Silja Schrank-Steinberg: Münchner Kindl mit Pferdeallergie
München - Der erste Stammgast sitzt schon auf der Terrasse des Hofbräukellers, bevor die Gaststätte überhaupt geöffnet hat. Das Lokal hat neue Tischdecken – weiß-blau kariert mit dem HB-Logo bestickt. Der 51-Jährige, seit Jahrzehnten am Wiener Platz zu Gast, will Wirtin Silja Schrank-Steinberg zwei der Tischtücher abkaufen.
Als die Gastronomin im Hofbräukeller ankommt, ist sein Wunsch sofort Gesprächsthema. "Keine Chance – um die Tischdecken habe ich drei Jahre lang gekämpft, die bleiben hier!", sagt sie bestimmt, aber mit einem Schmunzeln im Gesicht. Schließlich lässt sie sich doch erweichen und schenkt dem Stammgast eine ihrer heißgeliebten neuen Hofbräu-Tischdecken.
Keine Frage: Silja Schrank-Steinberg, Enkelin des Wienerwald-Gründers Friedrich Jahn, ist eine Geschäftsfrau, die weiß, wie wichtig ein respektvoller und menschlicher Umgang mit Gästen und Mitarbeitern ist. Für sie die wichtigste Eigenschaft, um als Wirtin bestehen zu können. Seit 1997 arbeitet sie im Hofbräukeller, seit 2012 leitet sie ihn mit ihrem Bruder Friedrich "Ricky" Steinberg. Als Doppelspitze sind die Geschwister mittlerweile auch Wirte im Hofbräu-Zelt auf dem Oktoberfest.

Hausaufgaben im Wiesn-Zelt
Bereits als Achtjährige war Silja Schrank-Steinberg klar, dass sie Wiesn-Wirtin werden will. Von klein auf erlebte sie das zweiwöchige Spektakel auf der Theresienwiese nicht wie die Gäste im Zelt, "sondern eigentlich immer nur hinten im Büro. Im Wienerwald gab es da so ein Mini-Büro – vielleicht zwei Quadratmeter groß."
Seit den 70er Jahren ist die Familie Steinberg auf der Wiesn vertreten. Erst mit dem kleineren Wienerwald-Zeit, ehe ihre Eltern, Margot und Günter, 1980 dann das Hofbräu Festzelt übernahmen – das größte Zelt auf dem Oktoberfest.
Von Anfang an dabei: Die kleine Silja, die mit ihrem Bruder nach der Schule ins Zelt ging, um dort Hausaufgaben zu machen. Weil die Eltern von früh bis spät im Zelt waren, brachte ein Hausmädchen die beiden auf die Wiesn und während Tausende Menschen auf den Bänken standen und bei reichlich Bier stundenlang feierten, brüteten die Geschwister über Rechenaufgaben und Rechtschreibübungen.

Nach ihrer Schulzeit absolvierte die damals 18-Jährige eine Ausbildung zur Hotelkauffrau – die Wiesn und den späteren Berufswunsch immer im Hinterkopf. Schon beim Vorstellungsgespräch im Sheraton-Hotel habe sie damals gesagt, dass sie zwei Wochen nach dem Start ihrer Ausbildung frei bräuchte – um auf dem Oktoberfest im Zelt der Eltern zu helfen.
Mit dem Baby im Arm zum Hendlessen
Seither sind knapp drei Jahrzehnte vergangen, in denen sie jeden Spätsommer auf der Theresienwiese arbeitete. Mit einer Ausnahme: 2001 kam Sohn Niclas am zweiten Festtag auf die Welt – ein echtes Wiesn-Baby also. Ganz ohne Oktoberfest ging es dann aber doch nicht: "Ich bin damals am 3. Oktober in der Früh mit meinem zehn Tage alten Kind hin, habe im Stüberl ein Hendl gegessen und bin wieder gefahren. Aber das habe ich gebraucht", erzählt die zweifache Mutter mit einem Lächeln im Gesicht.
Wenn Silja Schrank-Steinberg mit leuchtenden Augen über die Wiesn spricht, wird schnell klar, welch fundamentaler Bestandteil der jährliche Wahnsinn in ihrem Leben ist. Noch wichtiger als der Familienbetrieb ist ihr aber die Familie selbst. Das Verhältnis zueinander ist innig: Mit ihren Eltern telefoniert sie täglich, mit ihrem Bruder versteht sie sich nach jahrelanger Zusammenarbeit beinahe blind.

Auch ihre Wiesn-Kollegen sieht die Blondine als große Familie an, die jedes Jahr für zwei Wochen zusammenkommt. "Jeder weiß, es ist wahnsinnig anstrengend und stressig. Aber es sitzt jeder im gleichen Boot und sieht es positiv". Wer nicht gerne Menschen um sich herum hat, wäre als Wiesnwirt völlig falsch an der Stelle, sagt sie. Der Betrieb im Hofbräukeller läuft natürlich auch während der Wiesn weiter. Jeden Morgen schaut die Chefin kurz am Wiener Platz vorbei, danach geht es weiter auf die Theresienwiese.
Schrank-Steinberg genießt die Gemütlichkeit
Viel Zeit, um dann mal privat über das Festgelände zu schlendern, bleibt da nicht mehr. Für eine Sache nimmt sich die 47-Jährige dann aber trotzdem gerne Zeit: "Ein Musiker von uns, der gehbehindert ist, hat es nie geschafft, zum Riesenrad zu gehen. Mit dem bin ich die letzten Jahre dann zum Riesenrad vor und habe eine Runde mit ihm gedreht." Auch heuer will sie mit ihrem Mitarbeiter wieder rauf und das Gewusel auf dem Festgelände von oben sehen. Die Wiesn-Familie hält zusammen – bei Silja Schrank-Steinberg gilt das ganz besonders.
Immer präsent sein: Sowohl für die Familie zuhause als auch für die Großfamilie am Arbeitsplatz. Ein Full-Time-Job. Den Ausgleich zum stressigen Wirte-Alltag sieht sie ganz einfach in der Gemütlichkeit: "Ich genieße auch einfach mal die Zeit – dieses Leben und leben lassen. In den Herbstferien geht es dann meistens in die Berge zum Einigeln. Und wenn das Wetter nicht mitspielt, kann ich den ganzen Tag auf der Couch liegen."
Drei Jahre lang war sie Münchner Kindl

Silja Schrank-Steinberg ist offen und geradeheraus – eine sympathische Kombination. Als sie von ihrer Zeit als Münchner Kindl (1995 – 1998) erzählt, einem ihrer liebsten Wiesn-Momente, gesteht sie deshalb auch ohne Umschweife, dass sie eigentlich eine Pferde-Allergie hat und beim großen feierlichen Einzug der Wirte eine Packung Taschentücher in ihrer Kutte versteckt hatte. "Da habe ich mir gedacht, wenn ich da jetzt zwei Stunden auf dem Pferde sitze und mir einmal ins Gesicht lange, dann ist Ende. Dann läuft mir die Nase, dann tränen mir die Augen."
Tochter könnte Nachfolgerin werden
Eine mögliche Nachfolgerin steht mit Tochter Lilly übrigens auch schon ins Haus. Für ihre Tochter würde sich Silja Schrank-Steinberg wünschen, dass sie auch einmal die Erfahrung machen darf, als Münchner Kindl den Wiesn-Zug anzuführen. Doch nicht nur das – die Mutter sieht ihre Tochter schon heute als zukünftige Wirtin. "Ich weiß jetzt nicht, wo der Weg hingeht, aber sie hat zu hundert Prozent die Gene. Sie ist auch so vom Typ her – sie hat ein offenes Wesen und ein sonniges Gemüt."
Verpflichtend ist die Nachfolge freilich nicht: "Ich werde meine Kinder in allem was vernünftig ist unterstützen. Sie sollen auch das tun, was ihnen Freude macht und wo sie sich selbst sehen. Ich würde sie nie in einen Beruf zwingen", so die Mutter über die Pläne ihrer Kinder.
"Warmherzig, taff, gerecht." So beschreibt Ricky seine Schwester. Der Stammgast, der noch immer am Nachbartisch auf der Terrasse sitzt und sich über sein kariertes Stofftuch freut, kann das nur bestätigen. "Sie ist die beste Geschäftsführung, die ich hier in all den Jahren erlebt habe", sagt er, während er fröhlich mit seiner neuen Tischdecke durch die Luft wedelt.
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