Wo Gewohnheiten nicht gelten

Unsere tägliche Wiesngängerin hat beobachtet, wieso man über den nötigen Fest-Fatalismus verfügen muss - und wieso man schlechten Fisch meiden sollte.
von  Laura Kaufmann
Wiesn-Reporterin Laura Kaufmann über Fest-Fatalismus.
Wiesn-Reporterin Laura Kaufmann über Fest-Fatalismus. © az/dpa

München - Hungrig kam ich auf die Wiesn. Aber statt eines Hendls zwischen den Zähnen hatte schnell ich einen Gin Tonic in der Hand. An der Käfer-Biergarten-Bar drängten sich die Leute zusammen wie Pinguine, um sich vor dem kalten Wind zu schützen, und das Glas drohte, an meinen Fingern festzufrieren.

Unwillkürlich dachte ich an sehr weit zurückliegende Wiesn, an der leise der Schnee aufs Zeltdach rieselte und wir uns an Knödelsuppe wärmten.

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Es brauchte einen Schnaps, um mich dort loszueisen. Und um den im Magen abzufedern, dringend eine schnelle Fischsemmel. Aber die herbeigesehnte Mahlzeit war so seltsam faserig, schmeckte alt, dass ich sie nach ein paar Bissen wegwarf, mit Bier hinterherspülte, um den Geschmack loszuwerden und um den Magen doch lieber flüssig zu füllen. Mein grausigstes Wiesn-Erlebnis so weit.

Auf der Wiesn sind Gewohnheiten aus dem wirklichen Leben nurmehr eine blasse Erinnerung. Da ist Schnaps und Gin Tonic vor dem Bier oder Kaiserschmarrn vor der Fischsemmel, wie am Tag zuvor, nichts Verwunderliches. Man muss sie nehmen wie sie kommt, die Wiesn. Fatalistisch. Zur Gewohnheit wird nur das Zöpfeflechten, das Trachtenrockhochhalten beim Radeln, das durch den Haupteingang spazieren, an Selfies schießenden Touristen vorbei – und dann nachsehen, wer da ist. Sich von der Wiesn verschlucken lassen. Nichts erwarten. Schauen, was passiert.

Alles kann, nichts muss.

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Nach der Flucht von der Käferbar wärmen wir uns im Hacker und reihen uns in die Schlange vor der Toilette ein, aus den sich öffnenden Türen stolpert eine alte Bekannte. Verabreden ist überflüssig, uns allen drückt irgendwann die Blase. Sie zieht uns mit an ihren Tisch, an der mindestens eine gute Partie steht, wie sie verspricht, aber wir interessieren uns nur für das Wiesnbier. Mein Magen ist Fischsemmel-beleidigt.

Um Mitternacht bekam ich an einem Kaffeestand eine übrige Käsebreze geschenkt. Sie schmeckte besser als ein Fünf-Gänge-Menü im Tantris.

 

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