"Online-Dating-Burnout": Tindern, bis der Arzt kommt

Laut Medienberichten sind drei Millionen Deutsche krank vom Onlinedating. Das ist zwar stark übertrieben, doch viele Menschen sind trotzdem von der Partnersuche ausgelaugt. Wann wurde es eigentlich so schwierig, sich zu verlieben?
Bernhard Hiergeist |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
3  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Menschen online kennenzulernen ist heute Normalität. Ein gewisses Unbehagen bleibt.
Menschen online kennenzulernen ist heute Normalität. Ein gewisses Unbehagen bleibt. © IMAGO / Silas Stein

München - Nostalgiker mögen es bedauern, aber die Zeiten haben sich geändert: Dass sich zwei Menschen in einer Bar, im Theater oder beim "Tanz" kennenlernen, scheint eine Seltenheit geworden zu sein. Fast jeder dürfte Paare kennen, die über App oder Onlineplattform zueinander fanden, möglicherweise sogar geheiratet haben. Aus flüchtigen Liebeleien auf Tinder sind auch schon Kinder entstanden. Jeder zweite Deutsche hat laut einer Studie des Bundesverbands Informationswirtschaft (Bitkom) schon online gedatet, in der Gruppe der 16- bis 29-Jährigen waren es sogar 77 Prozent.

Ein gewisses Unbehagen aber bleibt. Darf die natürlichste Sache der Welt so unnatürlich eingefädelt werden? Und kürzlich brach sich dieses Unbehagen wieder Bahn: Online-Dating-Burnout! Allein in Deutschland drei Millionen Menschen betroffen! Exzessives Dating macht Millionen Deutsche krank! So stand das etwa bei vielen Medien zu lesen. Deckte sich das nicht mit dem, was man insgeheim vermutete? Dass wer durch gar zu viele Profile klickt oder wischt, sich nicht wundern muss, wenn er abstumpft und das gar Geist und Seele lädiert? 

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Zurück gehen die aufgeregten Schlagzeilen auf ein Interview, das die Wirtschaftspsychologin Wera Aretz gegeben hatte. Aretz lehrt und forscht an der Fresenius-Hochschule in Köln, unter anderem zu Auswirkungen des Onlinedatings. Gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sprach sie über die Ergebnisse einer Berfragung mit knapp 2.500 Teilnehmenden: "Manche Menschen berichten von tollen Erfahrungen", andere dagegen seien nur erschöpft und frustriert. 

Online-Dating auf Apps kann die Konzentration schwächen

Diese Gefühle können sich laut Aretz zu einer Belastung entwickeln, die mit einem klassischen Burn-out vergleichbar sei, also einer Art Erschöpfungssyndrom bzw. dem Gefühl des Ausgebranntseins, das auf Stress und Überforderung zurückgeht. Gegenüber der KNA schilderte Aretz die Aussagen von Betroffenen: "Seitdem ich Online-Dating ausübe, bin ich den Menschen gegenüber gleichgültig geworden. Es interessiert mich nicht wirklich, was aus diesen Kontakten wird." Mitunter sinke auch die Konzentration; Profile und Nachrichten würden nur flüchtig erfasst. Umgerechnet auf die Zahl derjenigen, die entsprechende Angebote nutzten, schätzte Aretz, dass in Deutschland mehr als drei Millionen Menschen von diesem Problem betroffen seien.

Daher stammt also die Marke der drei Millionen, die von vielen Medien etwas alarmierend aufgegriffen wurde. Insgesamt drückte sich die Psychologin aber eher vorsichtig aus, benutzte selbst den Begriff "Online-Dating-Burnout" überhaupt nicht. Sie sagte: Wenn eine Person schlechte Erfahrungen mache, könnte es sein, dass sie Symptome entwickle, die denen eines klassischen Burn-outs ähnlich seien. Dass wirklich Menschen deswegen in Behandlung sind, ist kaum zu überprüfen. Bei der Psychotherapeutenkammer Bayern heißt es auf Anfrage: "Leider liegen uns hierzu keine Informationen vor", man könne auch keine weiteren Ansprechpartner empfehlen.

Klingt also nicht nach einem gravierenden kollektiven Übel, das umgeht. Und trotzdem: Dass das Onlinedating ganz eigene Gesetzmäßigkeiten und eben auch Probleme mit sich bringt, dürfte klar sein. Ghosting, Mobbing, Vorspiegelung falscher Tatsachen, Lügen: Es war schon mal leichter, sich zu verlieben, hat es den Anschein. 

Von Tinder zu Bumble: Immer neue Dating-Apps poppen auf

Immer wieder poppen neue Apps hoch, immer wieder liest man Meldungen von neu eingesammelten Start-up-Milliarden, immer mal wieder hat ein neues Start-up möglicherweise die perfekte Formel entwickelt, mit der sich der perfekte Partner nun aber wirklich herbeirechnen lässt. Von OkCupid zu Tinder zu Bumble zu Hinge zu Lovoo, von Plattform zu Plattform muss der Schwarm weiterziehen, immer auf der Suche nach neuen Verheißungen. Aus der Suche nach dem richtigen Partner kann da auch mal eben die Suche nach dem richtigen Verkupplungsalgorithmus werden. 

"Diese Apps kommen und gehen seit Jahren", sagt Andreas Meran. Immer mal wieder ploppe etwas auf, versuche das Rad neu zu erfinden, sammle gut und gerne ein paar Milliarden an Kapital ein, und dann breche der Börsenkurs doch wieder ein. Vieles scheitere dann sehr schnell, sehr leise wieder, sagt Meran. "Wir sehen das mit einer gewissen Gelassenheit."

Schon Ende der 1990er gründete Meran gemeinsam mit Alexander Haslberger die "Münchnersingles", eine Plattform, die Menschen zu verschiedenen Aktivitäten zusammenbringen wollte. Nach und nach entstanden auch in weiteren Städten wie Berlin, Stuttgart oder Wien Ableger, die heute alle unter dem Dach der App "Funkenflug" zusammengefasst sind.

Lesen Sie auch

Der Unterschied zu anderen Datingapps: Meran und sein Team halten engen Kontakt zu ihren Usern, treffen sie in allen Städten persönlich und erfahren, was sie umtreibt oder plagt, oder welche Features sie sich wünschen. Dazu werden Events oder Ausflüge veranstaltet. "Die Plattform richtet sich an Singles, und nicht jeder verspürt da den gleichen Druck, einen Partner zu finden", sagt Meran. Manch einer lerne über "Funkenflug" den späteren Partner kennen, manch einer nur einen guten Freund – und datet anderswo. "Letztendlich geht es darum, im realen Leben Leute zu treffen", sagt Meran. "Was so frustrierend ist, ist doch, dass man wischt und wischt und wischt – aber es passiert einfach nichts." 75 Milliarden Matches hat zum Beispiel Tinder im Jahr 2023 ermöglicht, wie das Unternehmen selbst mitteilt. Geschätzt nur aus jedem 1000. Match wird jedoch auch ein richtiges Treffen, wie Tinder zum 10. Jubiläum 2022 angab.

Partnersuche online kann zur Sucht werden

"Viele schreiben massig Leute an, gehen überhaupt nicht mehr aufeinander ein – natürlich ermüdet das die Leute", sagt Meran. Mit den "Funkenflug"-Events wolle man auch den Druck rausnehmen. Wenn man gemeinsam auf den Berg gehe und sich gut unterhalte, muss sich da ja keine Partnerschaft ergeben. Vielleicht sei es auch einfach nur ein Gespräch mit einem sympathischen Menschen.

"Teilweise ist die Partnersuche ja bei manchen schon zu einer regelrechten Sucht verkommen", sagt Roswitha Wolf von der Münchner Partnervermittlung Charisma. "Die sehen dann vielleicht gar nicht mehr die Person, die wirklich zu ihnen passen würde und gehen bloß auf Äußerlichkeiten." Gemeinsam mit einer Kollegin vermittelt Wolf seit den 1990ern Menschen von Anfang 30 bis Mitte 60 und kann auf einige Erfolge verweisen, die sie teilweise auch auf der Webseite präsentiert.

"Durch die Apps werden natürlich auch so Wunschbilder geschürt", sagt Wolf. Die Bilder seien oft das Einzige, was wahrgenommen wird, nicht Beruf, Hintergrund, Bildung – ganz unabhängig von der Ausbildung – oder persönliche Interessen. "Auch das soziale Niveau sollte irgendwie passend sein", sagt Wolf. Es gehe um sehr viele kleine Parameter. "Alles Mögliche kann man in der Schule lernen – aber nicht, mit einem potenziellen Partner umzugehen." Wem dann auch noch in der Kindheit ein solcher Umgang seitens der Eltern nicht vorgelebt wurde, sei dann noch mehr gebrandmarkt.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Letztendlich komme es drauf an, ob Sympathie da ist. "Wenn die Lebensumstände zweier Menschen ähnlich sind, kann es sein, dass das schneller zum Erfolg führt, als wenn man sich durch Tausende Profile in irgendeiner App klickt."

Wird‘s irgendwann wieder leichter, das mit dem Dating? "Es dreht sich so viel um Respekt", sagt Wolf, "und gleichzeitig ist die Gesellschaft momentan so respektlos wie nie zuvor". "Die Leute explodieren heute bei kleinster Kleinigkeit, regen sich über Dinge auf, die völlig irrelevant sind." Das spiegle sich auch in der Partnersuche wider. "Alles ist schnell, wach, gedrängelt, von allen Seiten – die politische Lage ist so unübersichtlich, der Druck durch die Arbeit ist auch noch da. Die Probleme sind so vielfältig, dass man eigentlich nur noch raus in die Natur gehen und die Seele baumeln lassen sollte."

"Stattdessen belagern sich die Menschen dann noch mit der sogenannten Partnersuche in Apps", sagt Wolf. "Das ist doch crazy. Wie soll das Gehirn das alles verarbeiten?"

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
3 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • am 29.03.2024 09:06 Uhr / Bewertung:

    Vielleicht sollten die „vom Onlinedating kranken“ Leute mal wieder ihren Realleib vor die Haustür wuchten und sich mal ganz gesund auf echte Interaktionen mit anderen Menschen einlassen? So ganz angstfrei und ohne „Maske“!?

  • FRUSTI13 am 28.03.2024 19:42 Uhr / Bewertung:

    Beziehungen entstehen nur, wenn man nicht mit einer festgenagelten Idealvorstellung an die Partnersuche geht. Kompromisse, Toleranz und aufeinander zugehen, sind die Schlüssel zum Kennenlernen und daraus eine Beziehung entstehen zu lassen. Leider sind diese Schlüssel aber bei sehr vielen verloren gegangen!

  • Urmel_auf_Eis am 28.03.2024 17:18 Uhr / Bewertung:

    Ich bin kein User. Ich bin Mensch.
    Und als Mensch wirke ich. Positiv oder negativ.
    Die Grundfrage ist doch, welche Erwartungshaltungen erfüllt seien sollen.
    Man kann sich nicht jemanden wie aus einem Katalog via Bild oder Eigeneinschätzung suchen.
    Man selber und/oder der potentielle Partner haben eigene Einstellungen und Sichtweisen zum Leben.
    Das ist ein Prozess, der unterschiedliche Lebensgefühle erweckt.
    Wir werden überbrandet mit Idealvorstellungen.
    Das Leben ist kurz und relativ einfach.
    Der eine mag Jetset, der andere Home-sweet-Home, und einer Garten und Gelassenheit.
    Das stellt sich erst im Laufe des Lebens ein.
    Optik und Gefühl sind primär.
    Offenheit und Eigenreflexion führen zum gewollten Ergebnis.
    Wer das nicht spürt oder lebt, kann auch keine Beziehung eingehen und überstehen.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.