Interview

Paar in München erzählt seine Geschichte: "Ich war gefangen in der DDR"

Hans Stockmeier und Marion Eisentraut hatten unterschiedliche Lebenslinien. Trotzdem fanden sie vor 29 Jahren zueinander. Auch ihre Liebe zu einem sehr speziellen Auto eint sie.
Hüseyin Ince
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Gemeinsame Liebe, deutsch-deutsche Geschichte: der Trabi P50 von Hans Stockmeier und Marion Eisentraut.
Gemeinsame Liebe, deutsch-deutsche Geschichte: der Trabi P50 von Hans Stockmeier und Marion Eisentraut. © Daniel von Loeper

München - Der Oberbayer Hans Stockmeier (82) wuchs in den Wirren der Nachkriegsjahre plötzlich in Sachsen auf. Marion Eisentraut (76) landete als Fünfjährige mit ihrer Familie in Südamerika. Ein Gespräch über harte Kindheit, ewige Märsche und ein ostdeutsches Objekt: den Trabi P50.

AZ: Herr Stockmeier, welches Vorurteil über Trabis ärgert Sie am meisten?
HANS STOCKMEIER: Dass er knattert und stinkt.

Stimmt beides nicht?
HS: Natürlich knattert der Zweitaktmotor ein wenig, aber er stinkt nicht! 0,2 Liter Öl auf zehn Liter Benzin. Das riecht man kaum. Und beim Tüv hatten wir nie ein Problem.
MARION EISENTRAUT: Im Gegenteil, die freuen sich beim Tüv, wenn wir vorfahren!
HS: Manche geben zu viel Öl dazu, das ist der größte Fehler. Dann qualmt es raus.

60 Jahre ist er bald alt. Wissen Sie, wie viele es noch gibt?
HS: Gebaut wurden vom P50 130 000, von 1957 bis 1961. Angeblich gibt es weltweit noch 9000 Stück.

Sind Sie in München der Einzige mit dem Auto?
HS: Ich denke schon, in der Farbkombination jedenfalls.
ME: In Ostdeutschland heißt das Auto "Murmel", wegen der runden Formen. Richtig knuffig.

Wie viel ist denn der P50 aus dem Jahr 1961 wert?
HS: Ich kann es nicht sagen. Aber im Internet werden deutlich ungepflegtere Modelle für 14 bis 15.000 Euro angeboten.
ME: Da ist noch der erste Lack drauf. Ich wasche die Murmel immer per Hand. Lauwarmes Wasser, ein Tuch, oft alte Unterhemden von Hans, dazu ein bisschen Spüli. Auf keinen Fall Waschanlage!

Über eine Zeitungsanzeige kennengelernt

Ich habe gehört, Sie besitzen auch Trabant-Ohrringe.
ME: (lacht) Was Sie alles wissen. Ich werde oft gefragt, woher ich die habe. Ich löste das silberne Trabi-S von einem Schlüsselanhänger und ließ sie mir in einem Perlenmarkt als Ohrenringe anfertigen. Schmuck muss nun mal zur Ausfahrt mit dem Trabi passen. Als jemand aus der Modebranche, früher bei Ludwig Beck am Rathauseck, finde ich so etwas schön.

Wie haben Sie sich eigentlich kennengelernt?
ME: Eine Zeitungsanzeige.

Wer hat sie geschaltet?
HS: Das war ich. Charmanter Löwe, 53, sucht Partnerin oder so ähnlich. Ich bekam 21 Zuschriften. Marions Brief war am schönsten, dazu noch diese spannende Lebensgeschichte mit Argentinien ...
ME: Ich war 46. Es müsste 1993 gewesen sein.

Nun lieben Sie beide auch den Trabi. Wie kommt das?
ME: Hans sagte damals - wir kannten uns vier Wochen -, lass uns zu meiner Pflegetante nach Sachsen fahren, in die Lessingstadt Kamenz. Unsere erste gemeinsame Reise. Damals fuhren dort noch sehr viele niedliche Trabis herum. Und als ich sie sah, war es um mich geschehen. Ich verliebte mich.

Hatten Sie da schon Ihr Auto?
HS: Nein, aber wir kauften nach der Reise ein Cabrio.
ME: Royalblau, mit beigen Sitzbezügen.
HS: Das musste ich leider verkaufen, wegen meiner Sonnenunverträglichkeit.
ME: Bei einer weiteren Fahrt nach Kamenz verkaufte uns dort ein bekannter Trabi-Händler diesen P50 aus seinem Privatbesitz.

"Als in Schwabing die Bombe explodierte, roch es wie im Krieg"

Herr Stockmeier, Sie sind gebürtiger Oberbayer. Wie kommt es, dass Sie eine Pflegetante in Sachsen hatten?
HS: Lange Geschichte. Mein Vater war bei der Luftwaffe. Als Offizier wurde er nach Stuttgart versetzt. Die ganzen Nazi-Größen sind bei uns ein und ausgegangen. Mein Vater hat einige Male auch Hitlers Hand geschüttelt.

Jetzt bin ich gespannt, wie wir in Sachsen landen.
HS: Meine Mutter hat das Stadtleben nicht ertragen und sich scheiden lassen. Nachdem mein Vater seine Kontakte hat spielen lassen, hat mich das Gericht ihm zugesprochen.

Ihr Vater war alleinerziehend?
HS: Er war dauernd unterwegs, hatte drei Sekretärinnen, wobei sich die Chef-Sekretärin an ihn rangemacht hat. Sie wurde mein Schicksal.

Warum?
HS: Sie hat mehrmals versucht, mich bei Luftangriffen umkommen zu lassen.

Klingt wie Hänsel und Gretel.
HS: Bevor Stuttgart 1944 bombardiert wurde, hat sie mich in die Besenkammer gesperrt und ist in den Bunker geflüchtet.

Wie haben Sie überlebt?
HS: Kurz vor dem Bombardement haben mich Feuerwerker rausgeholt und in einen Luftschutzbunker gebracht. Nachdem der Ausgang des Bunkers durch einen Bombenvolltreffer verschüttet wurde, entstand im Dunkeln heilloses Chaos. Am nächsten Tag war der Ausgang freigeräumt. Ich habe gesehen, wie Stuttgart in Schutt und Asche lag. Als in Schwabing vor einigen Jahren die Weltkriegsbombe explodiert ist, hatte ich sofort wieder die Erinnerungen an diesen Tag. Es roch so ähnlich wie damals in Stuttgart.

Wie ging es weiter?
HS: Meine Stiefmutter war aus Kamenz. Da wir in Stuttgart ausgebombt wurden, ließ sich mein Vater dorthin versetzen und erhielt neben der Kaserne ein kleines Reihenhäuschen.

"Meine Stiefmutter war ein Miststück"

Also erst einmal in Sicherheit.
HS: In Kamenz wurde ein Mal die Kaserne bombardiert.

Gingen Sie diesmal gleich in einen Bunker?
HS: Meine Stiefmutter sperrte mich wieder in eine Kammer und war weg. Wieder retteten mich Feuerwerker und brachten mich in den Luftschutzbunker. Nach dem Bombardement wurde ich zur Polizei gebracht.

Und Ihre Stiefmutter?
HS: Sie kam auf das Polizeirevier und heuchelte große Trauer, nachdem sie erfahren hatte, dass ein Häuschen neben der Kaserne von einer Bombe getroffen wurde und ein Kind zu Tode gekommen sei. Als sie mich lebendig sah, konnte ich in ihren Augen abgrundtiefen Hass erkennen. Wenn Blicke töten könnten ... Da wir wieder mal ausgebombt wurden, zogen wir zu ihrem Bruder in der Kamenzer Stadtsiedlung. Der muss ein ganz hohes Tier gewesen sein. Er hatte immer eine Hakenkreuz-Armbinde.
ME: Aber die Geschichte auf dem Feld musst du jetzt auch noch erzählen.

Auf dem Feld? Wieder Ihre Stiefmutter?
HS: Als die Front näher rückte, schickte mich meine Stiefmutter mit zwei Eimern, Margarine und Marmelade, zu ihrem Vater in die Stadt. Ich geriet auf freiem Feld in die Schusslinie der am Stadtrand aufgestellten Flak. Ich wurde durch Granatsplitter am rechten Auge und an den Händen verletzt. Die Russen hatten zuvor Lametta abgeworfen, um die Flakschützen abzulenken. Als Kind blieb ich mitten auf dem Feld stehen und habe danach gegriffen.

Wie haben Sie das überlebt?
HS: Mit viel Glück. Ich blutete. Bis heute habe ich einen Splitter im Auge. Irgendwann sammelten mich deutsche Flak-Soldaten auf. Die waren alle ausgehungert, aßen die Margarine und die Marmelade.

"Opa Schmidt schlug mich mit seinem Gürtel bewusstlos"

Und dann holte Sie wieder Ihre Stiefmutter ab?
HS: Nein. Ich wurde erst einmal zu Opa Schmidt gebracht, mit leeren Eimern. Er schlug mich mit seinem Gürtel bewusstlos. Nachbarn riefen die Polizei. Auf dem Revier durfte ich einen Pflegeonkel aussuchen, bei dessen Familie ich von 1945 bis 1947 aufwuchs.

Und ihre Stiefmutter?
HS: Sie kam ins Gefängnis. Weil sie nicht nur mich misshandelte. Sie hat danach ihre Mutter mit einem Besen erschlagen.

Klingt unzurechnungsfähig.
HS: Sie war ein Miststück.

Was passierte dann?
HS: Mein Pflegeonkel kontaktierte über das Rote Kreuz meine leibliche Mutter. Er wollte Klarheit. Sie holte mich 1947 ab. Ich konnte sie nicht verstehen. Sie sprach Bairisch, ich Sächsisch. Mei Bua, hat sie immer gesagt. Ich kannte sie kaum. Und leider schlug sie mich auch. Wir gingen durch Regensburg und Landshut. Alles zerstört. Das letzte Stück bis Kumhausen, wo sie lebte, mussten wir ewig marschieren.

Was wurde aus Ihrem Vater?
HS: Er stand 1949 plötzlich bei Verwandten in der Türe, kam aus russischer Gefangenschaft zurück. Er hatte sich sehr verändert. Ich habe ihn an seiner herrischen Stimme erkannt. Er überzeugte meine Mutter 1951 davon, dass sie ihn wieder heiratet und übernahm den elterlichen Hof in Steinbach. Harte Jahre. Weizen, Kartoffeln, Roggen. Ich musste vor und nach der Schule mitarbeiten.

Hatten Sie je Rachegelüste wegen Ihrer Stiefmutter?
HS: Was hätte mir das gebracht? Meine Pflegeeltern haben mir einen gefestigten, gelassenen Charakter anerzogen. Sie waren tolle Menschen. Mein Pflegeonkel war ein Erz-Kommunist. Und wenn Kommunismus so wäre wie er, gäbe es nichts Besseres auf der Welt.

"Mein Vater hasste nach dem Krieg Kälte und Schnee"

Frau Eisentraut. Auch Sie erlebten eine besondere Nachkriegskindheit.
ME: Es ist nicht so spannend wie bei Hans. Geboren bin ich in Allershausen. Meine Eltern, mein Bruder und ich, wir wanderten nach Argentinien aus, in den 50ern. Mein Vater hasste nach dem Krieg Kälte und Schnee. In Argentinien lebte ein reicher Großonkel. Onkel Max. Er war in den 30er Jahren dorthin ausgewandert und führte ein Luxus-Restaurant in Buenos Aires. Das Maxim. Er überredete uns dazu, auch auszuwandern.

Das ging einfach so?
ME: Nicht ganz. Zusammen mit meinen Cousinen und deren Eltern, wir waren zu acht, fuhren wir illegal über die Grenze in die Schweiz. 1949. Dann per Flugzeug nach Buenos Aires.

Und wie war es dort?
ME: Onkel Max hatte Angst, dass wir auf seine Kosten leben wollen. Ein schwieriges Verhältnis. Er brachte uns immer die übrigen Knochen aus dem Restaurant mit und dachte, er tut uns etwas Gutes. Wir hätten Suppen daraus kochen sollen.

Und wie überlebten Sie dort?
ME: Meine Mutter eröffnete bei Córdoba ein Modegeschäft in einem Touristenort. Außerhalb der Saison war nix los. Keine Perspektive für junge Leute. Wir sind 1964 nach Deutschland zurück. Per Schiff. Dann nach München. Da war meine Mutter aufgewachsen.

Verbindet Sie beide Ihre ungewöhnliche Vergangenheit?
ME: Das kann schon sein. Aber wenn, dann unterbewusst. Es gibt immer viel zu erzählen.

Herr Stockmeier. Wie kam es denn, dass Sie mal in der DDR gefangen waren?
HS: 1956, da war ich 16, besuchte ich meine Pflegeeltern in der DDR und wurde an der Rückreise gehindert. Der Beamte auf dem Meldeamt sagte, dass ich ja Bürger der DDR sei, da ich seit 1945 in Kamenz gemeldet bin.

Was hätten Sie denn tun müssen, um ausreisen zu dürfen?
HS: Einen gesonderten Ausreiseantrag stellen. Das habe ich drei Jahre lang gemacht. Jedes Jahr einen. Der dritte wurde bewilligt.

"Plötzlich war ich für die DDR ein Sicherheitsrisiko"

Also durften Sie ausreisen?
HS: Nein. Plötzlich galt ich als Sicherheitsrisiko für den DDR-Sozialismus, weil ich in der Zwischenzeit dort gearbeitet hatte. Landwirtschaft, Härterei, Schweißen, Lkw-Fahren, Motorenwerk, Reichsbahn. Zuletzt war ich auch Mitglied der Volksarmee, in der Betriebskampfgruppe. Ich hatte inzwischen auch einen Führerschein gemacht. Raten Sie mal, mit welchem Auto ich das Fahren gelernt habe.

Mit dem Trabi P50?
HS: Ganz genau.

Also sind Sie geblieben?
HS: Nein, geflohen! Als ich mit einem Parteifunktionär in eine Schlägerei geriet - weil mich seine Verlobte zum Tanzen aufgefordert hatte - und mit Gefängnis rechnete, bin ich 1959 über Westberlin geflüchtet. Und zwar mithilfe meiner Reichsbahnuniform.

Sie sind einfach im Zug über die Grenze gefahren?
HS: So einfach war das nicht. Mit dem Zug fuhr ich abends von Kamenz los. Bis Berlin-Königswusterhausen musste ich mehrmals umsteigen und kam dort morgens um sechs Uhr an. Mit der S-Bahn fuhr ich bis Lichtenau und stieg am Ostkreuz um. Nach einigen Oststationen erreichte ich Westberlin. Ich verließ die S-Bahn an der Haltestelle Tempelhof. Um 15 Uhr flog ich in Berlin ab und landete gegen 18 Uhr in München-Riem. Bis zu meiner Rente arbeitete ich bei BMW, zuletzt als Koordinator in der Kunststoff-Prüftechnik.

Da wären wir wieder beim Trabi, der ja zum großen Teil aus Kunststoff besteht.
HS: Das stimmt.


Hans Stockmeier möchte den Trabi P50 in gute Hände geben. Wer sich für das seltene Objekt interessiert, kann ihm schreiben: zonenhans@t-online.de

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5 Kommentare
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  • Der wahre tscharlie am 01.11.2021 15:04 Uhr / Bewertung:

    Super Interview. Hatte es am Samstag schon in der WE-AZ gelesen.
    Solche Lebensgeschichten wie von den Beiden hört man selten. Bersonders die von Herrn Stockmeier. Unglaublich grinsen
    Ich hoffe, die Beiden haben noch viel Spaß miteinander und mit ihrem Trabbi.

  • Kangaroo am 01.11.2021 11:30 Uhr / Bewertung:

    Plasteschrott.

  • Frale am 01.11.2021 12:23 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Kangaroo

    Du hast keine Ahnung.. nix Plasteschrott.

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