Organisiertes Verbrechen in München: Junkie-Jogging und ein Berg Koks
Der lukrativste Geschäftszweig des organisierten Verbrechens ist der Drogenhandel - auch in München. Kriminalität im Zusammenhang mit Rauschgift erlebt derzeit sogar einen Boom. Und richtig in Schwung kommt die Szene in ein paar Wochen, wenn das Oktoberfest beginnt.
Die Taschen voller Koks, die Gun in der Hand“ – die Songs von Rapper S.A.M. machten die Fahnder des Münchner Drogendezernats neugierig. Prompt erwischten sie den 27-Jährigen Deutschpalästinenser, bürgerlicher Name Sami A., als er kürzlich drei Kilo der Partydroge Amphetamin von Amsterdam nach München schmuggelte. Mit im Wagen saßen seine Freundin und sein erst fünf Monate alter Sohn. Drogenkriminalität erlebt einen Boom in München. „Im Gegensatz zum restlichen Freistaat rechnen wir in München mit einem Plus von zehn Prozent“, sagt Hubert Halemba, 1. Kriminalhauptkommissar und Vize-Chef des Münchner Drogendezernats.
Außer Sami A. ging den Fahndern dieses Jahr ein zweiter dicker Fisch ins Netz: Sven R. soll, getarnt als braver Geschäftsmann, in großem Stil Marihuana nach München geschmuggelt und verkauft haben. Fahnder stöberten den flüchtigen 38-Jährigen schließlich in Costa Rica auf. Sven R. sitzt in dem mittelamerikanischen Staat in U-Haft. „Das Auslieferungsverfahren läuft derzeit“, sagt Oberstaatsanwalt Anton Winkler.
Etwa 3500 Opiatabhängige leben nach Schätzung von Rauschgiftfahndern in München. Die Zahl der Koks-Konsumenten liegt etwa doppelt so hoch, sagen Insider. Das weiße Pulver erlebt in der Münchner Schickeria eine Renaissance. „Vor allem in der Disco- und Party-Szene ist Kokain sehr gefragt“, sagt Hubert Halemba. 100 Euro und mehr bezahlen Gutbetuchte pro Gramm auf dem Schwarzmarkt. Ecstasy und andere Pillen bekommt man dagegen bereits für einen Zehner. „Koks ist zum Statussymbol geworden“, sagt Hubert Halemba. „Unter Münchens erfolgreichen Juppies ist Kokain wieder Partydroge Nummer 1“, bestätigen Insider.
Das Institut für Biomedizinische Forschung in Nürnberg schätzt, dass auf 1000 Münchner 17 Koks-Nasen kommen. Über Rückstände im Isarwasser rechneten die Wissenschaftler hoch, wie viel Koks in der Stadt konsumiert wird: angeblich knapp 900 Kilo pro Jahr. „Das ist pure Spekulation“, betont die Polizei.
Weitaus mehr macht den Fahndern zu schaffen, dass die Szene zunehmend konspirativ agiert. Süchtige und Dealer treffen sich im Privaten, auf Partys, in Wohnungen, zu denen Polizisten naturgemäß nicht so einfach Zutritt bekommen. „Wir beobachten immer häufiger geschlossene Versorgungskreise. Das erschwert die Ermittlungen enorm“, betont der Vize-Chef des Drogendezernats.
Früher war die Szene transparenter: Joints bekam man am Monopteros, Heroin am Hauptbahnhof. „Heute läuft viel über private Kontakte“, erzählt ein Fahnder. „Wir sitzen der Szene permanent im Nacken, deshalb ist sie auch ständig in Bewegung.“ Junkie-Jogging, heißt das Jargon. Sobald sich die Szene an einem Ort festzusetzen droht, so wie momentan im Herzog-Wilhelm-Park zwischen Sendlinger Tor und Stachus, tauchen verstärkt Polizisten dort auf. So wurden Junkies von Drogenbrennpunkten in der Schützen- und Landwehrstraße, vom Orleansplatz und am Sendlinger Tor vertrieben.
Synthetische Drogen wie Speed und Ecstasy werden dagegen noch immer vor allem in Discos, beispielsweise der Kultfabrik oder dem Optimolgelände gehandelt. 4700 Ecstasy-Pillen, 3,6 Kilo Amphetamin, 65 Kilo Cannabis, 4,9 Kilo Heroin und 3,5 Kilo Koks wurden im vergangenen Jahr in München beschlagnahmt. Die Fahnder des Drogendezernats absolvierten über 1000 Einsätze. 600 Verdächtige nahmen sie fest. 6000 Straftaten weist die jüngste Polizeistatistik im Zusammenhang mit Drogen aus. Münchner Drogenfahnder bezeichnen die Lage als „unverändert kritisch“.
Richtig in Schwung kommt die Münchner Koks-Szene in ein paar Wochen, wenn das Oktoberfest beginnt. Vor allem in den Zelten, in den die Schickeria feiert, sind dann auch die Drogenfahnder wieder unterwegs. „Hubert Halemba: „Wir werden uns drauf vorbereiten.“ Außerhalb der Zelte sind auf der Wiesn zwölf Überwachungskameras installiert. Auch den Hügel zu Füßen der Bavaria haben sie im Blick. Der heißt bei den Fahndern „Shit-Hügel“ – und das liegt nicht nur an den wilden Bieslern, die man dort antrifft.
Ralph Hub
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