Outing: „Liebe Kollegen, ich habe Aids!“

Weltaidstag? Michael hat ihn 365 Mal im Jahr. Er lebt seit 14 Jahren mit dem HI-Virus, die Krankheit brach bei ihm früh aus. Lange brauchte der Gärtner, um sich auch im Job zu outen.
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Er war schwer krank: Heute kann Michael (46) dank Medikamenten wieder arbeiten
Gregor Feindt Er war schwer krank: Heute kann Michael (46) dank Medikamenten wieder arbeiten

MÜNCHEN - Weltaidstag? Michael hat ihn 365 Mal im Jahr. Er lebt seit 14 Jahren mit dem HI-Virus, die Krankheit brach bei ihm früh aus. Lange brauchte der Gärtner, um sich auch im Job zu outen.

Die Diagnose war ein Schock: Mit 32 Jahren erfährt Michael, dass er HIV-Positiv ist. „Ich war verzweifelt, habe gedacht, das war’s, und mein Testament geschrieben“, erzählt der Münchner. „Nie hätte ich gedacht, dass es mich trifft.“ Das ist nun 14 Jahre her. Michael lacht. „Heute geht es mir ganz gut“. Er nimmt täglich Artzney, ist öfter mal krank, kann aber seiner Arbeit als Gärtner nachgehen.

Vor 14 Jahren war das anders. Die Immunschwäche-Krankheit Aids brach aus und griff Michaels Sprachzentrum und Gleichgewichtssinn an. „Ich konnte kaum noch sprechen oder gehen“, erzählt er. Doch Michael kämpfte im Krankenhaus, 12 lange Monate. Er schaffte es, sich die Sprache wieder anzutrainieren und lernte wieder gehen.

Sprechen konnte Michael nun wieder. Nicht aber über seine Krankheit. „Ich hatte Angst vor den Reaktionen“, sagt er. Seine Kollegen wussten, dass er schwul ist. Doch eine HIV-Infektion ist noch immer ein großes Tabu. „Zu groß ist die Angst vor Ansteckung und die Unsicherheit im Umgang mit der Krankheit“, erklärt Michael Tappe von der Münchner Aidshilfe.

Doch der Gärtner Michael muss die Krankenhausaufenthalte gegenüber seinem Chef und den Kollegen in seinem Job erklären. Er erzählt von einer geheimnisvollen Krankheit, die er sich im Urlaub eingefangen habe, eine Gehirnhautentzündung oder so was. Die Ärzte wüssten auch nichts genaues. Heute weiß Michael: „Alle Versuche, das Problem Aids zu verschweigen, verschlimmern es nur. Ich litt unter dem Druck, die Krankheit verstecken zu müssen.“

Mit der Lüge konnte Michael gerade noch umgehen. Doch nicht damit, eine Gefahr für seine Kollegen zu werden. Einmal verletzte er sich während seiner Arbeit am Kopf und blutete stark. Eine Kollegin schnappte sich Verbandszeug, um ihm zu helfen. „Fass mich bloß nicht an!“ schrie er und schubste sie von sich weg. Die Kollegin verstand die Welt nicht mehr. „In diesem Moment war mir klar, dass ich die Wahrheit sagen muss. Meine Kollegen müssen wissen, wie sie mit mir gefahrlos umgehen können.“

Obwohl Aids bereits seit fast 30 Jahren bekannt ist, wissen die Menschen immer noch wenig über die Risiken einer HIV-Übertragung. „HIV wird nur über Blut, Sperma und Scheidensekret übertragen“, erklärt Tappe von der Aids-Hilfe. „Eine Tröpfcheninfektion wie bei Erkältungskrankheiten findet nicht statt.“

Händereichen, Umarmen, gemeinsames Benutzen von Besteck, Toiletten oder Handtüchern sind unbedenklich. „Es gibt keinerlei Hinweise auf ein erhöhtes Infektionsrisiko für Menschen, die mit einer infizierten Person im selben Haushalt leben“, sagt Tappe. Nur Zahnbürste oder Rasierer sollten nicht gemeinsam benutzt werden, da über kleinere Verletzungen ein Infektionsrisiko bestehe. Doch eine stark blutende Wunde – wie Michael sie hatte – kann ein Risiko sein.

In der Mittagspause setzt Michael zum Befreiungsschlag an und outet sich im Aufenthaltsraum. Zehn Kollegen sitzen da und essen gerade ihre Brotzeit, als Michael sich vor ihnen hinstellt: „Heute möchte ich Euch etwas sagen, etwas sehr persönliches.“ Er macht eine kurze Pause, holt tief Luft: „Ich habe Aids“. Die Kollegen schweigen fassungslos, nachdem Michael sein Schweigen gebrochen hat.

„Sofort ist eine schwere Last von mir gefallen“, sagt er heute. Nach und nach sind die Kollegen zu Michael gekommen, um mit ihm persönlich zu sprechen. „Sie haben Hilfe angeboten und gesagt, dass sie zu mir stehen“, erzählt Michael. „Ich weiß, ich habe auch Glück gehabt. Bei meinen Kollegen bin ich vor Diskriminierung sicher. Das ist nicht die Regel.“ Für ihn war es der richtige Schritt: „Meine offensive Art hat mich vor der Isolation bewahrt.“ Natalie Dertinger

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