Olympionikin Birgit Kober fühlt sich geohrfeigt

Die behinderte Spitzen-Athletin klagt wegen eines Behandlungsfehlers. Als der Gutachter ihr eine Verhaltenstherapie empfiehlt, platzt der Sportlerin der Kragen.
von  John Schneider
Fordert eine halbe Million Schmerzensgeld wegen ärztlichen Behandlungsfehlers: Olympiasiegerin Birgit Kober.
Fordert eine halbe Million Schmerzensgeld wegen ärztlichen Behandlungsfehlers: Olympiasiegerin Birgit Kober.

Die behinderte Spitzen-Athletin klagt wegen eines Behandlungsfehlers. Als der Gutachter ihr eine Verhaltenstherapie empfiehlt, platzt der Sportlerin der Kragen.

München - Es ist 13.15 Uhr. Vor einer Viertelstunde hätte die Verhandlung am Landgericht München I beginnen sollen. Birgit Kober sitzt im Rollstuhl am Klägertisch und wartet.
Allein.

Ihr Anwalt, der aus Hennef anreisen muss, ist noch nicht da. „Notfalls kann ich ja schon mal alleine anfangen“, scherzt die 41-Jährige und lächelt. So freundlich, wie sie das Blitzlichtgewitter und die vielen Kameras zuvor ertragen hat.

Nur einmal werden ihre Augen schmal. Als der Arzt den Gerichtssaal betritt, der für ihren Zustand verantwortlich sein soll. Auch wenn sie den Handschlag nicht verweigert, die große Bitterkeit ist ihr deutlich anzumerken. Zwei Minuten später ist Anwalt Jürgen Korioth dann doch da. Die Verhandlung kann beginnen. „Ich hätte gern einen Klappspeer dabei“, versucht Kober noch einmal ihre Nervosität zu überspielen. Dann wird’s ernst.

Der Gutachter, ein Neurologe aus Essen, nimmt am Zeugentisch Platz.
Es wird bei ihm darum gehen, ob sich die Ärzte eines groben Behandlungsfehlers schuldig gemacht haben. Und darum, inwieweit die Behinderung der Paralympics-Doppelsiegerin auf diesen Behandlungsfehler zurückzuführen ist. Dass ein Behandlungsfehler vorliegt, steht für das Gericht außer Frage. Das ist auch dem Krankenhaus klar. 30.000 Euro wurden Birgit Kober bereits überwiesen. Ein Bruchteil der geforderten Summe.

„Sind Sie noch sehr aufgeregt?“, fragt der Vorsitzende Richter Peter Lemmers. Birgit Kober nickt. „Das ist etwas anderes als die Olympischen Spiele.“ Kober holt tief Luft: „Speerwerfen kenne ich, das hier kenne ich nicht.“ Sie macht eine kleine Pause. „Ich will’s schnell hinter mich bringen.“ Der Experte erklärt, dass die Überdosierung ein Fehler sei, der in Kliniken durchaus mal vorkomme. „Gott sei Dank selten.“ Dass aber zehn Stunden vergingen, bevor der Fehler in diesem Fall bemerkt wurde, sei ein Organisationsfehler. Kober wurden an diesem 17. Juni 2007 mehrere Überdosierungen des toxischen Mittels verabreicht.

Gutachter Kastrup sagt: Kober litt auch vor der Übermedikation an epileptischen und psychogenen Anfällen. Auch Gehstörungen wurden vor 2007 beobachtet. Zudem habe es eine deutliche Besserung ihrer Gehstörung in der Reha gegeben. Kober habe sich mit ihrem Sport auch selber therapiert. Alles Aussagen, die in Zweifel ziehen, dass Kobers heutige Schäden direkt auf den Behandlungsfehler zurück zu führen sind.

Birgit Kober hat denn auch Mühe, sich zu beherrschen. Zu gern würde sie die Aussagen des Gutachters kommentieren. Ihr Anwalt macht das dann für sie: Die Arztbriefe seien nicht sonderlich aussagekräftig, weil sehr ungenau. „Ist der heutige Zustand Kobers nicht doch eine Folge der Vergiftung?“, fragt er nach.

Das Ausmaß der Symptome der Behinderung sei seit der Intoxikation nicht stärker geworden, aber die Dauer seitdem wesentlich länger, so Kastrup. Aber nicht wegen des Behandlungsfehlers, sondern wegen Kobers Verarbeitung der Situation. Ihr Sport, so Kastrup weiter, bedeute auch eine Bindung an das Symptom der Behinderung. Sprich: Sie baue dies in ihr Leben ein. Für Beobachter klingt das ganz so, als würde sich Kober über ihre Behinderung Freude. Die 41-Jährige seufzt hörbar.

Ihre Symptome können sich verbessern
, ja sogar ganz verschwinden, sagt der Neurologe. Will er ihr etwa Mut machen? „Sie sollte Verhaltenstherapie machen“, rät Kastrup.
Da reicht’s der Doppel-Olympiasiegerin. „Das bin ich nicht! Ich bin doch schon längst in verhaltenstherapeutischer Behandlung!“, wirft Birgit Kober ein. „Ich fühle mich, als ob mir jemand eine Ohrfeige gibt.“

Ihr Anwalt stellt dann die entscheidende Frage: Ist die Intoxikation zumindest Mitursache des Zustandes? Kastrup: „Das lässt sich als Auslöser nicht ausschließen, ist aber nicht die einzige Ursache.

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