So hart sind Einsätze der Wiesn-Sanitäter auf dem Oktoberfest in München: "Ist einfach in sich zusammengesackt"

München - Sie kommen nur durch, weil sie in ihre Trillerpfeifen hineinblasen und laut "Achtung! Achtung, bitte!", rufen. Die Leute weichen dem heranpreschenden Pulk teils erschrocken aus, mit den lauten Pfiffen und der ratternden Trage ist er nicht zu überhören.
An diesem sonnigen Mittwoch ist das Festgelände gut besucht, viele Besucher schlendern gemütlich über die Wiesn. Doch Schlendern kommt für die fünf Einsatzkräfte der Aicher Ambulanz mit ihrer Fahrtrage nicht infrage, sie müssen zum anderen Ende des Festgeländes. Den Sanitätern pressiert's.
Sanitäter auf dem Oktoberfest: Viele versuchen, einen Blick auf die Trage zu erhaschen
Vier Minuten und 20 Sekunden, so lange dauert es im Durchschnitt, bis ein Tragen-Team seinen Einsatzort erreicht, teilt Michel Belcijan von der Aicher Ambulanz mit. In den ersten acht Wiesn-Tagen rückten sie 1.236 Mal aus – insgesamt kamen in diesem Zeitraum 3,4 Millionen Gäste auf die Theresienwiese.
"Die Versorgung von kleineren oder auch einmal größeren Blessuren und die Betreuung des ein oder anderen Wiesn-Gastes, der einen über den Durst getrunken hat, gehören zu den Standardaufgaben eines Sanitätsdienstleisters", heißt es seitens der Aicher Ambulanz.

"Ruhe!", ruft ein verständnisloser älterer Herr, doch die fünf Helfer lassen sich davon nicht beirren. "Solche Reaktionen sind eher die Ausnahme", sagt die Sanitäterin Laura Bumann später. Der Großteil der Leute sei dankbar für ihren Einsatz.
Doch viele scheinen auch sehr neugierig zu sein, viele recken ihren Kopf in Richtung des spurtenden Trupps und versuchen, einen Blick von der Trage zu erhaschen. Aus diesem Grund gibt es die blauen Hauben – um die Patienten abzuschirmen.

Mobiler CT-Scanner auf dem Oktoberfest: Rettungsdienste und Kliniken sollen entlastet werden
Eine Frau liegt mit angewinkelten Beinen auf einer Tischtennisplatte, als die Sanitäter eintreffen. Sie wird heute aber nicht mehr auf der Trage liegen – der Arzt, der auch vor Ort ist, entscheidet: Die Frau muss ins Krankenhaus. "Es gibt einen Verdacht auf Bänderriss", erklärt Bumann. "Da ist es schlauer, dass sie gleich in die Klinik geht, weil eine OP im Raum steht." Kurze Zeit später trifft auch schon der Sanka ein. Der Einsatz ist für die fünf Sanitäter beendet.
Ein Ziel des Sanitätszentrums ist es, Rettungsdienste und Kliniken zu entlasten. Aus diesem Grund gibt es auch den mobilen CT-Scanner auf der Wiesn: Um nach Stürzen Hirnblutungen bei Patienten direkt vor Ort feststellen zu können – und nicht alle direkt zur Abklärung ins Krankenhaus abtransportieren zu müssen.

Manche Patienten vergessen bei aller Aufregung wichtige Details
Im Sanitätszentrum warten die Tragen-Teams auf ihren nächsten Einsatz, zwölf Gruppen sind es insgesamt. Blaue Plastikstühle stehen hier am Hintereingang herum, ein paar Einsatzkräfte unterhalten sich – bis auf einmal ein lauter Gong ertönt. "Einsatzrettung 78.1", sagt eine tiefe männliche Stimme über einen Lautsprecher. Der nächste Patient ruft.
"Stichwort Bewusstsein" erklärt der Tragenleiter und macht sich mit seinen Kollegen auf den Weg zum Bavariaring. Sie gehen zügig, am Rand des Festgeländes hinter den Zelten entlang, hier kommen sie gut durch. In der Nähe des Haupteingangs sitzt ein älterer Mann am Gehsteig.
Ein Security-Mitarbeiter stützt ihn. "Ich war auf'm Weg ins Zelt, mir ist schwindlig geworden, da hat mich der Herr aufgeklaubt", erzählt er. "An Zucker mess ma kurz bei eahna", sagt einer der Sanitäter und klemmt ihm das Messgerät vorsichtig an den Finger.

"Sie ham ganz schee koide Finger!", merkt er. Der Tragenleiter schreibt mit. "Würden sie uns begleiten, damit wir ein EKG schreiben können?", fragen die Sanitäter, nachdem sie ihn gründlich untersucht haben. Er nickt. Seine Versicherungskarte brauchen sie noch.
Er drückt einer Sanitäterin seinen Geldbeutel in die Hand – da fällt ihr noch ein anderes Kärtchen auf. "Sie ham an Herzschrittmacher?", fragt sie den Mann. Wieder nickt er. Bei all der Aufregung hat er vergessen, das zu erwähnen.
Die Sanitäter behandelten über 3.000 Patienten während der ersten Wiesn-Woche
"Das ist wie Achterbahnfahren bei uns", sagt sie zu ihm, als er auf der Trage liegt. "Jetzt schauns a mal wies Ihnen später geht, vielleicht können's Ihre Bratwurstsemmel ja noch essen." Das war eigentlich sein Plan. Im Sanitätszentrum erklärt der Tragenleiter bei der Triage, was passiert ist. "Überwachung auf alle Fälle", entscheidet die Ärztin, dann binden die Sanitäter dem Mann ein Band um's Handgelenk.

"Hier ist unser all-inclusive Bändchen", erklärt eine von ihnen. "Damit wir wissen, wer sie sind." Dann wird er in den Überwachungsraum geschoben. "Er ist nicht auf den Kopf gefallen, einfach in sich zusammen gesackt", erklären die Sanitäter den Kollegen. Dann verabschieden sie sich. Viel Zeit für eine Pause bleibt den fünf aber wohl nicht. Bei 3390 versorgten Patienten in der ersten Wiesn-Woche ist klar: Der nächste Einsatz kommt bestimmt.