Zum Start des 189. Oktoberfests: Was die Wiesn heuer einzigartig macht
München - Nun also auch noch Metalldetektoren. "Stichprobenartig und verdachtsabhängig" sollen die an den Wiesn-Eingängen eingesetzt werden. 2200 Ordner kontrollieren, 600 Polizisten patrouillieren über die Festwiese. Nie zuvor wurde mehr Aufwand getrieben, um das größte Volksfest der Welt zu schützen. Jetzt, nach Solingen. Und nach dem vereitelten Anschlag auf Israels Generalkonsulat neulich.
OB Reiter bittet um Geduld, wenn es "zu längeren Wartezeiten" am Einlass kommt. Vor zehn Jahren, als noch kein Trutz-Zaun das Gelände abgrenzte, warteten Hunderte umfassend vorgeglühte Teenager schon in der Dämmerung stundenlang darauf, dass die Zelte aufgingen. Kommt einem ewig her vor.
Seither ist irgendwie immer irgendwas. Pandemie, Krieg, Islamismus. Der gefühlt weltweite Hype, der das Fest zuvor zum Zerbersten zu bringen drohte, ist ein wenig abgeebbt. Das hat der Wiesn gutgetan. Selbst die Rekord-Wiesn 2023 mit 7,2 Millionen Besuchern an ausnahmsweise 18 (!) Tagen hat keine schlechten Erinnerungen hinterlassen.
Und liegt nicht genau hierin das Wesen der Wiesn? Sie ist wohl seit jeher ein Ort des Vergessens und Sich-Vergessens - und billig war sie noch nie in ihrer Historie. Wer ärgert sich bei der dritten Maß noch über die Einlasskontrolle? Wer hadert mit hohen Preisen, wenn er in der Wilden Maus umherfliegt?
Auch die Wiesn wandelt sich: deutlich mehr Bio, veganes Essen, Öko-Strom
Hinter der Lust auf Wiesn steckt eben nicht Abwägung, sondern eine Entscheidung zur Entgrenzung. Die Wiesn ist kein Platz der Vernunft - zum Glück und im Gegenteil -, sondern zum Sich-gehen-Lassen. Darum ist sie den Menschen so lieb - und auch so teuer.
Man lässt sich die Wiesn etwas kosten. Und wie. In fünf großen Zelten kostet die Maß Festbier heuer 15 Euro oder mehr. Die Wirte verweisen darauf, dass Lebensmittel in den letzten fünf Jahren 20 Prozent teurer geworden sind, auf gestiegene Energie- und Personalpreise und mehr Geld für die Sicherheit. Den Text kennt man in München schon. Seit Jahren.
Halbwegs neu hingegen ist, dass die Macher sich richtig Mühe geben, selbst notorische Wiesn-Verächter und Ja-aber-Bedenkenträger von ihrem Angebot zu überzeugen: Deutlich mehr Bio, veganes Essen, Öko-Strom, eine (noch sehr zarte) Nachhaltigkeitsoffensive zusammen mit Bioland, schwul-lesbische Veranstaltungen auch jenseits der Bräurosl - nach über 200 Jahren Oktoberfest will man mit der Zeit gehen.
Bloß die Idee, einen komplett alkoholfreien Biergarten zu eröffnen, hielten die Wirte dann übereinstimmend doch für einen rechten Schmarrn. Mal sehen, wann die Zeit dafür reif ist.
Die Oide Wiesn kommt unverhofft zum Zug
Muss ja nicht alles schlecht sein, bloß weil's althergebracht ist. Die Krinoline etwa dreht sich seit 1925 auf der Wiesn; Manfred Schauer haut den Gästen als Schichtl seit 1985 den Kopf runter. Allein die (neben dem untergärigen Bier) älteste Wiesn-Begleitung hat heuer schlappgemacht.
Das Zentrale Landwirtschaftsfest (ZLF), das (damals noch in anderer Form) seit 1811 auf der Theresienwiese stattgefunden hat, fällt aus mangels Masse. Es haben sich zu wenig Aussteller angemeldet. Das freut die Beschicker der Oidn Wiesn, die darum unverhofft zum Zug kommen.
Die Oide gibt es zwar erst seit 2010 (anlässlich des 200-jährigen Wiesn-Jubiläums), der Name ist also eine Täuschung. Gleichwohl balgen sich hier - anders als beim ZLF, das es erst 2028 wieder geben soll - die Macher ums Mitmachen. In diesem Jahr sogar vor Gericht.
Die Boandlkramerei von Wirtsfamilie Peter und Petra Schöniger hat letztlich das Herzkasperlzelt vom Beppi Bachmaier verdrängt. Weil Lorenz Stiftls Schützenlisl-Zelt auch erst seit zwei Jahren nebenan steht, müsste die Oide Wiesn, nähme man's genau, eigentlich Neueste Wiesn heißen.
Immerhin, der Eintrittspreis zur Oidn Wiesn, die ja ein kleiner Zaun inmitten des großen Zauns umgibt, ist im Vergleich zum Vorjahr stabil geblieben. Vier Euro. Das ist für Münchner oder die, die sich dazuzählen, der Preis, um Bier aus dem Stoa zu bekommen. Und vor allem, um sich internationales Publikum vom Hals zu halten.
Davon hatte die Stadt ja den Sommer über schon reichlich. Fußball-Europameisterschaft, Taylor Swift, AC/DC, Coldplay und dann noch zehn Konzerte von Adele in Riem: Ein solches Geschäft haben Hoteliers und Innenstadt-Gastronomen wohl noch in keinem Jahr gemacht, ehe der OB das erste Fass überhaupt angezapft hat.
Es wird spannend sein zu beobachten, ob der internationale Touristenstrom nach dem Münchner Megasommer noch weitergeht. Nicht nur Gregor Lemke, der Chef der Innenstadt-Wirte, die ja erneut zur Wirtshaus-Wiesn laden, glaubt fest daran: "München hat sich seinen Besuchern aus dem Ausland heuer schon so leicht, gastfreundlich und munter präsentiert, dass einige bestimmt gern ein weiteres Mal kommen", sagt er zur AZ.
Die anfängliche Mulmigkeit vergeht nach ein paar Tagen
Vor allem die zahlungsfreudigen Schotten und Dänen, die daheim für einen Fetznrausch noch viel tiefer in die Tasche greifen müssen als in München, wären Lemke und seinen Wirte-Kollegen mehr als recht.
Vor zwei Jahren hat der Mobilfunkanbieter Telefonica übrigens mal ausgewertet, wer sich während des Oktoberfests ins Netz über der Theresienwiese einwählt. Das Ergebnis formulierte Telefonica so: "Obschon weltbekannt, kommen nur knapp 16 Prozent der Besucher aus dem Ausland, und auch unter den deutschen Wiesn-Gängern kommt der Großteil direkt aus München (70 Prozent) bzw. Bayern (95 Prozent)."
Laut glaubhafter Statistik ist die Wiesn also ganz anders als ihr Ruf: viel bayerischer und münchnerischer als angenommen. Gott mit dir, du Fest der Bayern!
Zumindest in den vergangenen Jahren hat es immer gepasst mit dem Beistand - ob er nun von oben oder uniformiert daherkam: Die Mulmigkeit, die zuletzt jeden Wiesn-Auftakt aus den eingangs genannten Gründen begleitet hat, ist stets nach ein paar Tagen zuverlässig verschwunden.
Sogar das Wetter soll heuer wunderbar mitspielen - und das nach den Land-unter-Szenarien noch zu Wochenbeginn. Es darf eine wunderbare Wiesn werden. Die Zeichen stehen gut.