"Wiesn ist Champions League, kein Kindergeburtstag": Endspurt beim Abbau der Festzelte auf dem Oktoberfest

München – Ulrich Pletschacher ist im Stress. Eigentlich wirkt er sehr lässig, wie er da in seinem schwarz-roten Gabelstapler sitzt, die Haare tief im Nacken zusammengebunden, und souverän die Schalthebel bedient, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Aber sein Handy klingelt die ganze Zeit, irgendjemand braucht ständig irgendwas vom Chef. Drei Wochen hat er noch Zeit, dann müssen alle Überbleibsel des Oktoberfests von der Theresienwiese verschwunden sein. Und Pletschacher ist quasi verantwortlich dafür.

Die gleichnamige Firma kümmert sich um den Auf- und Abbau fast aller großen Festzelte auf der Wiesn. Ein Knochenjob. "Knie dich mal den ganzen Tag lang hin", sagt Ulrich Pletschacher, der Oberbaumeister. "Und das bei 35 Grad! Oder wenn's regnet!" Kein Vergnügen, aber notwendig, wenn er und seine Mitarbeiter rund 120 Tausend Quadratmeter Boden auf dem Festgelände verlegen.
Nach dem Oktoberfest in München: "Wir bauen hier eine Stadt auf und wieder ab"
Am Festzelt Tradition hält Pletschacher an und zeigt auf die Stelle, wo bis vor kurzem noch der Biergarten war. Jetzt liegen hier übereinandergestapelte Holzbretter. Dass allein der Bodenaufbau etwa durch den Unterbau mit einem immensen Aufwand verbunden ist, das sehe niemand. "In den Küchen sind die Böden sogar betoniert", sagt Pletschacher, "gesundheitstechnische Vorschrift." Aber auch die müssen nach der Wiesn innerhalb von wenigen Wochen wieder abgebaut werden.

"Wir schneiden sie und heben sie dann heraus", erklärt der Zimmermeister. Bei anderen Volksfesten gebe es keine betonierten Böden. Wohl aber auch keine verlegten Strom- und Gasleitungen, die beim Auf- und Abbau berücksichtigt werden müssen, wie hier in den Zelten auf der Theresienwiese. "Wir bauen hier eine Stadt auf und wieder ab", so beschreibt Pletschacher die Arbeit seiner Firma. "Die Wiesn ist die Champions League, kein Kindergeburtstag."
Bis zum 10. November muss der Platz auf der Theresienwiese geräumt sein
"Zurück!", ruft Pletschacher seinem Kollegen zu, der im Führerhaus eines LKWs sitzt. Er muss noch ein Stück weiter nach hinten fahren, damit Pletschacher den großen blauen Container, der vor dem Festzelt Tradition steht und bereit zum Abtransport ist, mit dem Stapler auf seine Ladefläche heben kann. Der Kollege ist einer von rund 200 Mitarbeitern, die für die Firma Pletschacher auf der Theresienweise im Einsatz sind – und das bei jedem Wetter.
Heute ist ein kühler Oktobertag, kurze Zeit später fängt es an zu regnen. Einige Männer, die auf dem Gelände am Werkeln sind, streifen sich ihre Kapuze über den Kopf. Aufhören, wegen des Regens? Das ist keine Option. Die Frist rückt immer näher, am 10. November muss der Platz geräumt sein – so die Anweisung der Stadt. Von den Kaffeezelten, den Hühnerbratereien, den Wurst- und Imbisshallen sowie den Hochfahrgeschäften ist bereits nichts mehr auf dem Gelände zu sehen. Sie mussten das Gelände schon bis zum 13. Oktober verlassen haben.
"Sehen, dass es nicht funktioniert": Münchner wollen Theresienwiese mit dem Radl überqueren
Der Zeitdruck ist enorm, erzählt Pletschacher. Frei habe er nur am Sonntag. "2019 hatten wir noch elf Wochen Zeit zum Aufbauen. Jetzt sind es nur noch zehn", so der Zimmermeister. Da müsse man jeden Tag nutzen, damit die Zelte rechtzeitig fertig werden. "Die Mitarbeiter sehen ihre Familie in dieser Zeit teilweise zehn Wochen lang nicht", sagt Pletschacher. Auch auf ihn wartet Zuhause die Familie, sein Kind ist 18 Monate alt. "Es ist eine lange Zeit des Verzichts", sagt er.

Als Grund für die kurze Zeit, die ihm zur Verfügung steht, nennt Pletschacher die Leute, die sich an der Baustelle stören, weil sie die Theresienwiese dann nicht mehr mit dem Fahrrad überqueren können. Sein Verständnis dafür hält sich in Grenzen. Im Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner (CSU) hat Pletschacher einen Fürsprecher bei der Stadt. "Wir sehen, dass es so nicht funktioniert", sagt er der AZ. Seine Absicht sei es, den Aufbau um ein bis zwei Wochen zu verlängern.
Auch im nächsten Jahr wird Ulrich Pletschacher die Festzelte auf der Wiesn aufbauen
Wer die Theresienwiese nicht überqueren kann, muss einen Umweg von 290 Metern machen. "Das ist machbar", sagt der Wiesn-Chef. "Die Sicherheit und das Wohlergehen der Arbeiter haben Vorrang." Ulrich Pletschacher fährt mit seinem Gabelstapler zur Bräurosl, auch dieses Zelt baut seine Firma auf und wieder ab. Hier werden gerade die letzten Dekoteile, etwa die Deckenkränze, abgebaut.

Noch steht das Zelt, aber bald werden die Einzelteile in Container verfrachtet, wo sie bis zum nächsten Jahr bleiben. Dann ist die Wiesn 2023 endgültig Geschichte. Nach der Wiesn ist aber bekanntlich vor der Wiesn. Dann ist es wieder Ulrich Pletschacher, der als einer der ersten auf dem Gelände anrückt und das größte Volksfest der Welt aufbaut. Wer weiß, vielleicht bekommt er dafür nächstes Jahr ja ein bisschen mehr Zeit.