Party statt Punk

Wir sind Helden verwandeln das Tollwood-Zelt in eine Zirkusarena
Melanie Dörschel |
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Der Erfolg stieg der schönen Judith wohl doch ein bisschen ins Holofernes-Haupt.
Dorothee Falke Der Erfolg stieg der schönen Judith wohl doch ein bisschen ins Holofernes-Haupt.

Kann man noch Protestband sein, wenn man längst allen gefällt? Mit ihrem vierten Album „Bring mich nach Hause” führten Wir sind Helden 2010 wochenlang die deutschen Charts an, auf dem Tollwood-Festival grölte das Publikum jeden Text in politisch korrekter Eintracht mit. Das macht gute Laune. Viel Neues kommt dabei nicht heraus. Aber der Reihe nach.

„Ich glaub, es hackt”: Mit diesen Worten leitete Frontfrau Judith Holofernes im Februar einen offenen Brief an die Bild-Zeitung ein. In dem Schreiben erklärte sie überdeutlich, warum sie garantiert keine Lust hat, gemeinsam mit ihren drei Jungs für das Meinungs-Medium und „bösartige Wesen” zu werben. Obwohl die Kritik genauso plakativ und überzogen wirkte wie die Kampagne, die sie anprangerte, kam sie an und brachte den Berlinern nach längerer (Baby-)Pause vermutlich ähnlich viel Aufmerksamkeit ein wie ihre Musik.

Sympathisch-hartnäckiges Sozial-Engagement

Seit gut acht Jahren zählen die Helden dank ihrer unkomplizierten, aber impulsiven Lieder, dem spielerischen Umgang mit Sprache und ihrem sympathisch-hartnäckigen Sozial-Engagement zu den hellsten Sternen am deutschen Gitarren-Pop-Himmel. Schon die ersten Erfolge feierten sie als Kommerz-Gegner („Guten Tag”) und Fleiß-Verachter („Müssen nur wollen”). Immer gleich blieb bis heute die Leidenschaft, mit der sie ihre Anliegen heraussangen, egal ob es um unbequeme Wahrheiten ging oder um das Dauerbrenner-Thema Liebe. Es hat sich allerdings einiges verändert im Laufe der Zeit und das merkte man auch dem Münchner Konzert an.

Jammern auf hohem Niveau

„Ihr glaubt gar nicht, was man alles nicht mehr machen kann, wenn man zu erfolgreich ist”, sagte Holofernes zwischen zwei Songs. „So nach dem Motto: Das ist nicht standesgemäß. Pah!” Was eine Spitze gegen die Leistungs-Gesellschaft sein sollte, war vor allem Jammern auf hohem Niveau – und das klang leider ziemlich arrogant. Lautete das Motto früher sinngemäß „Gegen das Establishment”, kann man es mittlerweile mit „Gegen alle, die es sich nicht leisten können, linksgefärbte Öko-Gutbürger zu sein” übersetzen. Mit Punk hat diese Attitüde kaum noch was zu tun. Mal abgesehen davon, dass ein in die Luft gereckter Mittelfinger sowieso keinen mehr aus der Reserve lockt.

Natürlich werden Wir sind Helden wie jetzt am Wochenende mit Akkordeon und Banjo, Tamburin und Tänzen um die eigene Achse weiterhin Hippie-Stimmung verbreiten. Mit ihrem treibenden Sound, einer Spur Theatralik und gekonnten Live-Mashups („Im Auge des Sturms” trifft auf „Let the sunshine in”, „Nur ein Wort” auf „These boots are made for walking”) werden sie beweisen, dass inhaltlicher Anspruch und Party durchaus zusammenpassen. Wir werden sie nie als Reißbrett-Rocker erleben. Als Welt-Veränderer aber auch nicht. Obwohl sie es doch so gerne wären.

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