Paradox: Weniger Rente für Arme
Ab 1. Juli sollte es mehr Geld geben, doch das trifft nicht auf die Ärmeren zu. Anna Beylich ist eine von 10100 Münchnern, an denen die Erhöhung vorbeigeht – „Das ist die Logik des Systems“, sagt das Sozialreferat.
Eigentlich hätte der 1. Juli ein schöner Tag für Anna Beylich werden können. Mit ihrer schmalen Rente kann die 85-Jährige jeden zusätzlichen Euro gut gebrauchen. Für das Datum hatte die Bundesregierung zum ersten Mal seit Jahren eine spürbare Erhöhung bei der gesetzlichen Rente angekündigt.
Ein Plus von 2,4 Prozent gibt’s seitdem. Allerdings nicht für Anna Beylich. Ihr bleibt unterm Strich sogar weniger Rente als im Jahr zuvor – und zwar genau 99 Cent.
Der Grund: Die Münchnerin bezieht neben ihrer Alters- und Witwenrente auch eine „Grundsicherung im Alter“. Die bekommen Rentner, denen das eigene Einkommen nicht zum Leben reicht – wenn man Wohnkosten, Kranken- und Pflegeversicherung abzieht. Ausgezahlt wird die Grundsicherung vom Sozialamt. Letztes Jahr bekam Anna Beylich gut 310 Euro im Monat. Hinzu kamen 623 Euro Alters- und Witwenrente.
Zum 1. Juli stiegen zwar Alters- und Witwenrente wegen der Rentenerhöhung ingesamt um 13,43 Euro. Gleichzeitig berechnete das Sozialamt den monatlichen Bedarf neu und kürzte die Grundsicherung um 14,42 auf knapp 296 Euro (siehe Abbildung oben). Minus unterm Strich: 99 Cent.
„Da gibt es endlich einmal ein bisschen mehr Geld für die Rentner“, schimpft Anna Beylichs Sohn Klaus. „Und dann schließt man die Ärmsten davon aus.“ Was nicht nur er als Hohn empfindet: Einerseits gehe die Regierung kurz vor dem Wahlkampf mit der Rentenerhöhung hausieren. Andererseits holten sich die öffentlichen Kassen das Geld über gekürzte Transferleistungen wieder zurück. „Und zwar ausgerechnet bei denen, die am wenigsten haben.“
„Das ist die Gesetzeslogik bei Sozialleistungen“, sagt Monika Niedermayer, Sprecherin im Münchner Sozialreferat, das für die Zahlung der Grundsicherung zuständig ist. „Durch die Erhöhung können die Rentner einen größeren Anteil ihres Lebensunterhalts mit eigenem Einkommen bestreiten.“ Das Zusatzeinkommen müsse man auf die Grundsicherung anrechnen.
Von diesem bitteren Nullsummenspiel sind alleine in München gut 10100 Rentner betroffen, die Grundsicherung beziehen. Bundesweit sind es knapp 400000. „Ihre Zahl steigt Jahr für Jahr“, heißt es beim Sozialverband VdK. Eine Entwicklung, die auch das Münchner Sozialreferat bestätigt: In den letzten zwei Jahren stieg die Zahl der Grundsicherungs-Empfänger um 15 Prozent. Bis 2010 rechnet die Behörde mit jährlichen Zuwachsraten von 7 Prozent.
Einen Weg, die wachsende Zahl armer Rentner an Rentenerhöhungen wirklich teilhaben zu lassen, sieht selbst der VdK derzeit nicht. „Da müsste man das gesamte System der Sozialhilfe umkrempeln“, heißt es. An Anna Beylich werden daher auch künftige Erhöhungen wohl vorbeigehen.
Andreas Jalsovec
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