Olympisches Duell in der AZ
München - Braucht München wirklich Olympische Spiele? Passen solche Mega-Spektakel überhaupt noch ökologisch in die Landschaft? Oder ist München die Stadt, die nach den schlimmen Auswüchsen wie in Sotschi (oder für eine Fußball-WM in Katar) vorbildliche Wege für kommende Spiele weisen kann? Die Frage wird in der Redaktion der Abendzeitung genauso kontrovers diskutiert wie im übrigen München. Gestern hat sich die Redaktion der Frage öffentlich gestellt – und ein eigenes olympisches Experiment gestartet: Die Diskussion ist live im Internet übertragen worden.
Zu Gast: Kabarettist Helmut Schleich, der den Spielen in München skeptisch gegenüber steht und sie für eine „professionelle Geschäftsidee“ hält. Und Christian Neureuther, der Ski-Star aus Garmisch, der mit ganzer Leidenschaft für die Spiele brennt.
Es geht nicht darum, den anderen mit den bekannten Argumenten olympiareif von der Piste zu drängen. Es geht hier auch um die Emotionen, die dieses Thema in München und in den anderen Olympiaorten auslöst – aus dem Bauch und aus dem Herzen mit guten Gründen dafür und dagegen umzugehen.
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Vom bekannten Franz-Josef-Strauß-Imitator Schleich will AZ-Chefredakteur Arno Makowsky zuerst mal wissen: „Wie beurteilt FJS die Spiele?“ Ein kurzes Stirnrunzeln, ein Zucken mit den Schultern, die Stimme senkt sich. Schleich als Strauß kalauert: „Nachdem ich immer für das zu haben war, wo etwas zu holen ist, bin ich für die Spiele.“
Das erste Abtasten zwischen den Gästen: „Ich sehe das ideell, emotional und nicht nur materiell“, meint Christian Neureuther: „Olympia ist für Sportler das größte Emotionsfest. Und wenn man mit der Generation redet, die 1972 erlebt hat, sagen die Menschen: Toll, das waren die heiteren Spiele! Das wünsche ich mir jetzt auch.“
Schleich nähert sich vorsichtig an: „Es leuchtet mir aus der Sicht von Herrn Neureuther ein, dass das für Sportler das Ideal ist. Aber die Spiele sind zu einer reinen Geschäftsidee verkommen. Wenn sie das wollen, dann sollen sie es auch bezahlen.“ Zudem: München leide doch jetzt schon unter seiner Attraktivität.
Christian Neureuther versucht, dem mit einem Charmevorstoß auszuweichen: Ob Schleich etwa nicht wolle, dass seine Frau immer attraktiver werde? „Wie definiere ich attraktiv?“ fragt Schleich zurück: „Ich wünsche mir, dass hier mal einer sagt, lasst uns mal auf die Bremse treten, lasst es uns etwas ruhiger angehen.“
Kann München, von Zuzug und Preistreiberei belastet, an seinem Erfolg ersticken? Der Garmischer Neureuther sagt: „Ich bin nicht so naiv, dass ich mich solchen Argumenten verschließe.“ Man müsse die Spiele in München „mit deutschem Augenmaß“ organisieren, „dann hält das auch eine Stadt wie München aus. Ich sehe immer noch den überwiegenden Vorteil.“
Dann sind sie mitten drin – ohne fundamentalistische Vorträge oder ausgeleierte Statements. Auch in Grundsatzfragen. Schleich: „Kann man nach den Gigantismus-Spielen in Sotschi 2014 und Korea 2018 noch auf klein machen – und München kommt 2022 dann bescheiden daher?“ Sotschi, gibt Neureuther zu, sei „eine Katastrophe“. Und: „Da würgt’s mich, was andernorts schon gemacht wurde.“
Gigantismus habe in München keinen Platz, glaubt Neureuther. Man müsse fragen, ob man die Spiele nach Sotschi nicht besser einem München mit seinem „einzigartigen Umweltkonzept“ in die Hand gebe. Hier seien 84 Prozent der Sportflächen schon vorhanden, und „nur ein Prozent“ müsse neu angelegt werden. „Für diese Bewerbung kann ich mich engagieren!“
Und Schleich? Ob er prinzipiell gegen Olympische Spiele sei, wird er gefragt. „Nein. Wir müssen das IOC dazu bringen, die Vergabepraxis zu ändern und mit den Spielen die olympische Idee wieder bieten.“ Neureuther widerspricht da nicht: Die Verträge des IOC mit den Bewerberstädten seien „schon heftig – aber bei einer Fußball-WM unterschreiben die Gastgeber die gleichen Verträge“.
Dann geht es um die Kosten. Die werden auf 3,3 Milliarden Euro geschätzt. Zu viel? „Wir gönnen uns ja auch Griechenland“, findet Neureuther – und kontert auch die Frage, ob das viele Geld im Breitensport nicht besser angelegt sei: „Der Bund gibt im Jahr neun Milliarden für den Breitensport aus.“ Breitensportler hätten auch etwas von den olympischen Sportanlagen. So ganz dagegen ist Helmut Schleich nicht. „Spüren Sie da nicht die Begeisterung?“, lockt ihn Makowsky. Schleich will da nicht als genussfeindlich gelten: „Ich gebe schon zu, dass es schöne Sportfeste sein können. Aber die kann man auch in Hof machen. Warum muss es ausgerechnet hier sein, wo die Stadt aus allen Nähten platzt?“
„Weil das eine Region nicht packt“, antwortet Christian Neureuther. Da brauche es eine Großstadt im Rücken. Helmut Schleich konstruiert keine künstliche Abwehrstellung. Sympathien für den Sport habe er schon: „Olympische Sommerspiele könnten mir Begeisterung abringen.“ Winterspiele sollte man machen, wo es genug Schnee gebe. Wo es den nicht gebe, grenzten sie „ans Groteske“.
Wie also gehen die Bürgerentscheide am kommenden Sonntag aus? „Ich glaube, es wird eng. Aber ich bin optimistisch, dass wir es knapp schaffen“, sagt Neureuther. „Wenn es eng wird, ist das ist ein gutes Zeichen, weil sich die Leute dann damit auseinandersetzen“, fügt Schleich an. „Ja“, sagt Neureuther, „sind wir froh, dass wir abstimmen können und uns nichts übergestülpt wird.“
Eine gekürzte Fassung des Streitgesprächs im Video finden Sie hier