zu einer Überfüllung gekommen, sagte ein Sprecher der Münchner Polizei. Wegen dem Gerangel hätten auch Zuschauer auf dem Boden gelegen. Die Organisatoren des Festivals hätten dann versucht, den Ordnungsdienst zu verstärken – offenbar sehr zum Missfallen der Zuschauer.
Als diese Ordner dann gefehlt hatten, wurde die Situation vor Ort erst recht brenzlig. In Absprache mit der Polizei, Rettungskräften und den Veranstaltern habe dann schließlich das Kreisverwaltungsreferat (KVR) entschieden, dass die Konzerte am Freitag auf dieser Bühne nicht mehr stattfinden können.
Samstag: Erneut aggressives Publikum und viel Polizei
Auch am Samstagnachmittag gab es wieder turbulente Szenen beim Festival, diesmal vor der großen Bühne, der "Loud Stage". Wie die Polizei auf Anfrage der AZ bestätigte, gab es erneut massives Gedränge und Steinwürfe auf Ordner. Die "SZ" hat zuerst über diese Vorkommnisse berichtet.
Es gab kurzfristige Unterbrechungen der Konzerte, man habe aber gemeinsam mit den Veranstaltern beschlossen, die Konzerte "so ruhig wie möglich" über die Bühne zu bringen und nicht ganz abzubrechen. Polizisten in Schutzkleidung seien teilweise zur Unterstützung der Security vor Ort eingesetzt worden. Nach Angaben eines Polizeisprechers waren zeitweise um die 300 bis 400 Einsatzkräfte vor Ort.
Auf Nachfrage der AZ sagte ein Sprecher des KVR am Samstagabend, sie würden die Situation in enger Abstimmung mit dem Veranstalter und der Polizei überwachen und anpassen, die Konzerte liefen aber vorerst weiter. Trotzdem war aber zeitweise denkbar, dass bei weiteren Ausschreitungen ein Abbruch des Festivals möglich wäre: "Sollte ein Abbruch notwendig sein, machen wir das", erklärte der Sprecher. "Sicherheit hat oberste Priorität."

Am ersten Festivaltag waren laut Polizei 40.000 Besucher auf dem Gelände, am Samstag waren es 42.000. Die Ordner seien mit der Situation phasenweise völlig überfordert gewesen. Viele Besucher hätten auch keine Situation ausgelassen, um illegal auf das Gelände zu kommen – sei es über die Notausgänge oder über Zäune.
Bengalos und Plastikmatten wegen Steinwürfen
Sowohl am Freitag als auch am Samstag haben Festivalbesucher während den Konzerten mehrfach im Publikum Bengalos gezündet. Wie mehrere Konzertbesucher auf Instagram schilderten, sollen am Samstag zwei Männer mit Bengalos von Security-Mitarbeiter aus dem Publikum gezogen und dann verprügelt worden sein. Sowohl Polizei als auch KVR konnten das gegenüber der AZ allerdings nicht bestätigen. Bei der Polizei sei keine Anzeige von Besuchern gegenüber Ordnern eingegangen.
Bereits am Samstagvormittag wurden laut KVR vor der kleinen Bühne Bodenplatten verlegt, "sodass keine Steine mehr erreicht werden können". Außerdem seien Wellenbrecher verstärkt worden und ein "Ansager installiert, der beruhigend auf das Publikum einwirkt und sie dazu animiert, genug zu trinken". Die Maßnahmen waren dann am Samstagabend offenbar erfolgreich: Die Situation habe sich ab 20 Uhr entspannt.
Am Sonntag war dann auch die KVR-Chefin Hanna Sammüller-Gradl vor Ort, um sich ein Bild von der Lage zu machen und um "zu bewerten, wie man in Zukunft mit der Messe als Veranstaltungsort umgehen soll", sagte der Sprecher.
Auch am Sonntag Steinwürfe, ein Ordner verletzt
Wie die Polizei am Montag mitteilt, kam es auch am Sonntag zu Steinwürfen und anderen problematischen Vorkommnissen: Ein 19-jähriger Festivalbesucher wurde vor der Hauptbühne mit Reizgas besprüht, dann wurde ihm seine Halskette gestohlen. Er musste ins Krankenhaus. Zehn weitere Personen im Umfeld waren von der Reizgasattacke auch betroffen. Die Polizei sucht Zeugen.
Gegen einen Ordner wurde eine Anzeige eingereicht wegen Körperverletzung. Er soll im Zuge eines Gedränges einen 19-Jährigen getreten haben. Der musste wegen einer Platzwunde und einer Schwellung an der Nase vorsorglich im Krankenhaus behandelt werden.
Ein anderer Ordner wurde von einem Stein am Kopf getroffen und trug eine Platzwunde davon. Insgesamt seien der Polizei zwölf Körperverletzungsdelikte bekannt.
Am Samstag waren laut Polizei 467 Personen in medizinischer Behandlung, 17 davon mussten ins Krankenhaus. Am Sonntag waren es 250 Behandlungen. Die Verletzungen reichten von gequetschten Fingern bis zum Kreislaufzusammenbruch.
Sonntagabend: Verspätung wegen US-Präsident Joe Biden
Kein Geringerer als der amerikanische Präsident Joe Biden soll nach Angaben der Festival-Co-Veranstalter "Live Nation" dafür verantwortlich gewesen sein, dass sich der Auftritt von Rap-Superstar Travis Scott in München verzögerte.
Viele Festivalbesucher fieberten in der Sommerhitze auf den Auftritt hin, der dann erst mit zwei Stunden Verspätung stattfinden konnte – eigentlich war der Auftritt für 20.30 Uhr vorgesehen. Es habe in London ein zeitweise verfügtes Flugverbot gegeben, weshalb der Rapper "nicht wie geplant abfliegen" konnte. Der Grund für das Flugverbot: Die Landung von US-Präsident Joe Biden in London.
Beim Publikum sorgte das für viel Unmut und Unverständnis. Weil die Stadt aber eine Verlängerung der Auftrittszeit bis 22.45 Uhr ausnahmsweise gestattete, konnte Scott doch noch auftreten – allerdings nur etwa eine halbe Stunde und nicht wie geplant eineinhalb Stunden.
Rolling Loud Festival zum ersten Mal in Deutschland
Das Rolling Loud Festival auf dem Messegelände wird von der Konzertagentur "Live Nation" in Kooperation mit der "Leutgeb Entertainment Group" organisiert, die schon vergangenen Sommer die Großkonzerte von Robbie Williams, Helene Fischer und Andreas Gabalier organisiert hatten. Auch damals waren viele Konzertbesucher unzufrieden.
Marek Lieberberg, CEO Live Nation GSA, sagte auf AZ-Anfrage, ob das Sicherheitskonzept ausreichend gewesen ist, dass es "in Monaten minutiös genau erarbeitet und Punkt für Punkt mit den Behörden besprochen worden" sei. "Normalerweise verhält sich das Konzertpublikum bemerkenswert zivilisiert und friedlich. Wir wurden bei 50 Open Air-Veranstaltungen in diesem Sommer mit mehr als drei Millionen Besuchern zum ersten Mal mit vereinzelten Steinwürfen und Versuchen konfrontiert, Absperrungen zu überwinden, um in die vorderen Wellenbrecherbereiche zu gelangen."
Dennoch solle man bei der Beurteilung die Verhältnismässigkeit wahren, so Lieberberg weiter. "Bei Rolling Loud gab es weder gewalttätige Aussschreitungen noch Schäden, die durch Besucher verursacht wurden. In weiten Teilen lief das Festival reibungslos ab."
Rolling Loud: "Für eine Skandalisierung des Festivals besteht kein Anlass"
Dass die Gefahr unterschätzt wurde, wenn auf dem Festivalgelände offenbar so viele Steine herum lagen, sieht Lieberberg nicht. "Natürlich gibt es Learnings aus den Erfahrungen dieses Jahres, die berücksichtigt werden müssen. Die Zuschauerbereiche im vorderen Bereich vor den Bühnen waren abgedeckt. Die Abdeckung der kompletten Fläche vor den Bühnen wurde in der Nacht von Freitag auf Samstag umgehend veranlasst." Die Stadt München möchte nun genau analysieren, ob das Festival noch einmal stattfinden kann, und schlägt derweil ziemlich kritische Töne an. "Es besteht für eine Skandalisierung des Festivals kein Anlass und es wäre sicher angebracht, die Geschehnisse etwa ruhiger und massvoller zu betrachten", so der Manager weiter.
Das Rolling Loud Festival wurde 2015 gegründet und findet mittlerweile rund um den Globus statt, am vergangenen Wochenende zum ersten Mal in Deutschland.