Wiesn-Absage 2020: Viele Verlierer und ganz wenige Gewinner

Ein Sommer, der ohne Oktoberfest zu Ende geht. Was für eine traurige Sache! Doch der Verzicht auf zwei Wochen Spaß lässt sich verkraften. Wirklich schlimm ist die Absage für die Menschen, die mit dem Oktoberfest ihren Lebensunterhalt verdienen.
von  Sabine Dobel, Elke Richter, Britta Schultejans und Cordula Dieckmann, dpa
Ein Knochenjob, allerdings ein gut bezahlter: Wiesn-Bedienung.
Ein Knochenjob, allerdings ein gut bezahlter: Wiesn-Bedienung. © Felix Hörhager/dpa

München - Das Wiesn-Aus in diesem Jahr ist für viele eine Katastrophe. Wiesn-Wirte, Schausteller, Hoteliers und Gastronomen erleiden herbe Verluste. Für ein paar Wenige hat die Absage aber auch gute Seiten. Eine Zusammenstellung:

Herber Schlag für Wiesnwirte, Schausteller, Hotels und Gastro

Rund sechs Millionen Besucher strömen jedes Jahr auf das Oktoberfest. Für München ein gewaltiger Wirtschaftsfaktor von rund 1,23 Milliarden Euro, wie die Stadt für das Jahr 2019 berechnet hatte.

Doch Geld geben die Leute nicht nur auf der Wiesn aus, etwa für Bier, Brathendl oder Lebkuchenherzen. Auch ringsum profitieren Gaststätten, Bars sowie Hotels und Pensionen, die in dieser Zeit volles Haus haben. Dass diese Einnahmen nun ausbleiben, ist deshalb nicht nur für die Wiesnwirte und die Schausteller ein herber Schlag, sondern auch für die gesamte Hotel- und Gastronomiebranche.

Bedienungen müssen auf Tausende Euro verzichten

Ein Knochenjob, allerdings ein gut bezahlter: Wiesn-Bedienung.
Ein Knochenjob, allerdings ein gut bezahlter: Wiesn-Bedienung. © Felix Hörhager/dpa

Viele Bedienungen reisen von weither an, etwa aus Österreich oder anderen Teilen Deutschlands. Und viele nehmen extra Urlaub für das lukrative Wiesn-Geschäft. An die 10.000 Euro soll man Schätzungen zufolge als Kellner oder Kellnerin verdienen können – offiziell herrscht darüber Stillschweigen.

Dafür ist der Job echte Knochenarbeit: An die zehn Maß auf einmal schleppen – das verlangt Training. Laut Stadt sind rund 8.000 fest angestellte und 5.000 wechselnde Arbeitskräfte insgesamt auf dem Oktoberfest. Für sie alle dürfte dieses Jahr der Verdienst ausfallen. Ob es in Einzelfällen Ausfallhonorare geben könnte, blieb zunächst offen.

Anwohner können aufatmen

Aufatmen können die geschundenen Wiesn-Nachbarn, die rund ums Festgelände wohnen. Überreste eines zu hohen Alkoholkonsums im Vorgarten und andere Hinterlassenschaften der Oktoberfestbesucher sorgten bei ihnen nicht für Freude.

Die Stadt hatte deshalb in den vergangenen Jahren unter dem Motto "Bei Anruf sauber" eine "Reinigungshotline" angeboten. Dort konnten Anwohner wiesnbedingten Unrat auf ihren Privatgrundstücken oder in Tor- und Hauseingängen melden. Das mobile Reinigungsteam wird dieses Jahr nicht ausrücken müssen – und lärmende Menschen werden die Nachtruhe nicht stören.

Leere, Ruhe, Einsamkeit: Münchner Biergärten ohne Bier - und Menschen

Aicher Ambulanz auch ohne Wiesn auf der Theresienwiese

Alljährlich ist die Aicher Ambulanz mit rund 600 Helfern auf dem Oktoberfest, darunter an die 50 Ärzte. "Wir hatten schon viel Anfragen von ehrenamtlichen Helfern, denen wir jetzt absagen müssen", sagt Sprecherin Ulrike Krivec.

Die Aicher Ambulanz habe sich auf das Fest eingestellt. Mit der Corona-Krise habe das Rettungsdienstunternehmen aber auch so gut zu tun. Die Aicher Ambulanz ist unter anderem an Drive-in-Teststationen beteiligt und ist deshalb auch ohne Wiesn auf der Theresienwiese im Einsatz. In einem Zelt werden dort seit Wochen potenziell Infizierte getestet.

Keine Alkoholleichen in den Kliniken

Vor dem Oktoberfest bereiten sich die Kliniken in München normalerweise teils mit Notfall-Übungen und mehr Personal vor, nicht zuletzt wegen der Bierleichen. Menschen mit Alkoholvergiftung - oft bedingt durch die After-Wiesn-Partys - müssen oft stundenlang beobachtet werden, bis sie wieder fit sind. So wurden zur Wiesn 2018 etwa im Rotkreuzklinikum rund 1.200 Menschen in der Notaufnahme behandelt, doppelt so viele wie sonst. Nicht alle hatten zu viel getrunken. Weil zur Wiesn mehr Menschen in der Stadt sind, ereignen sich auch mehr Unfälle. Das alles fällt dieses Jahr weg.

Polizei hat Zeit für andere Aufgaben

Die Polizei ist zur Wiesn normalerweise mit Hunderten Beamten im Einsatz.
Die Polizei ist zur Wiesn normalerweise mit Hunderten Beamten im Einsatz. © Bernd Wackerbauer

Rund 600 Polizeibeamte sind normalerweise rund um die Wiesn im Einsatz. Die haben jetzt Zeit für andere Aufgaben. Außerdem blieben "wiesntypische Straftaten" wie Taschendiebstähle oder die berühmten Maßkrug-Schlägereien aus, hieß es bei der Polizei. Und das Amtsgericht München geht davon aus, dass der zuständige Ermittlungsrichter in den zwei Wochen, in denen die Wiesn stattgefunden hätte, nun deutlich weniger ausländische Fahrerlaubnisse mit einem Sperrhinweis versehen muss.

Weniger Arbeit für die Straßenreinigung

Gut für die Umwelt, weniger Arbeit für die Straßenreinigung – die riesigen Müllmengen bleiben heuer aus. An Spitzentagen liegen nach Angaben der Straßenreinigung zehn Tonnen Abfall auf den Gassen der Theresienwiese. 160 Gramm Müll hinterlässt jeder Wiesn-Besucher laut Abfallwirtschaftsbetrieb München auf dem Festgelände. Während der gesamten Wiesn-Zeit 2018 entstanden insgesamt 1.729 Tonnen Müll, darunter 510 Tonnen Speisereste samt abgenagter Hähnchenknochen. 66 Tonnen kamen allein durch zerbrochenes Glas zusammen.

MVG bleibt wohl bei der "schwarzen Null"

Zur Wiesn-Zeit herrscht am U-Bahnhof Theresienwiese normalerweise Hochbetrieb. Dieses Jahr dürfte es hier im September und Oktober jedoch deutlich entspannter zugehen.
Zur Wiesn-Zeit herrscht am U-Bahnhof Theresienwiese normalerweise Hochbetrieb. Dieses Jahr dürfte es hier im September und Oktober jedoch deutlich entspannter zugehen. © Felix Hörhager/dpa

Für Berufspendler im öffentlichen Nahverkehr steigen die Chancen auf einen Sitzplatz. Normalerweise befördert die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) während der Wiesn zwischen 3 und 3,5 Millionen zusätzliche Fahrgäste, durchaus schon am frühen Vormittag.

Ein finanzieller Verlust sei die Absage aber nicht, sagt Sprecher Matthias Korte: "Wir schreiben in der Regel eine schwarze Null, weil wir natürlich einen enormen Zusatzaufwand an Personal, Fahrzeugen, Taktverdichtern etc. haben." 6.000 Zusatzfahrten kosten eine Stange Geld, ebenso 200 zusätzliche Mitarbeiter pro Tag.

Anders sieht es bei der Bayerischen Oberlandbahn (BOB) aus: "Das Oktoberfest hatte bisher erheblichen Einfluss auf unsere Ertragslage, damit ist Absage für uns wirtschaftlich sehr schmerzhaft – in der aktuellen Situation aber absolut nachvollziehbar", erläutert Sprecher Christopher Raabe.

Taxifahrer zur Wiesn: Fluch und Segen

Für Taxifahrer ist die Wiesnzeit eine zweischneidige Sache. Einerseits gehen Aufträge und Umsätze deutlich hoch, sie können unzählige Fahrgäste ohne Wartezeit direkt an der Straße aufnehmen. Andererseits ballt sich das Geschäft zu bestimmten Uhrzeiten. Vor allem aber: Betrunkene, manchmal gar aggressive Wiesngäste sind keine angenehmen Fahrgäste. Es gibt daher Fahrer, die während des Oktoberfestes prinzipiell lieber pausieren.

Vögel haben ihre Ruhe

Zwei Wochen lang bis in den späten Abend hellblinkende Lichter, ratternde Achterbahnen, Musik und Stimmengewirr – für die Tiere rund um die Theresienwiese ist das Oktoberfest durchaus eine Belastung. Das betreffe vor allem die Bewohner der Bäume rings um die Festwiese, sagt Thorsten Kellermann vom Bund Naturschutz in München. Vor allem Vögel hätten nun ihre Ruhe.

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