Opfer von Schock-Anruf erzählt: "Mir war klar, das ist Schwindel"

München - Sein erster Satz am Telefon hat den falschen Kommissar sofort als Lügner überführt: "Ihre Tochter hatte einen Autounfall." Mehr musste der Mann gar nicht sagen und Hubert Gärtner wusste sofort, dass ihm jemand einen gewaltigen Bären aufbinden will. Denn der 81-jährige Rentner aus München hat überhaupt keine Tochter.
Falsche Tochter, wo es doch keine Tochter gibt
Im Hintergrund schluchzte und weinte eine Tochter, die es überhaupt nicht geben konnte. Der falsche Kommissar spulte die übliche Räuberpistole ab - die Tochter habe einen Vater von zwei kleinen Kindern überfahren, der Mann sei tot, die Familie verfüge nicht einmal über Geld, um ein anständiges Begräbnis zu bezahlen.
Hubert Gärtner kam spontan eine Idee, er wollte dem Gauner eine Falle stellen. Deshalb erfand er kurzerhand eine Tochter, nannte sie Annette Kurz und erfand für sie auch gleich noch eine falsche Adresse in Untergröningen. Der Gauner schluckte den Köder.
Spontanes Schauspieltalent
Hubert Gärtner entwickelt in der Situation ein ungeahntes schauspielerisches Talent. Er geht tatsächlich zur Bank, weiht dort eine Kassiererin ein. Was ihm der falsche Kommissar eigentlich explizit verboten hatte. Mit einem Kuvert voller Papierschnipsel geht er wieder nach Hause. Er schnauft und japst am Telefon, als sei er völlig außer Puste. "Ich muss erst einen Schluck Wasser trinken", sagt Hubert Gärtner.
"Innerlich hab ich dabei gelacht", sagt der 81-Jährige, der Gauner ist ihm auf den Leim gegangen, hofft auf eine Kaution über 50.000 Euro. Als Hubert Gärtner ihm erzählt, er habe nicht so viel Geld, fängt der Mann an zu feilschen wie auf einem Basar. Der Rentner kann ihn auf etwas mehr als 20.000 Euro herunterhandeln.
Schon das zweite Mal in drei Jahren
Es ist das zweite Mal, dass Hubert Gärtner von einem Trickbetrüger angerufen wird. Vor gut drei Jahren wollte ihn einer mit der Enkeltrickmasche hereinlegen und scheiterte. "Deshalb war ich gut vorbereitet", sagt der 81-Jährige. Die Rolle des hilflosen Seniors, der sich nur noch Sorgen um seine Tochter macht, geht ihm flott von den Lippen. Auch, als ihm der Anrufer unverhohlen droht: Falls Hubert Gärtner etwas verraten sollte, werde der Fall öffentlich und die Medien informiert. Ein Bluff. Der 81-Jährige spiel weiter mit. Dabei hört längst die echte Polizei mit. Neben dem Festnetzanschluss liegt das Handy von Hubert Gärtner, verbunden mit der Einsatzzentrale im Präsidium. Jedes Wort des falschen Kommissars wird aufgezeichnet.
Um andere Menschen vor der Masche zu warnen, beteiligt sich Hubert Gärtner an einer Aufklärungskampagne. Mit seiner Hilfe entstand ein Video, das das Präsidium am Donnerstag vorstellte. Man hört die Stimme des Mannes, bekommt ein Gefühl, wie er und seine Komplizen vorgehen, wie sie geschickt und eiskalt ihre Opfer in die Enge treiben:
Video:
Münchner Rentnerin verliert all ihre Ersparnisse

„Angst schaltet das Misstrauen aus“
Die „Sorge um meine Enkelin hat alles überdeckt“, erzählt die 86-Jährige. Die Münchnerin dachte nur noch daran, dass sie dringend ihre Hilfe braucht. Alles andere war nebensächlich. „Ich stelle mir noch heute die Frage, wie ich so hereingelegt werden konnte“, sagt die Seniorin, die ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will. „Ich kannte die Masche mit den Schockanrufen, nie hätte ich gedacht, dass ich einem Fremden Geld gebe.“
Dabei gab es bei dem Telefonat einen Moment, bei dem sie sofort misstrauisch wurde. „Der ‘Kommissar’ behauptete zu Beginn, meine Enkelin habe eine Schwangere überfahren, das Kind im Mutterleib sei tot.“
Dann passierte dem Anrufer ein dummer Fehler. Plötzlich war es keine Schwangere mehr, sondern eine Mutter mit einem sieben- oder achtjährigen Kind, die gestorben war. Dann hörte die Rentnerin im Hintergrund wieder eine Frau herzzerreißend weinen, „die Angst schaltete das Misstrauen aus“, sagt die 86-Jährige. „Da gab es einen Punkt, ab da habe ich nur noch das gemacht, was mir der Mann gesagt hat“, erzählt die 86-Jährige.
Sie räumte ihr Sparbuch leer, kratzte zu Hause Geld zusammen und übergab alles später an der Haustür einem Mann, der angeblich Marek hieß. Er verschwand mit insgesamt 15.000 Euro.