Interview

Gerd Käfer, das Bordell und ein Podcast: Rikscha-Fahrer über sein Leben mit der Wiesn

Tagsüber steht Rikscha-Fahrer Alexander Gutsfeld in der Schwanthalerstraße in München nahe des Haupteingangs und wartet auf Fahrgäste. Das richtige Geschäft beginnt erst in der Nacht.
von  Ruth Frömmer
Rikscha-Fahrer Alexander Gutsfeld unternimmt eine Reise auf die dunkle Seite der Wiesn. Im Podcast Lederhosen Kartell nimmt er Schickeria, Prostitution, Drogenszene und die Bier-Barone genau unter die Lupe.
Rikscha-Fahrer Alexander Gutsfeld unternimmt eine Reise auf die dunkle Seite der Wiesn. Im Podcast Lederhosen Kartell nimmt er Schickeria, Prostitution, Drogenszene und die Bier-Barone genau unter die Lupe. © Daniel von Loeper

München - Ein Jahr lang hat Alexander Gutsfeld mit seinem Co-Autor Simon Garschhammer versucht, in die dunkle Seite des Oktoberfests einzutauchen. Entstanden ist ein Podcast, der überall zu hören ist, wo es Podcasts gibt. Jeden Sonntag kommt eine von sieben Folgen dazu. Zu Wort kommen die Wiesn-Menschen, von Gerd Käfer († 82) bis zur Prostituierten.

AZ: Herr Gutsfeld, wie ist Ihr persönliches Verhältnis zur Wiesn?
ALEXANDER GUTSFELD: Ich bin mit der Wiesn aufgewachsen, mit den Fahrgeschäften und Zelten. Neu kennengelernt habe ich die Wiesn aber über das Rikscha-Fahren. Ich fahre seit zehn Jahren zur Wiesn. Und da hat sie nochmal einen neuen Stellenwert bekommen.

Rikscha-Fahrer Alexander Gutsfeld: "Ich habe die dunklen Ecken kennengelernt"

Ist es Wiesnliebe oder -hass?
Ich bin Wiesn-Fan! Das Spannende ist ja: es kann total toll sein, dort im Biergarten oder Zelt zu sitzen und schöne, gesellige Momente zu erleben. Und gleichzeitig ist die Wiesn auch ein dunkler Ort mit vielen Schattenseiten und vielen, viel zu betrunkenen Menschen, wo die Stimmung auch schnell ins Gewalttätige kippen kann. Diese Ambivalenz fasziniert mich.

Rikscha-Fahrer Alexander Gutsfeld.
Rikscha-Fahrer Alexander Gutsfeld. © Daniel von Loeper

Hat Ihre Tätigkeit als Rikscha-Fahrer das beeinflusst?
Ja. So habe ich die Wiesn aus einer ganz anderen Perspektive erlebt. Aus Sicht eines Menschen, der dort arbeitet. Die Wiesn ist ein Riesengeschäft für ganz München. Rikscha-Fahren ist ein spannender Job, weil er nicht so reguliert ist, etwas anarchischer. Die Preise werden immer noch frei verhandelt. Es ist immer was los, viel Trubel, man lernt immer neue Leute kennen. Der Job macht regelrecht süchtig.

Süchtig nach Rikscha-Fahren, wirklich?
Ja, tatsächlich, man schüttet viel Adrenalin aus, weil man immer hin und her fährt und nachts in allen möglichen Ecken unterwegs ist. Dabei habe ich auch die dunklen Ecken kennengelernt: Bordelle und Koks-Dealer. Das ganze Drumherum, das mit der Wiesn einhergeht. Dort sind viele Menschen unterwegs, die nach Rausch und Lustbefriedigung suchen. Für den Podcast haben wir meine Rikscha letztes Jahr verkabelt. So erlebt man meine Abenteuer in der Nacht im Podcast mit.

"Alle auf der Wiesn versuchen, ein bisschen ihren Schnitt zu machen – auch wir Rikscha-Fahrer"

In der ersten Folge geht es um die Schickeria. Die These: Gerd Käfer hat die Wiesn so richtig groß gemacht hat. Warum?
Er hat die Wiesn grundlegend verändert und zu einem elitären Ort gemacht. Was Käfer verstanden hat, ist den Leuten Luxus zu geben und selbst aus Essen und Trinken ein Event zu machen. 1971 ist er auf die Wiesn gekommen und hat genau das mit seinem Zelt geschafft: Er hat die Schickeria auf die Wiesn gebracht.

Das heißt?
Seine Wiesnschänke ist eigentlich kein Zelt, sondern eine exklusive Almhütte. Dort gab es von Anfang an eben nicht nur Brezn, Hendl und Bier, sondern auch Rehrücken und Gamsbraten und – zunächst illegalen – Champagner. Anfangs wurde er noch heimlich in Steinkrügen ausgeschenkt. Und die Leute haben es geliebt.

Waren vorher keine Promis auf der Wiesn?
Es gab schon immer wieder Promis, zum Beispiel im Hippodrom. Aber dieses Schaulaufen, wie wir es heute kennen, fand nicht statt. Und es ist ja ganz klar: Der Käfer ist der Laufsteg der Wiesn. Da sieht man, was in ist auf der Wiesn.

Anfangs war Gerd Käfer aber noch ein Außenseiter, richtig?
Ja, aber er hat es geschafft, einen Sonderstatus bekommen. Zum Beispiel, dass er zwei Stunden länger aufhaben darf. Das hat er durch seine guten Verbindungen hinbekommen. Da kann man schön das Wiesn-Prinzip "Eine Hand wäscht die andere" erkennen. Alle auf der Wiesn versuchen ein bisschen ihren Schnitt zu machen – auch wir Rikscha-Fahrer.

"Wir kriegen Provision, wenn wir Männer im Bordell abliefern"

Und wie macht's der Michael Käfer?
Gerd Käfer war ein Lebemann, der auch mal auf der Bühne stand und Musik gespielt hat. Sein Sohn Michael ist auch sehr fleißig, aber mehr der Geschäftsmann. Ihm ist es gelungen, das Unternehmen sehr erfolgreich auszubauen.

Apropos Lebemann. Gehören Rauschmittel auch zur Wiesn?
Tagsüber dreht sich die Wiesn ums Bier. Nachts kommt noch das Kokain dazu. Das ist die Droge, nach der ich immer wieder gefragt werde. Im Podcast gibt es eine typische Szene, in der mir ein Engländer etwas anbietet. Das habe ich oft erlebt.

Und wo bekommen die Leute das Kokain?
Rund um die Theresienwiese auf der Straße. Und auch in den Clubs, in die ich die Leute nach der Wiesn fahre. Der Heart Club ist 2019 aufgeflogen, dort gab es eine große Drogen-Razzia. Auch darum geht es im Podcast. Was man so hört, war und ist das aber nicht der einzige Club, in dem Drogen verkauft wurden.

Bringen Sie die Wiesnbesucher auch ins Bordell?
Ja. Wir kassieren sogar Provision, wenn wir Männer dort abliefern. In der neuesten Folge des Podcasts beschäftige ich mich mit der Frage, ob das moralisch vertretbar ist. Ein Kollege von mir macht das grundsätzlich nicht, weil er Ausbeutung und schlechte Arbeitsbedingungen nicht unterstützen will. Wir haben eine Reise ins Rotlicht-Milieu unternommen, reden mit Sexarbeiterinnen, einem Bordellbesitzer und einer Wissenschaftlerin. Dafür habe ich sogar eine Nacht im Bordell Leierkasten verbracht.

"Wir Rikscha-Fahrer wollen die richtigen Leute fahren"

Sie sind also vorwiegend abends Rikscha gefahren?
Insgesamt ist Rikscha-Fahren ein Business, das vor allem in der Nacht losgeht. Wenn die Zelte schließen, die Leute weiterfeiern wollen, Partys suchen oder ins Hotel wollen.

Und wo war Ihr Stammplatz?
In der Schwanthalerstraße und nachts dann Esperantoplatz. In die Richtung gehen die Käfer-Gäste um 1 Uhr. Da stehen wir Rikscha-Fahrer dann und sprechen sie offensiv an. Denn man will nicht nur so viele Leute wie möglich fahren, sondern auch die richtigen Leute.

Welche sind das?
Die, die genug Geld zahlen.

Woran erkennen Sie die?
Da schaut man dann: Wie teuer ist das Dirndl, wie teuer die Lederhosn? Dann schaut man, was kann man verlangen und dann pokert man ein bisschen.

"Aber am Ende ist es einfach nur der Kick, in den Käfer reinzukommen"

In Ihrer ersten Podcast-Folge haben Sie sich ja gewaltig geirrt.
Da kam ein Pärchen auf mich zu und ich dachte, das wären Käfergäste aus dem Bilderbuch. Er hatte eine 9-Liter große Champagnerflasche unterm Arm, gegelte Haare, sie zwei Lebkuchenherzen um den Hals. Die sahen aus wie das typische Käfer-Publikum. Ich dachte mir, die können viel zahlen, und warten nur darauf, dass ich sie für 120 Euro ins P1 fahre.

Und dann?
Haben sie mir erzählt, dass sie Studenten sind und sich immer ins Käferzelt reinschleichen. Sie setzen sich dann an einen Tisch und trinken einfach mit. Dort ist es nämlich so, dass immer die Leute zahlen, die den Tisch reserviert haben. Ihr Hobby war nicht nur, sich in den Käfer zu schleichen, sondern bis hoch in den ersten Stock zu kommen.

Warum das?
Dort sind die Promis, das ist ein Sehnsuchtsort für das Pärchen. Aber am Ende ist es vermutlich einfach nur der Kick, dort reinzukommen. Sie haben mir im Podcast sogar geholfen, selbst da hoch zu kommen.

Geht's im Podcast eigentlich auch um Bier?
Ja. Aber etwas anders. Wir haben eine Folge über Giesinger Bräu gemacht. Brauereichef Steffen Marx will ja auf die Wiesn und legt sich mit den sechs großen Münchner Brauereien an. Denn die wollen ganz und gar nicht, dass die Wiesn eine siebte Brauerei bekommt.

Den Podcast findet man auf den gängigen Internet-Plattformen.
Den Podcast findet man auf den gängigen Internet-Plattformen. © privat

Rikscha-Fahrer Alexander Gutsfeld: "Die Wiesn ist ein bayerisches Fest, aber gleichzeitig international"

Warum eigentlich nicht?
Die verteidigen ihre Privilegien. Ich habe mit dem Wiesnwirt Peter Inselkammer gesprochen, dessen Familie Anteile an Augustiner hat und mit Paulaner-Chef Andreas Steinfatt. Der argumentiert mit der Tradition. Die hätten die bestehenden Brauereien und Giesinger nicht.

Das sind ihre Argumente, sonst nichts?
Steinfatt sagt auch ganz ehrlich, dass es ums Geschäft geht. Und Giesinger ist ein Konkurrent, den man ganz genau beäugt.

Zur Wiesn gehören auch die Schausteller.
Es gibt eine Folge über die Mitarbeiter, die die Wiesn am Laufen halten. Manche Fahrgeschäfte werden von Sinti betrieben. Aber sie verschweigen ihre Identität aus Angst vor Diskriminierung, vor allem auf ländlichen Volksfesten. Es war schwer, jemanden zu finden, der mit mir spricht. Aber einer wollte uns seine Geschichte erzählen.

Was ist mit den Mitarbeitern in den Bierzelten?
Einen Migrationshintergrund haben dort viele. Wir erzählen zum Beispiel die Geschichte eines Spülers, der sich im Löwenbräuzelt zum Personalchef hochgearbeitet hat. Das Interessante für mich ist: Die Wiesn ist ein bayerisches Fest, aber gleichzeitig sehr international. Trotzdem identifizieren sich alle auf ihre Art mit Bayern.

Haben wir noch ein dunkles Kapitel vergessen?
Ja. Eine Folge befasst sich mit dem Oktoberfest-Attentat von 1980. Das ist der Moment, der alles verändert hat. Und trotzdem ist danach alles gleich geblieben. Das war der blutigste Anschlag in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit. Und am nächsten Tag wurde einfach weiter gefeiert und in den nächsten Jahren alles wieder vergessen. Wir beschäftigen uns mit der Frage, warum das so ist.

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