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Zu Besuch bei den Meistern der Wiesn-Ochsen

Etwa 120 Ochsen werden fürs Oktoberfest geschlachtet. Sogar die Landwirte, die sie aufziehen, essen sie gerne. Denn sie haben kein schlechtes Gewissen.
von  Christina Hertel
Seit 20 Jahren arbeitet Andreas Huber auf Gut Karlshof.
Seit 20 Jahren arbeitet Andreas Huber auf Gut Karlshof. © Foto: Daniel von Loeper

München - Wenn Sie diese Geschichte lesen, hängen die größten Ochsen auf den Bildern – gut 700 Kilo schwer – schon seit etwa drei Wochen in zwei Hälften geteilt in einer Kühlanlage. Noch zehn Tage werden sie dort hängen. Dann können Sie die Ochsen mit Kartoffelsalat oder in der Semmel, als Braten, als Wurst oder Pflanzerl essen. Dann beginnt die Wiesn.

Die rund 120 Ochsen, die jedes Jahr in der Ochsenbraterei auf dem Oktoberfest verspeist werden, kommen alle vom Gut Karlshof in Ismaning. Der Bauernhof liegt ein paar Kilometer nordöstlich von München und gehört der Stadt. Neben 570 Ochsen leben dort noch 75 Gänse und 20 Hühner. Auch 570 Hektar Ackerland und eine Biogasanlage zählen dazu.

Die ersten Wochen haben die Ochsen regelmäßig Freigang.
Die ersten Wochen haben die Ochsen regelmäßig Freigang. © Foto: Daniel von Loeper

Gutes Leben für die Tiere auch ohne Ökosiegel 

Bis 2024 soll der Bauernhof ein Ökosiegel bekommen. Doch, wenn man Andreas Huber, dem Chef von Gut Karlshof, glaubt, muss sich bei der Ochsenhaltung nicht mehr viel ändern. Denn die Tiere haben schon heute ein gutes Leben, davon ist der Landwirt überzeugt. Zumindest 16 Monate lang – so lange verbringen die meisten Ochsen auf dem Gut, bevor sie geschlachtet werden.

Etwa sechs Monate alt und um die 230 Kilo schwer kommen die Ochsen auf Gut Karlshof an. Einer von Hubers Mitarbeitern ersteigert sie in Kirchheim, nur ein paar Kilometer entfernt. Jeden zweiten Montag findet dort eine Auktion von jungen Rindern statt. Mal zu acht, mal zu sechst oder alleine laufen die Tiere in Kirchheim in eine Manege. Wer mitbieten will, hebt ein weißes Schild mit einer Nummer drauf.

Jungtier kostet im Schnitt rund 900 Euro

Alle Tiere, die in Kirchheim versteigert werden, kommen aus der Region – allerdings meist von konventionellen Höfen. Wenn Gut Karlshof das Ökosiegel haben will, muss der Betrieb seine jungen Ochsen auch in anderen Teilen Bayerns einkaufen, schildert Hubert.

Ihr Tag besteht dann hauptsächlich aus einer Tätigkeit: fressen.
Ihr Tag besteht dann hauptsächlich aus einer Tätigkeit: fressen. © Foto: Daniel von Loeper

Im Schnitt koste ein junger Ochse um die 900 Euro, sagt Huber. Wie erkennt man, ob sich der Preis lohnt? "Schwer zu erklären. Man braucht das richtige Auge", antwortet Huber. Also? "Das Fell sollte glatt sein, die Augen nicht zu tief sitzen, die Ohren nicht hängen."

Andreas Huber ist einer dieser Männer, die kein Wort zu viel sagen. Er wuchs auf einem Hof etwa zehn Kilometer entfernt auf. Seit 20 Jahren arbeitet er auf Gut Karlshof, seit zwei Jahren ist er der Chef.

Während Huber erzählt, schaut er auf eine Wiese. Etwa 90 junge Ochsen laufen dort im Kreis. Sie wurden gerade – so wie jeden Vormittag – aus ihrem Stall gelassen. Schon seit Jahren sei den Landwirten der Stadt das Tierwohl immer wichtiger, sagt Huber: "In den 80er Jahren lag nicht mal Stroh in den Ställen."

Ochsen fressen bis zu 30 Kilo Futter am Tag

Heute hört man in dem Stall neben der Wiese Vogelgezwitscher. "Wenn die Schwalben im Stall nisten, ist die Luft darin gut", meint Huber. "Das ist eine hundert Jahre alte Bauernregel.”

Allerdings bleiben die Ochsen nur etwa zwei Monate in dem Stall mit der Wiese. Danach kommen sie in einen, wo sie nicht mehr an der frischen Luft umherlaufen können. Zum Teil liegen die Tiere im Stroh, die meisten kauen: Bis zu 30 Kilo fressen die Ochsen am Tag, Futter aus Mais, Stroh, Heu, Getreideschrot und Biertreber, das sind Reste, die beim Brauen übrigbleiben.

Die Ochsen für die Wiesn werden zwei Tage nach dem Besuch der AZ abgeholt. Sie sind um die 700 Kilo schwer. Wie er sich fühlt, wenn die Ställe plötzlich leer sind? Eine Frage, die der beantworten soll, der jeden Tag bei den Ochsen im Stall ist: Benjamin Kötzinger, 41 Jahre alt, grüne Latzhose, fester Händedruck, ein Mann, der von sich sagt, dass er sich gern in den Dreck reinstellt.

Bevor Landwirt Benjamin Kötzinger zu den Ochsen geht, pfeift er, um die Aufmerksamkeit der Tiere zu erregen. Denn: "Wenn 500 Kilo frech werden, zieht man den Kürzeren.”
Bevor Landwirt Benjamin Kötzinger zu den Ochsen geht, pfeift er, um die Aufmerksamkeit der Tiere zu erregen. Denn: "Wenn 500 Kilo frech werden, zieht man den Kürzeren.” © Foto: Daniel von Loeper

Kötzinger will Tiere mit gutem Gewissen wegschicken 

"I ess' Fleisch", sagt er ganz offen. "Also kommen wir da ned drum rum." Und er fügt auch noch hinzu: "Sonst wären die Ochsen ja gar nicht hier." Der Zweck ihres Daseins ist, dass sie eines Tages portioniert auf einem Teller liegen. "Man umsorgt die Tiere, man betreut sie, aber es ist einem immer klar bewusst, dass sie gehen." Und wenn es so weit ist, dann will Kötzinger seine Tiere mit einem guten Gewissen wegschicken – und das kann er.

Ähnlich sieht das auch seine oberste Chefin Kristina Frank (CSU), die als Kommunalreferentin für die städtischen Güter verantwortlich ist. Die Ochsensemmel sei ihr Lieblingsschmankerl auf dem Oktoberfest - auch weil sie wisse, dass während der Aufzucht gut mit den Tieren umgegangen werde.

Am meisten schätzt Kötzinger die Ruhe, die Ochsen ausstrahlen. Zu einem Ochsen, sagt er, kann man sich mit in den Stall stellen. Bei einem Bullen wäre das gefährlich. Dabei sind beides männliche Rinder. Der Unterschied: Ochsen sind kastriert und dadurch ruhiger. Trotzdem müssen die Tiere vor ihm Respekt haben, sagt Kötzinger: "Wenn 500 Kilo frech werden, zieht man den Kürzeren.”

"Nose to tail": Fast das ganze Tier wird verwertet

Er pfeift deshalb immer, bevor er ihr Gehege betritt, um die Aufmerksamkeit der Tiere zu erregen. Respekt sei auch der Wirtin der Ochsenbraterei wichtig, lässt ihre Pressesprecherin ausrichten. Und so werde fast das ganze Tier verwertet. "Nose to tail", sagt sie. Also von der Nase bis zum Schwanz. Sogar für die Haut hat sich ein Nutzen ergeben: Aus ihr sollen Schürzen gefertigt werden, die die Kellner auf der Wiesn tragen.

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