Pro und Contra zum Oktoberfest in München: Mehr als Saufeskapade oder "Augen, Ohren und Nasen zu"?

München - Am Samstag (21. September) um 12 Uhr heißt es wieder: Ozapft is! Dann eröffnet Münchens OB Dieter Reiter das 189. Okotberfest auf der Theresienwiese. München ist dann 16 Tage lang im Ausnahmezustand, Millionen Besucher kommen dafür extra in die bayerische Landeshauptstadt. Die einen lieben das, die anderen hassen es. Auch innerhalb der Redaktion der Abendzeitung scheiden sich die Geister. Ein Pro und Contra:
Pro: Mehr als nur Klischees – die Wiesn ist ein lebendiges Zeugnis der bayerischen Kultur
Im Festzelt zwischen Amerikanern, Italienern und Münchnern sitzen. Bei jedem "Prosit der Gemütlichkeit" mit Unbekannten und Freunden anstoßen und – je später der Abend wird – auch mal auf den Bänken zur Spider Murphy Gang tanzen. Das sind Szenen, wie sie beim größten und schönsten Volksfest der Welt zuhauf vorkommen. Das ist es auch, was die Wiesn mit ausmacht: interkultureller Austausch, Gemeinschaft und Glücksgefühle abseits der alltäglichen Ernsthaftigkeit, die immer mehr anschwillt.
Es ist gerade diese besondere Atmosphäre, die unsere Landeshauptstadt umgibt und den Sommer sinnbildlich um zwei Wochen verlängert. Die Stadt wird zu einem Ort der Freude und Weltoffenheit. Wiesn-Grantler neigen gerne dazu, nur die negativen Seiten zu betrachten. Gerade deshalb gilt es zu zeigen: Die Wiesn ist mehr als eine Saufeskapade mit üblen Folgen. Klar, der eine oder andere schaut gerne mal zu tief ins Glas. Die Zahlen zum Alkoholkonsum gehen aber seit Jahren zurück. Gerade im letzten Jahr hat sich die Rekordwiesn mit 7,2 Millionen Besuchern eben auch von der guten Seite gezeigt: Im Verhältnis zu den hohen Besucherzahlen hielten sich die Einsatzzahlen in Grenzen.

Wiesn-Wirte und Schausteller waren zufrieden. Das Volksfest spült nun mal auch Geld in die Kassen der Stadt. Vom kleinen Standl-Betreiber bis zum großen Brauereikonzern profitieren viele von diesem Event. Allein das Hotelgewerbe in München hatte zur Wiesn im letzten Jahr einen Umsatz von 513 Millionen Euro. Nicht auszudenken, was wäre, wenn es diesen Wirtschaftsfaktor einmal nicht mehr gäbe.
Nicht zuletzt ist die Wiesn ein lebendiges Zeugnis der bayerischen Kultur. Lederhosen und Dirndl sind nicht nur Modeerscheinungen, sondern ein Symbol regionaler Identität. Wenn der "Ozapft is!"-Ruf das Fest eröffnet, spüren wir alle die tiefe Verwurzelung dieses Festes in unserer Geschichte. Die bayerische Gemütlichkeit und Gastfreundschaft sind nicht nur Klischees, sondern werden hier tatsächlich gelebt. Geht also hin, benehmt euch und genießt es! Bis (viel zu schnell) die Funken zum Abschied sprühen, die Menge sich in den Armen liegend "Angels" oder "Sierra Madre" grölt und nur noch die Vorfreude auf nächstes Jahr bleibt.
Niclas Vaccalluzzo
Contra: Die Wiesn bleibt nicht auf der Wiesn. Sie breitet sich in der ganzen Stadt aus
Ich mag Bier nicht besonders, und wenn ich es trinke, dann in Mengen, die in ein Kölschglas passen. Insofern bin ich kein Wiesn-Typ, weil das Oktoberfest nun mal ohne in Hektolitern strömendes Bier nicht funktioniert. Und so leid es mir tut: Mich stößt die auch jede Form alkoholisierter Heiterkeit in einem Bierzelt ebenso ab wie der schale Geruch, den der Mitmensch verströmt, wenn sein Organismus Alkohol abbaut.
Es zwingt einen ja niemand, auf die Wiesn zu gehen, heißt es. Stimmt leider nur so halb, weil ich jeden Tag zweimal mit der U-Bahn am größten Volksfest der Welt vorbeifahren muss. Und da kriege ich den speziellen Gestank zu jeder Tages- und Nachtzeit mit, weil seit einigen Jahren bereits zur Frühstückszeit vorgeglüht wird. Und diese albernen Trachten muss ich mir auch ansehen. Als gebürtiger Münchner würde ich so etwas auch unter Lebensgefahr niemals anziehen.
Ich mag Geselligkeit. Aber dazu gehört, dass man sich mit anderen Mitmenschen unterhalten kann. Im Bierzelt herrscht aber kommunikationsverhindernder Krach. Außerdem wird man unalkoholisiert auf diesem Massenbesäufnis zum Spielverderber. Meinetwegen kann jeder auf der Wiesn seinen Spaß haben. Nur findet das Ganze halt ohne mich statt.

Wieso muss man eigentlich die Theresienwiese mit Bierhallen und -gärten vollstellen? Es gibt in dieser Stadt doch eine ausreichende Zahl an Gastwirtschaften. Und wenn ich einmal doch auf die Wiesn gehe und beispielsweise Ochsenfetzen esse, ärgere ich mich am Ende: Weil auf dem Oktoberfest so viel gegessen wird, wird auch mehr frisch zubereitet. Und dann merkt man halt leider auch geschmacklich, dass einen die Wirte den Rest des Jahres über mit vorgekochtem und aufgewärmtem Essen ziemlich übers Ohr hauen.
Was mich am meisten ärgert: Die Wiesn bleibt nicht auf der Wiesn. Sie breitet sich in der ganzen Stadt aus, als After- und Pre-Wiesn, als Schaufensterdeko, durch Menschen in Tracht und Wildbiesler, die grölend durch die Nacht torkeln. Wenn man sich zu Hause einsperrt und Instagram aufklappt, hilft das auch nichts, denn dort sieht man nur feiernde Stadträte der parteiübergreifenden Freibierkoalition.
Und man kann ihr einfach nie entfliehen. Wer wegfliegen möchte, trifft Flugbegleiter in Dirndl und Lederhosn. Und wo auch immer man ankommt, ist schon Oktoberfest. Selbst im eher abgelegenen Balkan-Staat Montenegro ist mir schon eins begegnet. Da kann ich dann gleich in München bleiben und mir sagen: Augen, Ohren und Nasen zu. Und durch! In zwei Wochen ist alles vorbei.
Robert Braunmüller
