Party-Song für Nazi-Parolen missbraucht und vielerorts verboten – was Gastronomen davon halten

"L'amour toujours" von Gigi D'Agostino wird teils verboten, doch der Chef einer Münchner Disco hält das nicht für richtig. Derweil ermitteln Staatsanwälte in ganz Deutschland gegen zig Verdächtige.
von  Tobias Lill
Ein Disco-Besitzer aus München ist dagegen, "Amours toujours" nicht mehr zu spielen. (Symbolbild)
Ein Disco-Besitzer aus München ist dagegen, "Amours toujours" nicht mehr zu spielen. (Symbolbild) © Jonas Walzberg/dpa

München/Sylt - Discos, Dorffeste und Umzüge: Immer öfter kapern Rechtsextreme Gigi D'Agostinos Hit "L'amour toujours". In mehr als einem Dutzend Fälle haben Staatsanwaltschaften quer durch die Republik mittlerweile Ermittlungen eingeleitet. Der Chef einer der größten Münchner Discos will den Song anders als die Wiesn-Verantwortlichen weiter spielen.

Wohl kaum ein Video schockte die Deutschen in den vergangenen Tagen so sehr wie jenes einer Luxussause im Sylter Nobelclub Pony vom Pfingstwochenende. Sogar Kanzler Olaf Scholz (SPD) verurteilte in der Folge das Gegröle. Zudem kündigte der Betreiber des Pony an, ebenso wie andere Gastronomen, man werde "L'amour toujours" künftig nicht mehr spielen.

Bayerische Gastronomen uneins

Und auch in München gab es rasch eine Reaktion, wie auch die AZ berichtete: Das Spielen des Lieds soll auf der diesjährigen Wiesn untersagt werden: "Wir wollen es verbieten und ich werde es verbieten", sagte Oktoberfest-Chef Clemens Baumgärtner. An Wirte und Schausteller ergehe eine klare Anweisung. Das Oktoberfest sei international und weltoffen, so der CSU-Politiker.

Bei bayerischen Gastronomen geht die Meinung über derlei Verbote jedoch auseinander. Zumindest Dierk Beyer hält davon nichts. Er ist unter anderem Betreiber des Neuraums, einer der größten Discos Südbayerns. "Natürlich ist das schlimm. Aber warum sollen wir den Song nicht mehr spielen, nur weil Rechte das Lied für sich beanspruchen", sagt Beyer, der beim Hotel- und Gaststättenverband Bayern den Bereich Musik und Szene betreut, der AZ. Er fragt: "Welches Lied überlassen wir ihnen als nächstes?"

Das Phänomen nimmt zu

Unstrittig ist: Das Lied als Hymne für Rechtsextreme - Experten beunruhigt dieses Phänomen schon seit Monaten. Die Fälle nehmen offenbar zu, so beobachtet es etwa Robert Lüdecke, Sprecher der Amadeu-Antonio-Stiftung.

Rechtsextreme versuchten, mit der falschen Textzeile "weiter in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen". Viele Menschen sehen entsprechende Videos in Sozialen Medien. Den Feiernden, die mitgrölen, sei offenbar nicht klar, dass es sich nicht um einen "Dummejungenstreich" handelt. Tatsächlich laufen in mehr als einem Dutzend Fälle Ermittlungsverfahren, wie eine Abfrage bei Staatsanwaltschaften im Bundesgebiet ergibt. Im Juni müssen sich sechs junge Frauen und Männer wegen Volksverhetzung in Hessen vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft Fulda wirft ihnen vor, statt des normalen Textes Ende November in einer Dorfdisco in Kalbach als Refrain "Ausländer raus" gesungen zu haben. Da zwei von ihnen zur Tatzeit noch jünger als 21 Jahre waren, wird vor einem Jugendrichter verhandelt.

Von Karneval bis Abschlussfeier

In Kalbach hatten die Beschuldigten ein Geständnis abgelegt, die Ermittler konnten auf ein Video der rechtsextremen Gesangseinlage zurückgreifen. In anderen Fällen ist die Aufklärung schwierig. Die Staatsanwaltschaft Köln hat Ermittlungen wegen mutmaßlichen "Ausländer raus"-Gegröles bei einer Karnevalsparty in Bergneustadt eingestellt. "Wir konnten die Tat keinem Täter konkret zuordnen", sagt ein Sprecher.

Auch bei einer Party des Abschlussjahrgangs im Studienzentrum der Finanzverwaltung und Justiz im hessischen Rotenburg soll der Song im Januar rassistisch umgetextet worden sein. Entsprechende Vorwürfe konnte die Staatsanwaltschaft nach eigener Aussage bislang nicht erhärten, die Ermittlungen dauern an. Auch die Ermittlungen wegen ausländerfeindlicher Parolen bei einer Abifeier in einer Neukalener Disco Anfang Februar gegen mehrere Beschuldigte dauern an.

Auch auf Partei-Veranstaltungen soll gegrölt worden sein

Im Oberpfälzer Landkreis Schwandorf ermittelte die Polizei nach einem möglichen Vorfall bei einem Faschingszug im Februar, ebenso in Landsberg am Lech sowie wegen eines Auftritts einer Tanzgarde in Drolshagen in NRW. Und gerade erst sorgte ein Fall bei der Erlanger Bergkirchweih für Schlagzeilen. Dort soll das Lied nun nicht mehr gespielt werden. Mitunter sind auch Mitglieder von Parteien am Grölen: Nach einem Landeskongress der Jungen Liberalen in Weiden in der Oberpfalz im April sollen Mitglieder bei einer Party "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" gesungen haben. Andere Mitglieder schritten jedoch zügig ein und unterbanden das Treiben.

Bei einer Feier in einer Disco in Greding wurden nach Polizeiangaben Mitte Januar im Umfeld eines AfD-Parteitags ausländerfeindliche Parolen von etwa 30 Menschen skandiert. Der BR berichtete, in der Gruppe seien offenbar Mitglieder der AfD und sogar Landtagsabgeordnete gewesen. Letztere bestritten allerdings, mitgesungen zu haben. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Nürnberg bestätigte der AZ, dass gegen mehrere Beschuldigte wegen Volksverhetzung und der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole ermittelt werde - ob Politiker betroffen seien, sagte sie nicht.

Weiterer Fall auf Sylt

Ihren Angaben zufolge hat die Polizei die Ermittlungen mittlerweile abgeschlossen. "Wir prüfen nun die Ergebnisse." Anhand derer will die Staatsanwaltschaft in den kommenden Wochen entscheiden, ob sie Anklagen erhebt. In Sylt war derweil nach AZ-Informationen eine weitere Nobelbar von einem "Ausländer raus"-Eklat im Zusammenhang mit Gigi D'Agostinos Kultsong betroffen: der legendäre Club Rotes Kliff. Experte Lüdecke von der Amadeu-Antonio-Stiftung hält dennoch nichts von einem Boykott des italienischen Songs.

Wichtig sei, dass die Musik unterbrochen werde und die Täter belangt würden: "Da sind die Securitys und die anderen Gäste gefragt." Ihm graut es derweil vor dem Sommer mit der Fußball-Europameisterschaft. Er fürchtet noch häufigere Eklats. "Die Feierlaune trifft dann bei vielen Leuten auf jede Menge Alkohol und ein patriotisches Element."

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