Olympia 1972: Besondere Erinnerungen

In der AZ erzählen Menschen von ihren persönlichen Olympia-Geschichten.
von  Laura Meschede
Die Olympischen Spiele 1972 prägen München bis heute. Und auch die Geschichten der Menschen, die sie erlebt haben.
Die Olympischen Spiele 1972 prägen München bis heute. Und auch die Geschichten der Menschen, die sie erlebt haben. © picture alliance / dpa

München - Die Olympischen Spiele 1972 waren prägend. Für München - aber auch für viele der Münchnerinnen und Münchner. Um ihren Geschichten einen Raum zu geben, hat das Münchner Stadtmuseum einige, die damals dabei waren, in sein "Erzählcafé" geladen. Die AZ hat mit ihnen gesprochen. Und festgestellt: so unterschiedlich die Menschen, so ähnlich ist doch ihre Erinnerung an Olympia 72:

Karl Stankiewitz: Olympia 1972 "hat das Gesicht der Stadt verändert"

Olympia hat München verändert. Das war eine Umwälzung des Stadtbildes, der Atmosphäre der Stadt, wie man sie sich kaum vorstellen kann. Vorher war München kleinstädtisch, gemütlich, provinziell - danach war es eine Weltstadt. Bis auf den Krieg gab es im letzten Jahrhundert sicher kein Ereignis, das das Gesicht der Stadt so verändert hätte.

Ich habe damals als Reporter über Olympia berichtet; nicht über den Sport, sondern vor allem über das Drumherum. Das ist schon früh losgegangen. Das Wesentliche an den Vorbereitungen waren sicher die Bauten: das Olympiastadion, dessen Modell aus Damenstrümpfen gebaut worden ist, der Landschaftspark, die U- und S-Bahn. Insgesamt war die Zeit um Olympia wohl der interessanteste Teil meines beruflichen Lebens. Es war wirklich eine Menge los!

Die Preise sind gestiegen, Hotelblocks sind aus dem Boden gestampft worden, die U-Bahn ist innerhalb von sechs Jahren statt den geplanten acht gebaut worden. Und es sind Menschen aus aller Welt nach München zugewandert. Da waren plötzlich die unterschiedlichsten Religionen zu finden, überall war Trubel, die Taxifahrer mussten Englisch lernen.

Karl Stankiewitz
Karl Stankiewitz © Bernd Wackerbauer

Mein liebstes Thema war Väterchen Timofei, der Eremit, der zusammen mit seiner Frau illegal ein Klösterchen gebaut hatte. Das sollte damals abgerissen werden, aber weil es so viele Proteste von Münchnern gegeben hatte, durfte es stehen bleiben. Ich war damals oft bei ihm, in seinem Häuschen. Meine Kinder fanden, er sähe aus wie der Nikolaus.

Ich weiß noch, dass ich ihn irgendwann gefragt habe, wie alt er eigentlich sei und er sagte, "überrr hundert Jahr". Das hat damals wohl nicht gestimmt, aber er ist dann tatsächlich über hundert geworden. Noch heute gehe ich oft im Olympiapark spazieren und schaue mir sein Klösterchen an. Das ist wirklich eine der besten Hinterlassenschaften dieser Zeit!

Vor ein paar Wochen habe ich ein Buch herausgebracht, in dem ich meine Erinnerungen an Olympia und diese Zeit festgehalten habe. Als ich das in einer Buchhandlung der Verkäuferin gezeigt habe, sagte sie: "Ach, Olympia - München war nie so modern wie in diesem Zeitraum."

Franz Tonkovic-Grasser: "Bei den Olympischen Spielen habe ich meine Frau kennengelernt"

Ich war 1972 27 Jahre alt und habe eigentlich in Hilden gelebt, in der Nähe von Düsseldorf. Aber ich war schon immer ein sportbegeisterter Mensch und wollte unbedingt bei den Olympischen Spielen dabei sein. Also habe ich mir eine Zeitung gekauft und bin die Annoncen durchgegangen, ob irgendwo in München ein Werkzeugmacher gesucht wird. Wurde er. So kam ich nach München.

Ich hatte schon Eintrittskarten gekauft, 15 oder 20 Stück, da habe ich im letzten Moment im Radio die Nachricht gehört, dass noch Dienstboten für die Ergebnisverteilung gesucht werden. Ich habe mich sofort beworben - und bin aufgenommen worden.

Franz Tonkovic-Grasser (77)
Franz Tonkovic-Grasser (77) © Bernd Wackerbauer

Die Tickets habe ich dann gar nicht mehr gebraucht. Zum Glück hat mein Chef mir die drei Wochen frei gegeben. So konnte ich während der gesamten Spiele als Bote teilnehmen. Bote für die Ergebnisverteilung, das hieß, dass man die Ergebnisse von den Spielen zu den Journalisten gebracht hat.

Nach jedem Wettkampf wurden die Ergebnisse ausgedruckt und mussten dann ausgeliefert werden. Wir waren dabei das Backup: Wenn irgendwo ein Bote ausgefallen ist oder krank war, dann sind wir in einen VW-Bus gesprungen und schnell hingefahren. Zum Messegelände, zur Regatta oder wo eben gerade etwas stattgefunden hat.

Ich hatte einen Ausweis, auf dem stand oben groß "T" für "Technik" und mit dem bin ich überall reingekommen und habe obendrein umsonst Essen bekommen in der Mensa. Dazu sind wir komplett eingekleidet worden: Mit gelben Mützen und T-Shirts und Sportschuhen. Und dazu gab es fünf Mark Taschengeld am Tag. Leben konnte man davon natürlich nicht, aber es war ja auch ein Hobby, ein Ehrenamt eben.

Um möglichst nahe an den Spielen zu sein, bin ich damals ins Kolpinghaus gezogen. Den Tipp hatte mir mein Werkstattleiter gegeben. Am 7. Juni 1972 habe ich dort ein Zimmer bekommen - und bin dann 22 Jahre geblieben. Weil ich dort nämlich meine Frau kennengelernt habe. Sie war Ausschankkellnerin im Kolpinghaus. Ich habe dort immer gefrühstückt und zu Abend gegessen.

Und die Essensausgabe war direkt gegenüber der Theke! Wir haben uns also quasi täglich gesehen. Nach einiger Zeit habe ich angefangen, nach der Arbeit ein bisschen im Haus mitzuhelfen, so haben wir uns kennengelernt. 1986 haben wir schließlich geheiratet. Aber eigentlich waren wir schon seit dieser Zeit jeden Tag zusammen.

Die Olympischen Spiele verbinde ich heute vor allem mit meiner Frau. Aber mir sind auch viele Wettkämpfe noch in Erinnerung. Vor allem aus dem Basketball, meiner Lieblingssportart. UdSSR gegen USA, das war ein großes Spiel. Und Jugoslawien hat den dritten Platz geholt, sie waren richtig gut. Ich war auch beim Hochsprung von Ulrike Meyfarth dabei. Das war wirklich etwas Besonderes!

Insgesamt muss ich sagen, dass es mich ein bisschen wundert, dass wir nie einen Dank bekommen haben. Also die Tausenden Ehrenamtlichen, die es damals möglich gemacht haben, dass Olympia überhaupt stattfinden konnte - die sind irgendwie bei keinem der Jubiläen mehr aufgetaucht. Das finde ich schade. Wenn ich die Stadt wäre, würde ich mal ein "Ehemaligentreffen" der ganzen Ehrenamtler organisieren. Das wäre schön!

Wolfgang Birkle (57): "Es hat mich nie losgelassen"

Im Jahr 1972 war ich acht Jahre alt, habe in Ostwürttemberg gelebt - und vor dem Fernseher geklebt! Diese Stimmung, die Heiterkeit, die da von den Olympischen Spielen rübergeschwappt ist, die hat mich wahnsinnig gefesselt. Und dann natürlich die Verzweiflung und das Bangen, als schließlich das Attentat passiert ist. Ein Jahr später war ich das erste Mal in München.

Wolfgang Birkle (57)
Wolfgang Birkle (57) © Bernd Wackerbauer

Wir sind hingefahren, weil wir den Olympiapark sehen wollten. Einmal selber da durchlaufen! Ich erinnere mich noch, wie mich das Dach des Olympiastadions beeindruckt hat, dieses futuristische Gebilde, und wie grün der Olympiapark war. Als ich wenige Jahre später für meine Ausbildung nach München gezogen bin, da war der Grund diese Erinnerung. Jetzt lebe ich seit knapp 30 Jahren hier. Der Olympiapark hat mich gepackt und nie wieder losgelassen.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.