Organisierte Ausbeutung von Mensch und Tier

Immer mehr Bettler in München haben junge Hunde dabei, um Mitleid zu erregen. Viel spricht dafür, dass sie selbst ausgenutzt werden.  
von  Natalie Kettinger
Abends vor einem Telefonkarten-Geschäft auf der Schwanthalerhöhe: Mehrere Bettler scharen sich mit ihren Hunden um einen dunkelhaarigen Mann, der offenbar Anweisungen gibt...
Abends vor einem Telefonkarten-Geschäft auf der Schwanthalerhöhe: Mehrere Bettler scharen sich mit ihren Hunden um einen dunkelhaarigen Mann, der offenbar Anweisungen gibt... © Petra Schramek

Immer mehr Bettler in München haben junge Hunde dabei, um Mitleid zu erregen. Viel spricht dafür, dass sie selbst ausgenutzt werden.

München - Mittags im Tal: Zwischen Burgstraße und Isartor sitzt alle paar Meter ein Bettler – am Alten Rathaus, vor der Sparkasse, an der Bushaltestelle, beim Brillenladen. Mitleid erregend sehen sie aus, auch wenn viele Menschen, die an ihnen vorbei gehen, sich schon an den Anblick gewöhnt haben. Die meisten Bettler stammen aus den armen Regionen Osteuropas.

Während in einer der reichsten Städte Deutschlands der Weihnachts-Wahnsinn tobt, versuchen sie, ein paar Euro abzubekommen.

Immer wieder wird darüber spekuliert, ob sie organisiert sind und dabei selbst ausgebeutet werden. Einiges spricht dafür – zum Beispiel eine aktuelle Besonderheit: Neuerdings haben immer mehr Bettler Hunde dabei, oft Welpen. Das sorgt zunächst einmal bei Tierschützern für Empörung. „Damit erhöhen sie den Mitleidsfaktor“, sagt die Münchner Tierheilpraktikerin Nessi Marzourk. Sie habe beobachtet, dass manche Welpen krank seien. Andere würden betäubt, damit sie nicht herumtollen. „Ich kann definitiv feststellen, wenn ein Hund ruhiggestellt ist“, bekräftigt Mazourk.

Der Tierschutzverein fordert deshalb, das Betteln mit Hunden in München zu verbieten.

Anders, so scheint es, ist den Hunde-Bettlern nicht beizukommen. Polizei-Sprecher Peter Beck berichtet, dass Beamte wiederholt Tierärzte hinzugezogen hätten, um Hunde und Halter zu überprüfen. Auf sedierte Tiere sei man dabei nicht gestoßen. „Aber es wurde öfter festgestellt, dass der Impfschutz fehlte, und das wurde dann zur Anzeige gebracht.“ In solchen Fällen landet der Hund im Tierheim, wird geimpft und kann nach 21 Tagen wieder abgeholt werden. Vorausgesetzt, der Halter erstattet die Kosten.

Doch verschwindet ein Hunde-Bettler von seinem Stammplatz, rückt schnell ein neuer nach. Ist dessen Welpe gesund und geimpft, könnten die Beamten nur unter bestimmten Voraussetzungen eingreifen, sagt Peter Beck: Wenn in der Fußgängerzone oder auf der Wiesn um Geld gebeten werde, denn dort ist Betteln grundsätzlich verboten. Ein Platzverweis oder ein Bußgeld sind auch fällig, wenn aggressiv oder organisiert vorgegangen wird. „Wir vermuten, dass die Hunde-Bettler bandenmäßig organisiert sind. Wir konnten es aber noch nicht beweisen.“

Dabei gibt es deutliche Hinweise darauf, dass die Hunde-Bettler miteinander vernetzt sind: Schriftstil und Rechtschreibfehler auf den Pappschildern, die sie vor sich aufstellen, sind oft ähnlich. Zum Beispiel wird darauf oft um eine Spende für „maine Hund“ gebeten.

Ein großer weißer Rüde tauchte in Begleitung verschiedener Männer am Alten Rathaus auf, wie die Bilder der AZ-Fotografin oben beweisen. Mittags versorgen sich die Frauen und Männer gegenseitig mit Nahrungsmitteln: Zwei oder drei ziehen von Bettelplatz zu Bettelplatz und verteilen Fastfood.

Am Abend sind Bettler und Hunde regelmäßig vor einem Telefonladen auf der Schwanthalerhöhe anzutreffen. Als die AZ sie dort beobachtet, gibt ein Dunkelhaariger den anderen Anweisungen. Mehrere Männer verlassen den Laden mit Kaffeebechern in den Händen. Die Pappgefäße sind leer. Nach etwa einer Stunde verschwinden die Bettler im Schutz der Dunkelheit.

In kleinen Gruppen, möglichst schnell und möglichst unauffällig. Spricht man die Bettler an, verraten sie zwar, wie ihr Hund heißt und wie alt er ist. Manche erzählen auch, aus welchem Land sie kommen. Auf alle weiteren Fragen folgt – begleitet von nervösen Blicken nach allen Seiten – stets dieselbe Antwort: „Nix verstehen!“ Vielleicht stimmt das. Sicher ist: Diese Menschen haben Angst. „Skrupellose Schleuser karren sie gezielt in die großen Städte Westeuropas, um auf ihrem Rücken Geschäfte zu machen“, sagt Tierschützerin Nessi Mazourk.

Das Prinzip ist bekannt und immer gleich: Mit der Aussicht auf einen guten Job werden die Frauen und Männer aus der Slowakei, Bulgarien, Rumänien oder Ungarn von Schleppern nach Deutschland gelockt. Ordentlich verdienen dann aber nur die Hintermänner.

Fachleute machen diese Rechnung auf: Wenn ein Hintermann zehn Bettler in München für sich arbeiten lässt, von denen jeder täglich 100Euro sammelt, sind das 1000 Euro am Tag – und 30000 im Monat. Schwarzgeld. Ein gutes Geschäft. Die Bettler selbst werden mit geringen Beträgen abgespeist und in billigen Pensionen einquartiert. „Das läuft ähnlich wie bei der Zwangsprostitution“, sagt Mazourk.

Woher die Hunde stammen, kann die Münchnerin nur vermuten. Einmal hat sie einem Bettler seinen Welpen abgekauft und ihn untersuchen lassen. Er war krank, verwahrlost und verkrüppelt. „Ich glaube, dass diese Welpen aus illegalen Zuchten stammen. Sie sind Wegwerfprodukte, die am Markt nichts wert sind und nach Belieben ersetzt werden können.“

Hat sie Recht, unterstützen ahnungslose Tierfreunde, die den Hunde-Bettlern Geld in ihre Pappbecher werfen, beides: die Ausbeutung von Mensch und Tier.

 

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