Interview

Oma-Opa-Service: Leih-Großeltern für Familien

Die einen wünschen sich Enkel – die anderen vermissen Großeltern. Beide zusammen bringt der Oma-Opa-Service, der ehrenamtliche Leih-Großeltern in Familien vermittelt. Was genau erlebt man da?
von  Irene Kleber
Vorlesen macht Freude, selbst wenn der Vorleser nicht der echte Opa und das Kind nicht die echte Enkelin ist.
Vorlesen macht Freude, selbst wenn der Vorleser nicht der echte Opa und das Kind nicht die echte Enkelin ist. © imago/Westend61

München - Kinder allein erziehen ist nicht leicht. Und umso schwerer, wenn es keine Großeltern in der Nähe gibt, die die Kleinen mal betreuen. Die Aufsatzschreiben helfen. Die die Welt erklären, wenn die berühmten Warum-Fragen kommen. Umgekehrt vermissen Senioren ohne eigene Enkel ein Leben mit Kindern.

Oma-Opa-Service: So finden Enkel und Großeltern zusammen

Um beide zusammenzuführen, hat die evangelische Kirche vor 15 Jahren den "Oma-Opa-Service" gegründet, bei dem Senioren ehrenamtlich ausrücken, um Kinder zu betreuen, die keine Großeltern haben. Wie ist das also, Leih-Opa zu sein? Das erzählt der ehemalige Buchbinder und Behindertenbetreuer Karl Weikersdorfer (74), der in Haidhausen wohnt.

Karl Weikersdorfer (74)
Karl Weikersdorfer (74) © Daniel von Loeper

AZ: Herr Weikersdorfer, Ihr Sohn lebt in den USA und hat gar keine Kinder. Sie sind vor fünf Jahren trotzdem Opa geworden. Wie haben Sie denn das hinbekommen?
KARL WEIKERSDORFER: Da schauen Sie, gell? Ich hatte damals eine Herz-Operation gut überstanden. Und mir ist der Gedanke in den Kopf gekommen, wie viel Glück ich im Leben schon gehabt habe. Und dass es Zeit ist, dass ich mal etwas zurückgebe. Ich habe bei der katholischen Kirche gefragt, ob sie etwas für mich zu tun hätten. Die konnten mich aber nicht brauchen. Dann bin ich bei der evangelischen Kirche auf den Oma-Opa-Service gestoßen.

Ersatz für Kinder ohne eigene Omas und Opas

Wie muss man sich die Vermittlung da vorstellen?
Im Büro lag ein fünf Zentimeter dicker Papierstapel. Jedes Papier eine Münchner Familie, die Leihgroßeltern sucht, weil es keine eigenen Omas und Opas für die Kinder gibt. Ich habe die Familie herausgefischt, die am nächsten zu mir wohnt. Am Candidplatz, also zehn Minuten mit dem Auto.

Und dann sind Sie da einfach hingefahren?
Ja, nachdem ich ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorgelegt habe, und nach einem Telefonat mit der alleinerziehenden Mutter. Sie ist Peruanerin und betreut in der Altenpflege Komapatienten, auch im Schichtdienst. Ihr kleiner Sohn Antonio war damals gerade vier und im Kindergarten.

Hallo Opa! - "Ich war quasi vom Fleck weg einkassiert"

Wie hat sich das angefühlt, als Sie da geklingelt haben?
Ich habe gar keine Zeit gehabt da drüber nachzudenken. Weil da ging die Tür auf, ein kleiner Bub mit großen Kulleraugen kam heraus, hat mich angestrahlt und gesagt: Hallo Opa! Ich war quasi vom Fleck weg einkassiert, da hast du keine Chance mehr, einen Rückzieher zu machen. Das ist, wie wenn dir eine kleine Katze auf den Schoß hupft.

Och.
Die Mutter hat mir später erzählt, dass der Antonio erst vor ein paar Tagen aus dem Kindergarten heimkam und bitter geweint hat.

Warum?
Weil alle in seinem Kindergarten eine Oma und einen Opa haben, bloß er nicht. Ja, und dann kam ich daher.

Mit den Enkeln auf den Spielplatz oder ins Museum

Seither sehen Sie sich zwei, drei Mal die Woche. Was unternehmen Sie mit dem Bub?
Alles, was Spaß macht und jede Menge Blödsinn, inzwischen geht er ja schon in die vierte Klasse. Wir waren anfangs viel auf dem Spielplatz, in Museen wie im Mensch und Natur oder bei den Dinosauriern, ich hab ihm haufenweise Bücher vorgelesen und ich beantworte ihm alle Fragen.

Wissen Sie so viel?
Manchmal ruft der Antonio an und sagt: Also Opa, wenn du das nicht weißt, weiß es keiner. Neulich habe ich ihm erklärt, wie schnell die Lichtgeschwindigkeit ist, und was man damit alles ausrechnen kann.

Das ist aber kein Schulstoff für die vierte Klasse.
Er will das trotzdem alles wissen. Das ist ein cleveres Kerlchen. Vielleicht habe ich das ein bisschen mitverbrochen.

Tipps von den Großeltern

Womit denn?
Ich habe dem Buben schon im Kindergarten gesagt: Du musst lesen. Weil wenn du lesen kannst, weißt du mehr als andere. Und wenn es die Mama nicht erlaubt, dann liest du mit der Taschenlampe unter der Bettdecke. Die Mama hat das schon gewusst, aber so war es lustiger. Natürlich hab ich ihm die Taschenlampe auch geschenkt. Genau wie seine Gitarre, weil die Lehrerin meinte, er könnte Talent dafür haben.

Und, hat er?
Er hat. Stellen Sie sich mal vor, was er gemacht hat, als wir uns dieses Jahr Weihnachten nicht sehen konnten wegen Corona.

Unterm Fenster Gitarre gespielt?
Er hat meiner Frau und mir über eine Zoom-Videokonferenz ein Gitarrenkonzert mit vier Stücken gegeben. Dazu hat er sich ein Sakko angezogen, weil man ja schön aussehen muss, wenn man ein Konzert gibt. Und weil wir das wussten, meine Frau und ich, haben wir uns daheim auch schön angezogen, wie man das halt macht, wenn man in ein Konzert geht. Eintrittskarten haben wir uns auch gebastelt. Was glauben Sie, was das für ein Spaß war.

"Ich bin sein Opa. Das bleibt so."

Man soll als Leih-Großeltern Kinder begleiten, bis sie zwölf sind, damit man wieder frei wird für neue Kinder. Das ist dann bald soweit, oder?
Abgeben? Den Antonio? Ja nie, das ist doch mein Enkel. Und ich bin sein Opa. Das bleibt so.

Ich nehme an, nicht bei allen Leih-Großeltern klappt es so gut wie bei Ihnen?
Das stimmt. Bei unserem Leih-Opa-Oma-Stammtisch höre ich das manchmal. Es gibt auch Eltern, die bieten einem Leihopa nicht einmal ein Glas Wasser an, da ist man nur ein kostenloser Babysitter. Es muss schon die Chemie auch stimmen. Wenn meine Frau oder ich mal krank sind, ist Antonios Mutter die erste, die sofort kommt und uns hilft.

Jetzt helfen Sie bei den Hausaufgaben über Video, wie klappt das mit der Schule?
Ja, bestens! Der Antonio will ja auch mal Arzt werden. Wenn die Mama in die Arbeit geht, sagt er immer: Gell, jetzt gehst du wieder Leben retten. Das will er auch mal. Also, diese Woche jedenfalls. Nächste Wochen schauen wir mal. Es könnte auch noch auf Astronaut hinauslaufen.

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