Pastorin als Pop-Star

MÜNCHEN - Nach Alkoholfahrt und Rücktritt tritt Margot Käßmann erstmals wieder öffentlich auf. Auch Kanzlerin und Bundespräsident kommen. Thema Missbrauch kommt kurzfristig ins Programm
Orangefarbene Schals, Rucksackträger, verklärte Blicke – das alles wird ab heute vieltausendfach in München zu sehen sein. Kirchentag eben. Ökumenischer Kirchentag (ÖKT), um genau zu sein. Doch das Treffen von Katholiken und Protestanten unter dem Motto „Damit ihr Hoffnung habt“, hat drei große Themen, die zunächst wenig mit Glaube und Religion zu tun haben: der erste Auftritt der zurückgetretenen Bischöfin Margot Käßmann, die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche – aber auch die soziale Gerechtigkeit in Zeiten der Wirtschaftskrise.
Mehr als 110000 Dauergäste haben sich angemeldet. Durch Tagesgäste und Spontanbesucher wird ihre Zahl auf mehrere Hunderttausend anwachsen. Sie werden bis zum Sonntag die Qual der Wahl haben zwischen rund 3000 Veranstaltungen. Die meisten davon finden in den Messehallen, auf dem Olympiagelände, dem Odeonsplatz und der Theresienwiese statt.
Alles was Rang und Namen hat in Gesellschaft und Politik ist natürlich vertreten – von Bundespräsident Horst Köhler (er hält eine Rede beim Eröffnungsgottesdienst), über Bundeskanzlerin Angela Merkel (diskutiert über „Hoffnung in Zeiten der Verunsicherung“), Ministerpräsident Horst Seehofer (talkt vor Jugendlichen) bis zum Münchner Nobelpreisträger Theodor Hänsch (referiert über „Zeitmessung als Modell“).
Doch Pop-Star aller Mitwirkenden wird Margot Käßmann sein. Beim ersten Auftritt seit ihrem Rücktritt als EKD-Vorsitzende wird sie am Mittwoch in München ihr neues Buch vorstellen, am Donnerstag zu Bibelarbeit einladen und einen Vortrag über „Frauen mit Macht“ halten.
Eigens ins Programm aufgenommen wurden zwei große Foren über den sexuellen Missbrauch. Die im Zusammenhang mit dem Skandal entfachte Diskussion über die Ehelosigkeit der katholischen Priester wurde jetzt auch von Innenminister Thomas de Maizière aufgenommen. Das Präsidiumsmitglied des Evangelischen Kirchentages sprach sich gegen den Zölibat aus.
Obwohl sich Bundespräsident Köhler vor Beginn des ÖKT eine „gemeinsame Abendmahlsfeier“ wünschte, wird es dazu wohl in München nicht kommen – diese „Provokation“ soll vermieden werden, so die Kirchentagspräsidenten Alois Glück und Eckhard Nagel.
Michael Heinrich