Welche Tracht passt beim Oktoberfest? Eine Expertin rät.

Über Trachten ist schon fast alles gesagt. Wie sieht eine Tracht für das 21. Jahrhundert aus? WIe erdet sie uns Stadtmenschen?
Adrian Prechtel |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Mika Keune umrahmt vom Musikverein Rieden mit Harald Busch zur Linken und Hermann Götz zur Rechten.
Daniel von Loeper Mika Keune umrahmt vom Musikverein Rieden mit Harald Busch zur Linken und Hermann Götz zur Rechten.

Sich für das Heute rausputzen. Über Trachten ist schon fast alles gesagt. Wie sieht eine Tracht für das 21. Jahrhundert aus? WIe erdet sie uns Stadtmenschen?

Couture aus Bayern – so bezeichnet Mika Keune das, was sie als Modedesignerin macht: Abendkleider, Hochzeitsgarderoben und eben Trachten. Das bildet für sie eine Einheit, weil alles auf traditionelle Grundmuster zurückgeht, die sie in der Balance aus Tradition und Moderne aufgreift. Auf eine Mass haben wir sie aus ihrem schönen Pullacher Atelier auf die Oide Wiesn gelockt, wo sie gleich mal vom Musikverein Rieden auf die Holzbühne gelockt wurde.

AZ: Frau Keune, die Riedener Schwaben sind ja echt fesch. Aber ist es nicht lächerlich, wenn Münchner Stadtbuben und Großstadtmädchen eine Miesbacher oder Tölzer Bauerntracht tragen?

MICHAELA KEUNE: Besser als Kaufhaus-Stangenware. Und schon vor 150 Jahren ging es los, dass die Städter hier Miesbacher Hüte aufgesetzt haben. Die waren halt besonders schön. Es setzt sich oft die Tracht aus einer Region durch, wo die Bauern reich waren und sich fescher aufbrezeln konnten. Wenn man nach Österreich schaut, gilt das parallel für die Altausseer Trachten. Es gibt immer Platzhirsche.

Und was müsste man konsequent als Münchner tragen?

Es gibt natürlich eine Altmünchner Kleidung, die aber bürgerlich ist. Es kann ja keine richtige städtische Tracht geben, weil Trachten eben vom Land kommen. Aber seit sich die Wittelsbacher den Trachten Mitte des 19. Jahrhunderts zugewandt haben, hat sich die Stadtbevölkerung bei Landausflügen von Trachten modisch inspirieren lassen. Vielleicht kommt das Dachauer Gwand der Sache als Vorbild für uns Münchner am nächsten – mit Doppelweste und Stulpenstiefeln.

Was ist das Wesentliche einer Tracht?

Es ist viel mehr erlaubt, als man denkt. Schön finde ich immer, wenn man sich nicht uniformiert, sondern etwas Eigenes hinzufügt. Das war das Wesen der Tracht, dass jeder Bauer Sachen dazuerfunden hat, die er gerade gut fand und handwerklich konnte. Schön ist es, wenn man sein Monogramm auf die Lederhosn stickt, die Oma noch ein Blümchen dazu macht oder sich die Frau eine eigene Zierbrosche machen lässt und Borten und Farben selbst aussucht. Alles Eigene gibt Erdung, Halt, Stolz.

Wird das beherzigt?

Schon seit Jahren merke ich auf Waldfesten im Oberland, dass der Trend dazu geht, sich Farben zuzutrauen und sich von der Oma oder Freundin die Strümpfe stricken zu lassen.

Oder gleich selber zu stricken...

Das ist schön, aber sicher selten. Ohne jemanden zu verschrecken: Ich vergleiche das manchmal mit der früheren Tradition, dass man sein Totenhemd selbst gewoben, genäht oder bestickt hat. Das hat etwas mit Liebe und Konzentration auf sich selbst zu tun. Das wäre schön, wenn sich das in einer Tracht wiederspiegelt.

Wie finden Sie die Trachten hier so um uns herum?

Es wird von Jahr zu Jahr besser. Man traut sich mehr, gibt sich mehr Mühe. Noch vor 15 Jahren hat jeder für die Wiesn was aus dem Schrank gezogen, was halt trachtlig ausgesehen hat! Aber da wäre es geschmackvoller, gleich was ganz anderes zu machen.

Sie beraten als Designerin von „Couture aus Bayern“ Menschen. Was sind ihre Ansätze?

Ich suche Stoffe und Materialien, die zusammen passen, frage nach Lieblingsfarben. Überhaupt fällt auf, dass sich die Leute wieder mehr Gedanken machen und fragen: Muss die Schürze so lang wie der Rock sein? Wo macht man die Schleife? Und Männer wollen zum Beispiel eine individuelle Weste haben. Aber es muss halt alles zum Typ passen.

Was raten Sie da einem Alpenländer mit braunen Augen, braunen, gescheckelten Harren und leichtem Teint?

Farbe wagen!

Ist es nicht merkwürdig, dass auch alle Nichtbayern auf der Wiesn eine Art bayerische Tracht tragen?

Das ist natürlich schade. Die meisten deutschen Landstriche hätten ja eine eigene Tradition. Die Schotten machen’s vor und kommen ja auch mit ihrem Rock hierher. Aber die meisten denken nicht nach und sagen: Was haben die denn in Bayern so an? Dirndl und Lederhosn! Und dann kostümieren sie sich so ohne jeden eigenen Bezug – was etwas lächerlich ist.

Wie könnte sich das ändern?

Man kann ja vorsichtig anfangen: Kniebundhosen anziehen, schauen, welche Farben und Materialien in der Heimat vorrangig sind. Im Schwarzwald ist das zum Beispiel der Samt, schwarz und rot.

Trachten haben ja oft viel Tant und Kopfputz. Wenn man sie heute trägt, muss es doch achterbahn-tauglich sein.

Sicher. Aber so herausgeputzt war man auch früher nur zum Kirchgang, Hochzeit oder hohen Fest eines Heiligen. Im Wirtshaus haben die dann auch die Hüte abgesetzt. Und an anderen Tagen war die Tracht auch dezenter.

Was heißt das für heute?

Dass man eine Tracht wunderbar vereinfachen kann und trotzdem die Feierlichkeit bewahrt – im Sommer zum Beispiel mit einem leichten Strohhut. Keine will sich mit ihrem feinen Seidendirndl in einen wilden Rave von G.Rag und den Landlergschwistern im Herzkasperlzelt stürzen.

Wie sehen dann Trachten im 21. Jahrhundert aus?

Man kann frech als Stilelement einen Reißverschluss einbauen. Die Linien sind klarer, alles ist reduzierter, nicht mehr so überverziert. Und man muss sich fragen: Was will ich rausarbeiten? Taille, Busen, Beine, Dekolleté? Das kann man dann mit Verzierung betonen, anderes dann etwas zurücknehmen. Also wenn man Rüschen macht oder der Rock schön bestickt ist, sollte der Rest dann schlichter sein, sonst sieht man aus wie ein zugeknallter Christbaum oder Pfingstochse.

Und was kann man zum Beispiel als – von Ihnen gefordertes – „Eigenes“ an sein Charivari hängen?

Alles, wenn es etwas mit einem selbst zu tun hat.

Also auch einen Schlumpf?

Vielleicht etwas schrill und vom Material billig. Aber wenn das was ist, was man seit Kindheit liebt und sammelt: Warum nicht?

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.