Pfarrer Schießler über die Wiesn: "I gfrei mi unbandig"

München - Ministrant, Taxifahrer, Wiesnbedienung: Pfarrer Rainer Schießler (61) hat fleißig in vielen Branchen gearbeitet. Besonders verbunden fühlt sich der Münchner dem Oktoberfest - so sehr, dass er seine ganz persönliche Wiesn-Geschichte aufgeschrieben hat. Warum er trotz dieser Liebe heuer erst nach der Hälfte dorthin geht, erzählt er der AZ im Interview.
AZ: Herr Schießler, trifft man Sie noch mal als Bedienung auf der Wiesn?
RAINER MARIA SCHIESSLER: Nein. Ich habe 2018 endgültig mit dem Bedienen aufgehört.
Das verflixte siebte Jahr
Sie haben auch 2012 gesagt, dass Sie aufhören, und sind doch noch mal drei Jahre dabei gewesen.
Das waren die verflixten sieben Jahre. Da musste ich erstmal aufhören. Anschließend habe ich ein Buch geschrieben. Dann kam die Flüchtlingskrise. Ein Freund und ich haben uns zusammengesetzt und beschlossen: Wir müssen was machen. Da hab ich mir überlegt, ich mache aus sieben einfach zehn Jahre und gehe noch mal raus, um mit dem verdienten Geld zu helfen. Der Schottenhamel hat sich gefreut wie ein Schneekönig.

Erst Reha, dann Wiesn
Wenn nicht als Bedienung, trifft man Sie privat täglich auf der Wiesn?
Die erste Wiesnwoche bin ich gar nicht in München. Ich hatte einen Unfall. Ich bin Ende Juni vom Berg runter gefallen und saß wochenlang im Rollstuhl. Jetzt mach ich eine Woche eine Art Reha. Zum mittleren Wiesnwochenende komme ich wieder zurück.
Dann wird aber gefeiert?
Dann bin ich freilich draußen. Aber ein Feierbiest bin ich nicht. Ich besuche halt meine Leute dort.
Ein Buch über die Wiesnliebe
Sie haben ein Buch über Ihre Wiesnliebe geschrieben. Woher kommt die?
Die Wiesn hängt mit meiner Lebensgeschichte als echter Münchner zusammen. Wir haben auf unserem Balkon in Laim bei Südostwind die Wiesn gerochen, aus der Ferne das Licht gesehen. Um dieses Gefühl geht es auch im Buch. Es geht damit los, welche Verbundenheit meine Eltern zur Wiesn hatten.
Ihre Eltern waren also Wiesn-begeistert?
Die wären nie zum Feiern hin. Aber auch für uns Junge war das nicht feiern. Wir sind nie mit Tracht dorthin, wir waren nie im Bierzelt. Das ist heute alles anders, aber es war halt unsere Wiesn. Es war nie das Ding meiner Eltern. Gegner waren sie aber nicht. Heute gibt es nur noch Freunde oder Gegner. Aber es muss ja niemand hingehen, der nicht mag.
Maß und Brezn
Eine Maß trinken Sie bestimmt. Was gibt's dazu?
Eine Maß Bier und eine schöne Brezn. Das reicht mir. Ich brauch nicht mehr. Karussellfahren mag ich nicht, Achterbahn fahren auch nicht. Dafür bin ich zu feige. Da hätte ich ja gleich Düsenjetpilot werden können.
Zwei Jahre ohne Wiesn: Wie hart war das für Sie?
Ich glaube jedem Wiesnfreund ist aufgefallen, dass etwas fehlt. Diese Stadt hat das Wiesnflair nicht gehabt, das war hart. Sehr hart.
"I gfrei mi unbandig"
Gehen wegen Corona weniger Leute auf die Wiesen?
Rosenheim und das Gäubodenfest waren wie ein Testlauf und wir haben gesehen: Die Zahlen steigen, aber nicht die Hospitalisierungen. Ich werde nicht zur vollsten Zeit ins vollste Zelt gehen, sondern mich in einer schönen Stillen Stunde mit meinem Gegenüber unterhalten. I gfrei mi unbandig.
Was wünschen Sie sich für die Wiesn 2022?
Dass es friedlich wird. Und dass dieses Gefühl in die Welt hinaus gesendet wird. Auch nach Moskau und in die Ukraine. "Hört auf mit dem Scheißkrieg", möcht ich da sagen. Scheinbar kriegen wir das als Kirchen nicht mehr so ganz zam. Die Botschaft der Wiesn: Feiert das Leben.
Am Freitag erscheint das Buch "Wiesn-Glück", 16 Euro