Sanitätszentrum auf dem Oktoberfest in München: "Die haben uns die Türen eingerannt"

Das Sanitätszentrum auf der Wiesn in München ist einsatzbereit, heuer wieder mit einigen Neuerungen. Künstliche Intelligenz und Technik sollen dabei helfen, eine optimale Versorgung sicherzustellen.
von  Julia Wohlgeschaffen
Mehr als 200 Mal war er bei der letzten Wiesn im Einsatz, um nach Stürzen Hirnblutungen auszuschließen: der mobile Computertomograph.
Mehr als 200 Mal war er bei der letzten Wiesn im Einsatz, um nach Stürzen Hirnblutungen auszuschließen: der mobile Computertomograph. © Daniel von Loeper

München Noch sind die Betten im Sanitätszentrum der Wiesn nicht belegt. In der Einsatzzentrale leuchten zwar schon ein Dutzend Bildschirme, Notrufe und Funksprüche bleiben bis jetzt aber aus.

Hier herrscht die berühmte Ruhe vor dem Sturm – doch das wird sich ab Samstag vermutlich recht schnell ändern, wenn die Sanitätsstation pünktlich zum Start des 188. Oktoberfests ihren Betrieb wieder aufnimmt.

"Alkohol spielt eine Rolle": Darum kommt es auf der Wiesn in München zu Verletzungen

5.444 Patienten wurden hier letztes Jahr während der Wiesn von der Aicher Ambulanz Union behandelt. "Alkohol spielt in der Regel eine Rolle", erklärt der Betriebsleiter Michel Belcijan. Das sei auf einem Bierfest auch nicht wegzudenken. "Meist sind es chirurgische Verletzungen. Umgeknickt, gestürzt, von der Bank gefallen – solche Geschichten", so Belcijan.

Auch die ein oder andere Maßkrugschlägerei beschert den Einsatzkräften im Sanitätszentrum so manchen Patienten. 2022 gab es auch 101 kritische Fälle, die als akut lebensbedrohlich eingestuft wurden, wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle. Doch für all diese Szenarien ist die Sanitätsstation gewappnet.

"Traumhaftes Umfeld": Ärzte schwärmen von Sanitätszentrum auf dem Oktoberfest

Ralf Kuchenbuch führt die AZ durch die Sanitätszentrale, in der es auch zwei OP-Räume gibt. Einer davon ist speziell für Kinder – mit Tiermotiven an der Wand und Spielzeug, das sie später mit nach Hause nehmen können.

Die kleinen Wiesn-Besucher kämen oft mit Platzwunden in die Sanitätsstation, die genäht werden müssen, sagt Kuchenbuch. Die Erwachsenen werden im OP nebenan behandelt – oft seien es Frauen mit offenen Schuhen, die in Scherben getreten sind, aber auch Schnittverletzungen der Bedienungen.

Ralf Kuchenbuch führt die AZ am Dienstag durch das Sanitätszentrum auf der Theresienwiese. Hier zeigt er den OP-Bereich für Kinder.
Ralf Kuchenbuch führt die AZ am Dienstag durch das Sanitätszentrum auf der Theresienwiese. Hier zeigt er den OP-Bereich für Kinder. © Daniel von Loeper

"Für Mediziner ist die Station ein traumhaftes Umfeld", sagt der Chefarzt der Sanitätsstation Dr. Philip Kampmann. "Die Bedingungen und die Personalstärke sind optimal."

Geschäftsführer Peter Aicher bestätigt, dass es auf der Sanitätsstation keinen Personalmangel gebe: "Wenn die Wiesn losgeht, sind alle am Start", so Aicher. "Die haben uns die Türen eingerannt."

Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner (CSU) und Geschäftsführer Peter Aicher in der Einsatzzentrale. Hier kommen die Notrufe an und von hier werden die Einsätze gesteuert.
Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner (CSU) und Geschäftsführer Peter Aicher in der Einsatzzentrale. Hier kommen die Notrufe an und von hier werden die Einsätze gesteuert. © Daniel von Loeper

Auch in diesem Jahr ist wieder ein Computertomograph auf der Wiesn im Einsatz

Auch in diesem Jahr ist wieder ein Computertomograph (CT) im Einsatz, um nach Stürzen schnell lebensbedrohliche Hirnblutungen ausschließen zu können. Das mobile Gerät steht etwas abseits, hinter dem Sanitätszentrum. 2022 wurde es das erste Mal auf der Wiesn eingesetzt, mit mehr als 200 Untersuchungen. Neu war auch der Nachtbetrieb, den es zu dieser Wiesn wieder geben wird.

Auch heuer gibt es einige Neuerungen, vor allem im technischen Bereich: Wie schon im letzten Jahr nutzen die Einsatzkräfte wieder Kamerabrillen, um mit den Kollegen in der Einsatzzentrale zu kommunizieren und im Bedarfsfall sofort Bilder übertragen zu können – vor allem wenn die Expertise eines Kollegen gefragt ist. Weil sich das System bewährt hat, kommen in diesem Jahr auch robustere Bodycams zum Einsatz.

Künstliche Intelligenz soll bei der Kommunikation mit ausländischen Patienten helfen

Ebenfalls neu: die "Im-Ohr-Sensoren". Wenn die Patienten von der Einsatzstelle auf einer Fahr-Trage ins Sanitätszentrum gebracht werden, liegen sie zum Schutz vor neugierigen Blicken unter einer Haube – die allerdings die Überwachung des Patienten erschwert. Die Sanitäter wollen nun die Sensoren im Ohr nutzen, um bei den Patienten kontinuierlich Vitalparameter wie die Körpertemperatur zu messen.

Die Ergebnisse werden direkt auf ein Endgerät der Einsatzkräfte übertragen, etwa auf ein Smartphone. Auch Unterkühlungen waren letztes Jahr ein großes Thema, weshalb dieses Jahr erstmals auch beheizbare Tragenauflagen zur Verfügung stehen. Ebenfalls Premiere feiert heuer die Künstliche Intelligenz bei den Behandlungen – sie soll bei Übersetzungen helfen, wenn die Einsatzkräfte die Sprache der Patienten nicht sprechen.

Das Sanitätszentrum auf dem Oktoberfest entlastet die Krankenhäuser in München

CT, 450 Sanitäter und 55 Ärzte, Technik und Nachtbetrieb: Wiesn-Chef Clemens Baumgärtner (CSU) spricht am Dienstag sogar von einem "Intensiv-Krankenhaus auf der Wiesn". Und Dr. Kampmann erklärt, warum München das auch braucht: "Das primäre Ziel ist die optimale Versorgung der Patienten", sagt Kampmann. "Wir wollen kein Lazarett sein, sondern gute, hochwertige Medizin anbieten."

Dr. Philip Kampmann, der ärztliche Leiter der Sanitätsstation, präsentiert die "Im-Ohr-Sensoren", mit denen etwa die Körpertemperatur der Patienten beim Transport in das Sanitätszentrum überwacht werden kann. Die Kamera-Brille, die er trägt, war letztes Jahr bereits im Einsatz und hat sich bewährt. Sie dient der Kommunikation mit der Einsatzzentrale.
Dr. Philip Kampmann, der ärztliche Leiter der Sanitätsstation, präsentiert die "Im-Ohr-Sensoren", mit denen etwa die Körpertemperatur der Patienten beim Transport in das Sanitätszentrum überwacht werden kann. Die Kamera-Brille, die er trägt, war letztes Jahr bereits im Einsatz und hat sich bewährt. Sie dient der Kommunikation mit der Einsatzzentrale. © Daniel von Loeper

Doch das ausgetüftelte Einsatzkonzept – die Planungen laufen seit März – und die hochwertige Ausstattung haben noch einen weiteren Grund: Die Entlastung der Münchner Krankenhäuser. "Das sekundäre Ziel ist es, dass das System in München nicht überstrapaziert wird", so Kampmann.

Durch den Einsatz des CTs etwa, konnten die Abtransporte in die Notaufnahmen reduziert werden. "Wir appellieren an die Eigenverantwortung und an die Rücksichtnahme", sagt Baumgärtner. Eine Wiesn ohne OP ist eben doch schöner.

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