Olaf Scholz auf Wahlkampftour: Ein Hamburger in München

München - "Wer war das denn?”, fragt der eine Obststandl-Mann den anderen. "Na, der eine, das war der Oberbürgermeister”, antwortet der. "Und der andere? Der Finanzminister? Anja, weißt du, wer das war?” Anja arbeitet auch an dem Obststand am Viktualienmarkt, trägt eine Kiste, schnauft und sagt: "Das weiß ich nicht, das interessiert mich auch nicht, die Hälfte der Zeit arbeite ich bloß, um Steuern zu zahlen.”
Nur ein paar Sekunden zuvor standen vor dem Stand, vor den Kisten voller Kirschen und Nektarinen, noch der Kanzlerkandidat der SPD, Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der Münchner OB Dieter Reiter, auch von der SPD, und ein ganzer Pulk an Kameraleuten, Journalisten und Fotografen.

Denn Scholz machte einen Tag lang Wahlkampf in München, der Stadt, die zwar seit 1984 Oberbürgermeister mit einem SPD-Parteibuch regieren, in der sich aber von Wahl zu Wahl immer mehr Menschen dazu entscheiden, ihr Kreuz lieber bei den Grünen zu machen.
Passant über Olaf Scholz: "Oh, den hab ich jetzt gar nicht erkannt"
Aktuell sieht es nicht viel besser aus: Die SPD liegt laut Umfragen derzeit bundesweit bei 15,4 Prozent. In Bayern sind die Prognosen sogar noch schlechter. "Der Wahlkampf fängt gerade erst an", sagt Scholz trotzdem in München. Seine persönlichen Zustimmungswerte seien gut, besser als die seiner Partei. Doch ob ihn das ins Kanzleramt trägt?

Am Brunnen auf dem Viktualienmarkt machen Reiter und Scholz ein Foto mit den zwei Herren, die ihre Bierflaschen darin kühlen. Scholz lächelt, wünscht alles Gute, geht weiter. Wie es die zwei Männer, Kappe, Sonnenbrille, Jeansjacke, finden, dass der Bundesfinanzminister gerade mit ihnen für die Medien posierte? "Oh, den hab ich jetzt gar nicht erkannt", sagt der eine und lacht ein wenig. "Aber der andere - das war der Dieter Reiter."
Scholz gibt Interviews, Reiter plaudert mit Biergarten-Wirtin
Eigentlich haben Scholz und Reiter so manches gemeinsam - und sind doch grundverschieden: Auch Scholz war einst Bürgermeister - allerdings der Regierende Bürgermeister von Hamburg. Und auch Reiter kennt sich aus mit Geld - allerdings in einem etwas kleineren Maßstab: Er arbeitete zuerst in der Kämmerei und wurde später Wirtschaftsreferent.
Doch während Scholz von Kameras umringt Interviews gibt, steht Reiter am Rand, plaudert mit der Wirtin des Biergartens. Ob er sich nicht zu den Kameras stellen will, fragt seine Pressereferentin. "Na, ich weiß doch, wie ich aussehe", antwortet Reiter und redet lieber weiter mit den Wirtsleuten darüber, dass ihnen noch immer die Hälfte des Umsatzes fehlt.

Für München wäre es aus Reiters Sicht ein Gewinn, wenn sein Parteikollege Kanzler würde. "So ein Zugang - das wäre ein Pfund." Denn damit die Mieten in München nicht noch rasanter steigen, bräuchte es Gesetzesänderungen, die der Bundestag beschließen müsste und auf die der Stadtrat keinen Einfluss hat. Zum Beispiel beim Mieterschutz.
Dieter Reiter über Olaf Scholz: "Er versteht, wie eine Großstadt funktioniert"
Auch auf Geld aus Berlin ist München angewiesen. Etwa, um das Loch, das der Ausfall der Gewerbesteuer in den Haushalt gerissen hat, zu stopfen. Diese wohl wichtigste Finanzquelle der Stadt ist während Corona um eine Milliarde Euro eingebrochen.
Geld brauche München auch, so Reiter, um den öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Dieses Jahr förderte der Bund den Nahverkehr mit 11,5 Milliarden Euro - allerdings in ganz Deutschland.

Doch allein die Verlängerung der U 5 um ein paar Haltestellen Richtung Westen kostet mehr als eine halbe Milliarde. Und das ist nur ein Verkehrsprojekt von vielen. "Scholz ist der einzige der drei Kandidaten, der versteht, wie eine Großstadt funktioniert", meint Reiter. Doch, ob er es am Ende tatsächlich ins Kanzleramt schafft?
Zumindest eine 63-jährige Münchnerin (SPD-Wählerin seit sie wählen darf, sagt sie zumindest) ist optimistisch: "Die Grünen reden sehr viel schlau daher. Ich glaub einfach an die Partei." Die Dame und ihr Begleiter winken Scholz auf dem Viktualienmarkt zu. Doch gesehen hat er das zwischen all den Kameras nicht.