Olympia-Erinnerungen: "Ein eingeschworenes Team"

München - Mit 16 Jahren trat ich der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) bei. Als bekannt wurde, dass die Olympischen Spiele 1972 nach München kommen sollen, begannen auch bei uns Rettungsschwimmern und Sanitätern die Vorbereitungen.
Die Ausbildung begann lange vor den Spielen: Erst betreuten wir Wildwasserregatten im bayerischen und österreichischen Oberland. 1970 war dann schon der neue Kanal am Hochablass gebaut und wir betreuten dort die ersten Testrennen.
Parallel dazu habe ich auch den Bootsführerschein gemacht. Das war spannend: Wir verfügten beim DLRG damals noch über keine eigenen Bootsführer-Ausbilder und so wurden wir von den Pionieren der Bundeswehr in München unterwiesen.
Ab 1971 Training in Oberschleißheim
Dadurch änderte sich auch mein Einsatzgebiet und ich wurde zur Regattastrecke nach Oberschleißheim beordert. Dort begann unser Training 1971 mit den neuen "Dory13"-Booten. Das waren flache, dreikielige Kunststoffschalen mit einem Außenbordmotor.
Gleichzeitig mit dem Beginn unseres Trainings wurden von den Bundeswehrpionieren die Stahlseile für die Bahntrennung eingezogen. In die Stahlseile wurden dann rote Ballons eingehängt, die die Wettkampfbahnen voneinander trennen sollten.
Es war faszinierend zu sehen, wie die Pioniere die beiden Brückenleger im Auslaufbecken positioniert haben, auf denen dann die Rollen mit den Stahlseilen abgewickelt wurden. Bevor die Stahlseile eingezogen wurden, hat ein Leopard-Kampfpanzer noch Tauchübungen im Becken gemacht. Es waren nur noch das Ansaugrohr und das Sehrohr zu sehen.

Ein eingeschworenes Team
Im Sommer 1971 lief dann als Generalprobe für die Spiele eine EM oder WM der Kanuten und Ruderer auf der Strecke. Unsere Mannschaft wurde ein eingeschworenes Team. Eine Woche vor den Spielen begann unsere Einsatzzeit. Zu Beginn bekamen wir unsere weißen Uniformen der Sanis. Alle Modelle waren vom Designer Otl Aicher entworfen. Dazu bekamen wir unsere Ausweise, die uneingeschränkt für die ganze Regattastrecke galten.
Einzigartig während der Spiele war die Gemeinsamkeit mit der Wasserwacht. Obwohl sich zu der Zeit die beiden Wasser-Rettungsorganisationen nicht grün waren, bildeten wir während der Spiele die "Gemeinsame Wasserrettung Regattastrecke".
Unsere Aufgabe war es, dem Wettkampffeld zusammen mit dem Schiedsrichterboot hinterherzufahren oder auf der Hälfte der jeweiligen Wettkampfstrecke in Bereitschaft zu sitzen. Eine Mannschaft war im Auslaufbecken, um ausgepowerte Athleten, die vor Erschöpfung aus den Booten gefallen waren zu bergen und zu betreuen.

Wir hatten unser eigenes Olympisches Feuer: den Grill
Die Athleten reisten an und hielten ihre Trainings ab. Wir hatten in unserem Quartier einen gemauerter Grillplatz. Dort hatten wir unser eigenes olympisches Feuer - unsere Grillglut ist bis zur Schlussfeier nicht ausgegangen. Wir hatten trockene Buchenriegel, die unter der Asche des Vortags weiter glommen. Am Abend wurde dann das Feuer mit der Pressluft aus unseren Tauchflaschen neu entfacht.
Viele Athleten waren abends bei uns am Lagerfeuer und wir hatten tolle Gespräche. Lediglich die Sportler der DDR wurden hermetisch abgeschirmt.
Mit unseren Uniformen und Ausweisen konnten wir aber auch in die anderen Sportstätten und in den Begegnungsbereich im Olympischen Dorf. Das war zwar offiziell nicht erlaubt, aber im Sinne der Spiele geduldet. So kam es dann auch, dass ich eines abends im besagten Begegnungsbereich eine Partie Flipper mit Mark Spitz gespielt habe.
Polizeischutz und bewaffnete Einheiten
Dann kam der Anschlag vom 5. September - da war alles aus. Panzerfahrzeuge bezogen Stellung und überall waren bewaffnete Einheiten zu sehen. Wir durften nicht mehr in die anderen Bereiche und überall wurden Ausweise kontrolliert. In der Nacht saßen wir mit Athleten wieder an unserem Feuer und hörten über Radio vom Geschehen. Es war eine bedrückende Stimmung. Wir haben dann auch die Hubschrauber gehört, die nach Fürstenfeldbruck geflogen sind.
Ich kann mich noch an die russischen Sportler erinnern, die vorher so lustig mit uns gefeiert haben und jetzt zu Tode betrübt geweint haben. "The games must go on" hat uns Avery Brundage eingeschworen und so brachten wir die restlichen Wettkampftage unter Polizeischutz hinter uns. Aber die Freude wollte sich nicht mehr so recht einstellen.
Noch eine ganz persönliche Episode: Meine damalige Freundin gehörte mit zum Kader der DLRG und wir wurden jeden Morgen mit dem Bus abgeholt und zur Regattastrecke gefahren. Jetzt wohnte sie aber in Harlaching und ich in der Maxvorstadt. So bat ich meine Eltern, dass meine Freundin für die Zeit bei uns schlafen dürfe.

"Gut", meinte meine Mutter, "dann schläft sie in Deinem Bett und Du auf der Wohnzimmercouch". Natürlich blieb ich bei meiner Freundin im Bett bis 5 Uhr morgens, kurz bevor Vater aufstand. Ich wechselte dann ins Wohnzimmer, um den Schein zu wahren. Nach drei Tagen sagte Mama "das mit dem Gästebett lassen wir jetzt, weil ich nicht einsehe, wegen der Stunde am Morgen jeden Tag das Bett frisch zu machen". Freilich haben sie gehört, wie ich in der Früh das Zimmer gewechselt habe.
Und dann waren da noch die Olympia-10er, Sonderprägungen der 10-Mark-Münze. Wir bekamen sie als Aufwandsentschädigung, hatten aber keinerlei Ahnung vom Wert dieser Münzen. Für uns war der Spaß viel wichtiger, mit diesen Münzen zu bezahlen. So geschehen im damaligen Matthäser in der Bayerstraße. Nach der Zeche wollten wir mit den 10ern bezahlen, aber die Bedienung nahm sie wegen Falschgeldverdachts nicht an. Als dann der Geschäftsführer gerufen wurde, fragte er uns, ob wir noch mehr davon hätten, und hat sie uns alle abgekauft.