Open-Air-Disco: So war "München tanzt wieder"
München - Es wird wieder gefeiert in München: Auf einer Open-Air-Disco am Maximiliansplatz tanzen am Freitag mehrere Hunderte Münchner. Die AZ hat sich eine Nacht lang umgeschaut.
20.12 Uhr: Der Bass hallt einem schon auf dem Weg vom Stachus zum Maximiliansplatz entgegen. Dort angekommen bietet sich ein ungewohnter Anblick: Die kleine Grünfläche neben dem Nachtclub "Pacha" ist umzäunt, davor stehen Menschen Schlange, daneben alle paar Meter ein Ordner in einer grünen Weste. An diesem Freitagabend startete ein Experiment: Eine Open-Air-Disco, veranstaltet unter anderem vom Pacha-Mitbegründer Tom Hilner, unter dem Titel "München Tanzt Wieder".

Vom 3. bis zum 18. September. kann hier jeden Donnerstag-, Freitag- und Samstagabend gefeiert werden. Wer vorab an eine der begehrten Karten gekommen und geimpft, genesen oder getestet ist, darf hier endlich wieder an einer der ersten legalen Partys seit Beginn der Pandemie teilnehmen.
Open-Air Disco in München: Endlich wird wieder gefeiert
20.31 Uhr: An der Abendkasse müssen die Gäste den Personalausweis vorzeigen, aber nicht (nur) um zu belegen, dass sie alt genug zum Weggehen sind, sondern vor allem um die Gültigkeit ihres Impfpasses zu bestätigen - erst dann dürfen sie aufs Gelände. Vor einer kleinen Bühne rahmt ein Stahlgerüst mit Lichtmaschine und Lautsprecher-Boxen den Dance-Floor ein. Rechts und links davon zwei Bars, eine ist mit einem riesigen Red-Bull-Zelt überdacht. Am Rand stehen Bierbänke und ein Food-Truck, der noch nicht offen hat - und vor dem drei Mädels warten. Auf der Tanzfläche stehen schon ein paar Gäste, tanzen aber noch nicht, sondern unterhalten sich nur und wippen dabei etwas zur Musik. Sind sie nach zwei Lockdowns aus der Übung?
20.48 Uhr: Tom Hilner ist die ganze Zeit in Bewegung, spricht in einem Moment noch an der Abendkasse mit seinen Kollegen und im nächsten schon mit jemandem hinter der Bar. "Es groovt gut! Die Leute freuen sich, wieder feiern zu dürfen", ruft er über den dröhnenden Beat, "Und wir haben Glück - heute ist gutes Wetter. Wir haben ursprünglich mit 400 Leuten kalkuliert, dann standen auch mal 1.000 im Raum. Mit 600 Gästen haben wir jetzt mit der Stadt einen Kompromiss gefunden."
Pascha-Mitbegründer Hilner macht mit der Party wahrscheinlich keinen Gewinn
Die Party war dabei alles andere als leicht zu organisieren: Lieferanten, Gastro-Mitarbeiter und Veranstaltungstechniker waren über eineinhalb Jahre in Kurzarbeit. Um ein solches Event spontan auf die Beine zu stellen, muss er bei der Suche nach einem Team teilweise wieder von vorne anfangen. Und dabei geht Hilner ohne Gewinn raus, macht wahrscheinlich sogar Verlust. In dem Fall springt dann aber die Stadt ein und unterstützt ihn mit bis zu 20.000 Euro.
Warum dann die ganze Mühe, wenn am Ende nichts rausspringt? "Deswegen!", ruft Hilner und deutet auf die tanzende Menge, "Wir konnten fast zwei Jahre nicht unserer Arbeit nachgehen. Aber das ist unsere Leidenschaft, wir wollen wieder Partys machen".
"Partys machen ist wie Radlfahren - das verlernt man nicht!"
Dass nach dieser langen Zeit wieder so viele Menschen an einem Ort dicht aneinandergedrängt stehen, fühlt sich für ihn noch eigenartig, aber ziemlich gut an: "Partys machen ist wie Radlfahren - das verlernt man nicht!"
21.22 Uhr: Der Foodtruck hat endlich offen. Es gibt Würschtl und Crêpes, die drei jungen Frauen haben jetzt jede einen Papierteller mit Essen und kauen zufrieden. In ihrer Nähe stehen auch Sophiane (30) und George (31): "Ich bin so froh, dass sozialer Kontakt endlich wieder möglich ist. Davor habe ich mich gefühlt wie eine Ratte im Käfig, jetzt läuft man hier durch die Menge, berührt im Vorbeigehen jemand anderen zufällig, das tut einfach gut", sagt Sophiane. Den Gedanken eines Open-Air-Clubs findet sie super: "In einem Club ist es immer stickig, voll und laut. Man kann sich nicht unterhalten. Hier kann man einfach an den Rand gehen und sich auf eine Bierbank setzen, das ist super."
George fügt hinzu: "In Griechenland gibt es nur Partys unter freiem Himmel, das kenne ich da gar nicht anders. Das sollten wir hier auch mehr machen!"

Großer Andrang an der Bar
21.54 Uhr: Simon, Dominik, Freddi, Niklas und Mika stehen an einem der runden Tische abseits der Tanzfläche. Sie müssen noch aufholen: "Man musste schon um 20 Uhr da sein. Und wenn man einmal drin ist, kann man nicht mehr das Gelände verlassen, sonst kommt man nicht mehr rein", sagt der eine. "Das hat es total stressig gemacht mit dem Abendessen", der andere.

"Wir hatten gar keine Gelegenheit zum Vorglühen. Ich kann mir ja schlecht auf der Arbeit schon einen reinstellen - und jetzt müssen wir uns den teuren Alkohol von hier kaufen." Das Getränke-Angebot reicht dabei aber auch noch nicht ganz an das Club-Niveau von früher heran. Es gibt Giesinger Bier aus kleinen 0,3-Liter-Flaschen, Weißwein und - in Plastikbechern - die klassische Dreifaltigkeit der Longdrinks: Vodka-Bull, Gin-Tonic und Whiskey-Cola.
Einen der Drinks zu bekommen, ist aber auch gar nicht so leicht. Die Veranstalter haben nämlich ein Pfand-System eingeführt, und so stehen an der Bar nicht nur Durstige, sondern auch die Pechvögel, die sich bereiterklärt haben, für ihre Gruppe das Leergut zurückzubringen. Mit einem riesigen Stapel Becher in der einen und einem Haufen Pfandmarken in der anderen Hand lehnen die jetzt an der Theke und müssen eine Menge Geduld mitbringen. Denn auf 30 Gäste kommen gerade mal zwei Kellner, die bei dem Andrang alles andere als hinterherkommen.
"Ich habe das Gefühl, die Leute sind noch etwas zurückhaltend"
"Es kommt mir vor, als wären die Kellner überrascht, dass so viele Leute da sind. Vielleicht gibt es nach eineinhalb Jahren auch einfach nicht mehr so viel Gastro-Personal", sagt Pia (31), "Ich dachte, es wäre eine bessere Stimmung. Ich habe das Gefühl, die Leute sind noch etwas zurückhaltend", fügt Anna (26) hinzu. "Ich war vor kurzer Zeit in einem Club in Innsbruck. Das war in einem Innenraum und die Stimmung war super."

Zeit zum Auftauen in der Menge hat sie nicht gebraucht, "aber ich hatte das Gefühl, dass ich am nächsten Tag etwas ausgebrannter war, als früher. Ich wollte danach ein paar Tage nicht mehr so viel Leute sehen."
23.04 Uhr: Die Schlange vor dem Eingang geht jetzt einmal ums Eck und beinahe das gesamte Partygelände entlang. Hier hat sich jetzt auch eine Parallel-Party gebildet, Menschen stehen in Trauben zusammen, trinken Bier und lassen sich über den Zaun von der Musik beschallen. Im Gebüsch neben dem Pacha knacken die Äste, dann kommen auf einmal zwei Gestalten aus dem Dunkel gerannt. Sie sind heimlich über den Zaun gesprungen, spurten jetzt über die Wiese und verschwinden unter den anderen Gästen, noch bevor sie der Security-Mitarbeiter erwischen kann. Die Leute wollen auf die Party.
Als der DJ die Elektro-Hits auspackt, jubelt die Menge vor der Bühne über die Klänge des Synthesizers und tanzt ausgelassen. Die Stimmung ist dann doch noch gekommen. Am Lieferanten-Eingang des Pacha, ein Stück entfernt von der Party, steht Tom Hilner mit ein paar Kollegen. Auf einem kleinen Tisch ein Kübel mit Eis, darin ein paar kühle Getränke. Sie stoßen an. Es war vielleicht ein etwas holpriger Anfang, aber immerhin: München tanzt wieder.
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