Schießlers Wiesn-Buch: Als der Pfarrer im Schottenhamel bediente

München - Rainer Schießler kann sich noch gut an den sonnigen Herbst 2009 erinnern. Jeden Morgen, so erzählt er es, sei ein Kollege zu ihm in den Biergarten gekommen, habe in den blauen Himmel gezeigt und gesagt: "Gut gemacht, Hochwürden."
An jedem einzelnen der 16 Wiesn-Tage habe damals die Sonne geschienen, sagt Schießler am Dienstag in München. Das habe dann der ein oder andere auf seinen guten Draht nach oben zurückgeführt.
Pfarrer Schießler war Bedienung im Schottenhamel-Zelt
Schießler ist mutmaßlich der einzige katholische Priester, der jemals als Kellner auf dem Münchner Oktoberfest gearbeitet hat. Von 2006 bis 2012 und von 2015 bis 2018 war er ganz offiziell als Bedienung im Schottenhamel-Festzelt tätig.
Und über diese Zeit hat er nun ein Buch geschrieben: "Wiesn-Glück" erscheint an diesem Freitag. Darin schreibt Schießler, dass er auch Biblisches erkennen kann auf der Wiesn. "Der Vergleich der 'Wiesn-Festgesellschaft' mit dem, was in der Apostelgeschichte geschildert wird, liegt nahe", schreibt er und stellt Bezüge her zwischen dem gemeinsamen Essen und Trinken auf der Wiesn – und dem gemeinsamen Mahl, das Jesus mit seinen Jüngern zelebrierte.

Schießler: Wo die Wiesn der Bibel ähnelt
"Nirgends ist die Ähnlichkeit zu den Schilderungen aus der Bibel so groß wie beim Oktoberfest", meint Schießler. Natürlich sei die Wiesn "kein biblisches Spektakel". Aber: Menschen sitzen dort seiner Ansicht nach ohne Standesunterschiede zusammen. "Sie sitzen gemeinsam friedlich am Tisch", schreibt Schießler. "Darin liegt eine große Chance für uns als Menschengemeinschaft."
Das Buch handelt nicht nur davon, wie Schießler – nach einer spontanen Idee – im Schottenhamel-Biergarten landete, lernte, 14 volle Maß Bier zu stemmen, und wie er sich in insgesamt zehn Jahren langsam hocharbeitete vom Klogang im Biergarten bis in die Galerie im Festzelt.
Die Liebe zur Wiesn kam erst mit der Arbeit dort
Er schreibt auch davon, dass er seine ganz große Liebe zur Wiesn erst entdeckte, als er dort arbeitete – obwohl ihn das Oktoberfest als "Münchner Kindl" doch vorher schon ein Leben lang begleitet hatte: als Kind, wenn er mit seinen Eltern auf die Wiesn ging, als Taxifahrer während des Theologiestudiums, der sich freute, wenn die Betrunkenen ihm ins Auto kotzten – weil das dann "einen Fünfziger mehr" gab.
Schießler erzählt bei der Buchpräsentation am Dienstag, dass er keine Uhr mehr brauchte bei seiner Arbeit als Wiesn-Bedienung, weil er die Uhrzeit am Stand der Sonne und der Musik im Festzelt ablesen konnte. Bei einem bestimmten Sonnenstand und seinem Lieblings-Wiesnhit, Lynyrd Skynyrds "Sweet Home Alabama", habe er sofort gewusst: Es ist halb sechs. Dass Schießlers Oktoberfest-Buch den Untertitel "Eine Liebeserklärung" trägt, ist keine Übertreibung.
Erlös des Buches wird gespendet
Das Geld, das er auf der Wiesn verdiente, hat er nach eigenen Angaben stets gespendet. Auch der Erlös seines Buches wird für einen guten Zweck gespendet und soll einem bei einem Unfall schwer verletzten Jungen und dessen Familie zu Gute kommen.
Für seinen eigentlichen Job als Priester und Pfarrer der Münchner Gemeinde St. Maximilian habe er sich in den 16 Wiesn-Tagen immer frei genommen, sogar offiziell einen Urlaubsschein beim Erzbistum München beauftragt. Nach seinem ersten Jahr als Wiesn-Kellner sei er von einem Vorgesetzten noch gefragt worden, "ob das Kasperltheater noch eine Fortsetzung hat" und ob er Don Camillo sein wolle.
Doch einmal, so sagt Schießler, sei sogar Kardinal Reinhard Marx im Oktoberfest-Zelt vorbei gekommen, um ihn zu besuchen. Da sei er selbst aber gerade nicht da gewesen. Sie hätten sich verpasst.
Schießler, der als Kirchenrebell gilt, schreibt in seinem Buch: "Ich habe auf der Wiesn eine Kollegialität erfahren, die ich mir manchmal in meiner Kirche gewünscht hätte."