Interview

Pfarrer Schießlers Verkehrspläne: Meine Ideen für die Isar – "Klimaschutz ist christlich"

Die Pfarrei von Rainer Maria Schießler liegt an der Isar – und einer vollen Straße. Warum er sich von den Grünen mehr erwartet hätte und worauf er verzichtet, erzählt er im AZ-Interview.
von  Christina Hertel
Pfarrer Reiner Maria Schießler sagt, er vermeidet Autofahrten. Lieber steigt er auf sein Radl.
Pfarrer Reiner Maria Schießler sagt, er vermeidet Autofahrten. Lieber steigt er auf sein Radl. © Daniel von Loeper

München - Rainer Maria Schießler (62) leitet seit 30 Jahren die Pfarrei St. Maximilian im Glockenbachviertel. Bekannt ist er für seine Bücher und Auftritte in Funk und Fernsehen. Sein Motorrad hat Pfarrer Rainer Maria Schießler abgegeben – auch aus ökologischen Gründen, wie er sagt. Zum AZ-Interview erscheint er mit dem Radl. Er will darüber sprechen, warum er es für möglich hält, die Isarparallele von Autos zu befreien.

AZ: Herr Schießler, Ihre Kirche hatte einen Zugang zur Isar ...
RAINER MARIA SCHIESSLER: Ja, sicher. 1896, als sie gebaut wurde, war hier eine Flaniermeile. Dahinter in der Auenstraße fuhr die Tram, in der Baumstraße war die Kehrschleife. Pferde zogen damals die Tram. Vor 100 Jahren waren das Problem in München die Pferdeäpfel auf den Straßen. Heute ist es Feinstaub.

Der Isar-Spaziergang: Ein Lebensgefühl

Wie war die Flaniermeile?
Da war ich ja noch nicht da. Aber warum baut man eine Kirche am Rand einer Pfarrei? Die Pfarrei geht vom Gärtner- bis zum Baldeplatz, von der Isar bis zum Sendlinger Tor. Eine Kirche steht normalerweise mitten drin. Warum hat man's anders gemacht? Weil es Teil vom Lebensgefühl war, dass man hier lustwandelt und dort in die Kirche zum Herrgott reingeht.

Wünschen Sie sich, dass es wieder wird wie früher?
Wir können nicht zurück in die Zeit der Trambahnen mit Pferdekraft. Aber ich kann mir vorstellen, dass es entlang der Isar eine Anliegerstraße mit Schritttempo gibt.

Schon vor Jahren waren viele für einen Isarboulevard. Warum ging nichts voran?
Die Überzeugung der Menschen wäre schnell da. Aber die Politik muss das umsetzen und verwirklichen. Das ist wie in der Kirche: Wenn ein Bischof, meistens kurz vor dem Ruhestand, sagt: Ja man könnte doch überlegen, ob Priester nicht doch heiraten dürfen sollten. Da muss ich dranbleiben! Mach es, denk ich mir! Geh nach Rom, und kämpfe im Vatikan!

Wirkliche Verkehrswende der Grünen bleibt aus

Seit drei Jahren sind die Grünen stärkste Fraktion im Stadtrat ...
Ehrlich: Unter Verkehrswende hab ich mir eigentlich mehr erwartet. Ein paar Radlständer, ein paar Ladeplätze für E-Autos, Radwege für eine Milliarde Euro – ein guter Anfang, ganz sicher. Wende aber bedeutet Umkehr, nicht Ausbesserung! Neue Konzepte sind gefragt, die anderswo normal sind. Beispiel: Es gab doch die Diskussion um die Stadtteilfußgängerzone in Haidhausen. Ich finde, das ist für ein städtisches Wohngebiet wie Haidhausen geschaffen! Da braucht's kein Auto. Dieser Stadtteil würde so durchschnaufen.

Sind Sie enttäuscht?
Nein! Das ist es auch nicht wert. Wir haben einen Krieg ein paar Flugstunden weit weg. Das ist viel schlimmer. Da wird gerade alles zerstört, was die Menschen einmal geschaffen haben. Ich würde mir einfach nur mehr Mut wünschen.

Warum sind die Grünen, deren Wähler doch ökologisch denken, so mutlos?
Das weiß ich nicht. Ich bin kein Mitglied bei den Grünen. Ich bin hier bloß ein Betroffener, dadurch, dass ich seit 30 Jahren den Verkehr um meine Kirche und im Viertel erlebe. Wenn ich eine Kirche mit einem großen Vorplatz sehe, wo man nach dem Gottesdienst Feste veranstalten kann, werd ich immer ein bisserl neidisch.

Autofreie Isar für mehr Sommer in der Stadt

Wie würde eine autofreie Isar das Viertel verändern?
Man bezeichnet uns ja als Ausgehviertel. Aber wir müssen gerade hier im Kernbereich der Stadt einen Lebensraum für Familien schaffen. Für Jung und Alt. Dass man nicht mehr am Wochenende flüchten muss aus der Stadt, dass man sich keine Hütte in den Alpen mieten muss, sondern dass man gerne da bleibt. Jetzt gerade im Sommer! Wie singt doch die Spider Murphy Gang so unübertrefflich fein? Sommer in der Stadt!

Aber die Stadt wird im Sommer heißer und unangenehmer.
Genau deswegen braucht es das Umdenken umso mehr, sowohl beim Bürger wie bei der Stadtpolitik. Ich selbst mache keine einzige überflüssige Fahrt mit dem Auto. Selbst mit meinem E-Mobil.

Einen Platz zum Feiern hat Pfarrer Schießler vor seiner Kirche nicht, erzählt er Rathausreporterin Christina Hertel. Denn da sind zu viele Autos.
Einen Platz zum Feiern hat Pfarrer Schießler vor seiner Kirche nicht, erzählt er Rathausreporterin Christina Hertel. Denn da sind zu viele Autos. © Daniel von Loeper

Carsharing statt eigenes Auto

Also haben Sie ein Auto?
Ja, einen E-Golf. Aber nur solange ich es beruflich wirklich brauche und glücklicherweise einen eigenen Stellplatz habe.

Offenbar sind die wenigsten bereit, ihr Auto aufzugeben.
Hier sind schon etliche dabei. Gerade wegen der Parkplatznot. Wie viel Lebenszeit verbraucht man, bis man hier einen Parkplatz findet? Da steigen schon viele auf Carsharing um.

Muss es die Politik den Autofahrern unbequemer machen?
Nein, es geht nicht um ein Verbrämen der Autofahrer. Die Carsharing-Modelle müssen einfacher und attraktiver werden! Der Verbraucher muss selber erkennen, welche Kosten er sich sparen kann, Steuer, Versicherung, Werkstatt usw.

Hat sich in den drei Jahren seit der grün-roten Koalition etwas zum Positiven verändert?
Klar! Ich liebe den Altstadtradweg. Ich bin ein eifriger Radlfahrer. Fahrradfahren hier an der Isar – das gab's vor 30 Jahren nicht in dem Ausmaß. Da hat sich was getan. Da möchte ich der Politik Mut zusprechen: Ihr seid auf dem richtigen Weg. Lasst euch nicht einschüchtern, wenn einer sagt, ihr wollt die Autofahrer vertreiben. Ihr wollt die Stadt lebenswerter machen.

Die Innenstadt für Autos unattraktiver machen

Wenn auf der Isarparallele keine Autos fahren dürfen, weichen sie in Seitenstraßen aus. Ist das besser?
Das muss man regeln wie in anderen europäischen Städten wie in Pisa, Florenz, Rom. Da liegt dann eine Berechtigung im Auto und wer die hat, darf durchfahren. Es ist doch völlig klar, dass jemand, der aufs Auto angewiesen ist, reinfahren darf. Und dann gibt es Zeitzonen, an denen es allen möglich ist. Aber eigentlich muss doch keiner mit dem Auto reinfahren, um hier shoppen zu gehen. In Wien können Touristen nur in Parkhäusern parken. Für 30 Euro am Tag im Zentrum, je weiter man rausgeht, desto billiger wird es. Dann fährt man mit den Öffis rein. Oder eine Citymaut – das Geld, das da reinkommt, kannst du sofort in die Öffis stecken. Dann hast du dein 365-Euro-Jahresticket für jeden.

Die Letzte Generation glaubt, die Welt geht zugrunde, wenn wir nichts ändern. Haben Sie als Christ mehr Hoffnung?
Darum geht's gar nicht. Wir haben eine Schöpfungsverantwortung. Und die ist uns ins Stammbuch, in unsere Heilige Schrift reingeschrieben. Da brauch' ich auch keine Letzte Generation. Das haben auch die Wissenschaftler in den 70ern gesagt. Aber da hat noch ein jeder gesagt, ja ja red du nur. Und jetzt sind wir mitten drin. Nicht nur wir hier in München, die ganze Welt muss aufwachen.

Klimaschutz ist christlich

Klimaschutz ist also christlich?
Ja, natürlich. Der Auftrag in der Bibel, macht euch die Erde untertan, ist kein Beherrschungs-, sondern ein Gärtnerauftrag. Das heißt, du bist verantwortlich, kümmere dich.

In der Bibel muss Noah mit seinen ganzen Tieren flüchten. Droht uns das auch?
Der Noah ist nicht geflüchtet, der hat die Tiere gerettet. Der steht genau für diesen Typus Mensch, der sich um die Welt sorgt. Der Klimawandel ist unsere Sintflut. Jetzt müssen wir unsere Arche schaffen. Es wäre eine Arche, wenn wir es schaffen, unsere Großstädte lebenswert zu machen. Ich bin 1960 geboren, da ist München gerade eine Millionen-Stadt geworden. Jetzt gehen wir auf die zwei Millionen zu. Jetzt ist wirklich Zeit, nicht nur, dass wir ein paar Auserwählte retten. Für mich heißt christlich sein: Es gibt keine Not, für die ich nicht verantwortlich wäre und für die ich mich nicht einsetzen müsste.

Weniger ist manchmal mehr

Warum ändert sich trotzdem nur schleppend etwas?
Dafür mag es viele Gründe geben. Ich bin jetzt 62 Jahre alt. Meine Mama war 65, als sie gestorben ist. Das heißt, es wird alles greifbarer. Ich möchte nicht von dieser Welt gehen und sagen, nach mir die Sintflut.

Haben Sie auch etwas in Ihrem Leben verändert?
Absolut. Ich mache keine Flugreisen mehr. Ich war heuer mit dem Zug im Urlaub und nicht mehr mit dem Auto. Das ist viel entspannter. Am Sonntag hat man früher gesagt: Wo fahren wir heute hin? Heute sag ich: Ich bin glücklich, wenn ich am Eisbach im Englischen Garten lieg.


Pfarrer Rainer Maria Schießler diskutiert am kommenden Donnerstag, 27. Juli (18 Uhr) auf dem Kulturstrand an der Corneliusbrücke einen autofreien Isar-Boulevard. Mit ihm auf dem Podium sind Paul Bickelbacher (Stadtrat der Grünen), Nikolaus Gradl (SPD-Stadtrat), Katharina Horn (Bund Naturschutz) und Marco Kellhammer (Professor für Urban Design an der TUM), moderiert wird die Diskussion von AZ-Rathausreporterin Christina Hertel. 

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