Olympia 1972: Puffalo Bill räumt auf

10.000 Prostituierte werden zu den Olympischen Sommerspielen 1972 in München erwartet. Die Polizei greift schon im Vorfeld hart durch.
Karl Stankiewitz |
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Am Straßenrand dürfen Prostituierte in München nun auch nicht mehr stehen.
Interfoto Am Straßenrand dürfen Prostituierte in München nun auch nicht mehr stehen.

Vom 26. August bis zum 11.September 1972 wurden die Spiele der XX.Olympiade in München, Kiel (Segeln) und Augsburg (Wildwasser) ausgetragen. Welchen Herausforderungen sich die Landeshauptstadt stellen musste und was dann in der City los war, lesen Sie in dieser AZ-Serie. Teil 4

10.000 Prostituierte werden in der Stadt erwartet. Die Polizei greift schon im Vorfeld hart durch.

München - In Sachen Sitte ist die Lage in München zu Anfang der Siebzigerjahre ambivalent. Die 1968 entfachte Sexwelle verebbt allmählich. In der Katholischen Akademie diskutieren würdige Persönlichkeiten über Pornografie. Sex-Shops und Eros-Center haben sich hier später etabliert als in der norddeutschen Provinz. Unmoral und Promiskuität waren in dieser leichtfertigen Stadt nie eine Sache fürs Schaufenster. Trotzdem macht 1970 der „größte Sexladen Europas“ auf. Im Fasching locken Nacktbälle und in Kunstateliers wird öffentliche Körperbemalung geboten. Als dann Olympia mit unzähligen potentiellen Kunden naht, rüsten sich nicht nur Münchens Prostituierte zum großen Geschäft. 


AUSGLEICHSSPORT?

„Die Damen bleiben am besten gleich zu Hause, auch wenn sie die Fahrkarte nach München schon in der Tasche haben“, empfiehlt Polizeipräsident Manfred Schreiber, nachdem der Stadtrat im März 1972 einen einschneidenden Beschluss gefasst hat: Praktisch die ganze Innenstadt sowie die Viertel rund um den Olympiapark werden zu „Dirnensperrkreisen“ erklärt.

Wie weite Kreise der Wirtschaft, so wittern auch die Angehörigen des ältesten Gewerbes der Welt sommerliche Hochkonjunktur aus besonderem Anlass: 2,5 Millionen Gäste werden zu den Olympischen Spielen erwartet. 3.000 leichte Mädchen sind 1972 in der polizeilichen „Dirnenkartei“ bereits registriert. Bis zum Spielsommer, so schätzt man im Sittendezernat, werden sich wohl 10.000 professionelle Prostituierte in München tummeln.

Und das soll tunlichst verhindert werden. „Wir wollen keine Spiele der Dirnen“, erklärt Kriminaldirektor Hermann Häring. Auch in früheren Olympiastädten habe man sich so viel Liberalität nicht geleistet. Mexiko hatte die käuflichen Muchachas weitgehend aus der Stadt verdrängt, und in Sapporo wurden sogar die Stripperinnen zur Ordnung gerufen; sie durften sich während der Winterspiele nicht völlig entkleiden. So weit will München nun doch nicht gehen, zumal die amtlichen Sittenvorschriften hier ohnehin strenger sind als in anderen deutschen Großstädten.

Erst in jüngster Zeit haben sich hier bordellartige Betriebe aufgetan. Sie konzentrieren sich in der City, und einige entwickelten sich flugs in Umschlagorte für Diebesgut und Rauschgift. Ihnen vor allem, weniger den seit Jahren geduldeten „Dirnenwohnhäusern“, gilt der jüngste Beschluss des Stadtrates.


DIE BORDELL-BLOCKADE

Um 19 Uhr am 10. April 1972 rückt ein Zug der Münchner Schutzpolizei aus, um vor dem Eros-Center am Hauptbahnhof und weiteren drei Freudenhäusern Posten zu beziehen. Eine Verordnung der Regierung von Oberbayern hat das vorolympische Polizeisportfest eingeleitet. Danach wurde der „Dirnensperrbezirk“ bis zum 31. Oktober 1980 auf das Stadtzentrum und eine Friedhofsumgebung ausgedehnt. Außerdem drohen Besitzer umliegender Hotels, sie würden ihre Häuser ebenfalls in Bordelle verwandeln, wenn das unter dem Namen „Leierkasten“ geführte Eros-Quartier nicht verschwände.

Deshalb bilden Schupos in Lederjacken jetzt eine Art Keuschheitsgürtel um die ominösen Liegenschaften. Die 65 Liebesmädchen im „Leierkasten“ demonstrieren in Minislips gegen die „Bullen“ und für „Bumsfreiheit“. Im Blitzlicht der Kameras aber brechen sie die Demonstration sofort ab. Eine begründet: „Was soll denn meine Mutter denken?“ Dann verschanzen sie sich hinter den breiten Fenstern. „Wir werden die Damen aushungern“, verkündet Kriminaldirektor Gustav Stogl – er bekommt bald den Spitznamen „Puffalo Bill“.

Vor dem Haus haben sich inzwischen Schaulustige und enttäuschte Stammkunden versammelt. Die Mädchen rufen aus den Fenstern, wer Mut habe, den Sperrkreis zu durchbrechen, zahle nur die Hälfte. Tatsächlich springen einige junge Männer über die Absperrgitter und einer klettert sogar über ein Nachbardach ein. Es kommt zu harmlosen Handgreiflichkeiten.

Der über vier Münchner Freudenhäuser verhängte Belagerungszustand dauert an. Etwa 40 Polizisten stehen eine weitere Nacht lang Wache. Trotz strömenden Regens wird eine hundertköpfige Menge vor dem „Eros-Center“ die ganze Nacht über durch Strip-Vorstellungen der eingesperrten Damen auf dem Dach angeregt unterhalten.

Bevölkerung und Presse verurteilen die spektakuläre Bordell-Blockade fast einhellig. „Noch ist’s Gaudi. Wann kommt’s zu Krawallen?“, fragt ein Boulevardblatt. Und eine konservative Zeitung wirft der Polizei eine inkonsequente Doppelstrategie vor: „Dass tagsüber das Geschäft mit dem Sex so blüht wie immer, scheint die Strategen in der Ettstraße nicht zu stören.“


SAUBERE SPIELE

Nicht nur heiter, sondern auch außerordentlich sauber sollen die Spiele werden. Nachdem bereits Freudenhäuser geschlossen, Striptease-Programme entschärft und Kinos zum Maßhalten aufgefordert worden sind, hat die Staatsanwaltschaft München im Juli 1972 eine Razzia gegen alle 25 Pornoläden der Stadt gestartet. Stundenlang durchleuchten 70 Polizeibeamte die Geschäfte. Sie beschlagnahmen ganze Wagenladungen voller Magazine, Bücher und Filme.

Der Sprecher des bayerischen Justizministeriums, Staatsanwalt Rauchalles, bestreitet allerdings, dass die Aktion etwas mit den Olympischen Spielen zu tun hat. Es handle sich um „ein Datum wie jedes andere“. Der einzige „Aufhänger“ sei, dass die Pornografie in München in letzter Zeit eine „unübersehbare Vermehrung“ erfahren habe, so dass man gemeint habe, „jetzt eine Durchsuchung vornehmen zu müssen“.

Auch Bayerns Justizminister Philipp Held, der selbst Verleger ist, macht deutlich, dass sich das Vorgehen nicht allein auf die Olympiastadt München beziehe: In ganz Bayern seien die Staatsanwaltschaften bemüht, „Geschäftemacherei zu unterbinden, mit der Menschenbild und Menschenwürde öffentlich in den Schmutz gezogen werden“. Es gehe auch gar nicht allein gegen die Sexläden, fügt Staatsanwalt Rauchalles hinzu. Vielmehr habe die Staatsanwaltschaft in jüngster Zeit gezeigt, dass sie nicht bereit sei, „in den Filmtheatern jede Entwicklung hinzunehmen“.

Tatsächlich haben sich Anzeigen und Auflagen gegen Münchner Kinobesitzer vermehrt, was einige schon zu dem Versprechen veranlasst hat, während der Sportspiele eine „saubere Leinwand“ vorzuführen. Auch in dem seit März anhaltenden „Dirnenkrieg“ in München ist jetzt den Moralwächtern ein entscheidender Schlag gelungen. Das Bayerische Verwaltungsgericht hat entschieden, dass die Anbietung und Ausübung der Gewerbsunzucht in der Innenstadt auch in geschlossenen Häusern verboten sei.

Damit ist dem uralten Handwerk in der City der Boden entzogen. In Erwartung dieses Entscheids und zermürbt von monatelanger Polizeiblockade, haben die Freudenmädchen das Feld geräumt und sich in Wohngebieten der Vororte verschanzt. Ein weiterer Ausweg: In einer einzigen Boulevardzeitung bieten am 26.Juli über 60 Masseusen und Salons ihre Dienste an.

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