Oktoberfest-Liebe: Er fertigt 10.000 Wiesn-Herzen pro Tag
München - Ein gebrochenes Herz ist für Bernd Dostler keine Schande. Denn erst die Bruchstücke, fein zerrieben, mit neuen Zutaten vermengt, machen ein richtig gutes Herz aus, davon ist er überzeugt. Doch ein Herz wegzuschmeißen, ist für ihn eine "Todsünde". Vergangenes Jahr hat er es trotzdem getan: Vier Container voll, insgesamt vier Millionen Herzen, landeten auf dem Müll, schätzt der 47-Jährige.
Lebkuchenherzen: Das Lager ist leer
Bernd Dostler ist Lebkuchen-Bäcker. Etwa 30 Prozent der Herzen, die auf dem Oktoberfest verkauft werden, kommen aus seiner Bäckerei in Aschheim, sagt er.
Weil das Oktoberfest die vergangenen Jahre ausfiel, weil irgendwann alle Altenheime in der Umgebung Herzen bekommen hatten und weil der Staat für ein verschenktes Herz keinen Ausfall zahlt, sei ihm nichts anderes übrig geblieben, als die Lebkuchen wegzuschmeißen, erzählt Dostler. Und das macht die Zeit kurz vor der Wiesn, die ohnehin immer stressig ist, noch stressiger. Denn sein Lager ist leer.

Zwei Millionen Lebkuchen in Rekordzeit
Zwei Millionen Lebkuchen müssen seine Mitarbeiter nun in Rekordgeschwindigkeit frisch backen. 10.000 Herzen am Tag. "Heuer ist schwierig", sagt Dostler. "Ganz schwierig." Er sitzt in einem Besprechungsraum. Die Wände sind mit Holz getäfelt, wie in einer Skihütte sieht das aus – obwohl seine Bäckerei von außen ein typischer Industriebau ist. An der Wand hängen in schwarz-weiß seine Vorfahren. Bevor er seine Produktion zeigt, will er erzählen.
Die vielen Probleme, über die die Nachrichten jeden Tag berichten, treffen alle auf einmal in Dostlers Backstube ein. Die Preise: Zucker sei bestimmt ein Viertel teurer geworden, schätzt Dostler. Der Fachkräftemangel: Etwa acht seiner besten Mitarbeiter, die mit jahrelanger Übung in Schönschrift "Ich liebe dich" auf die Herzen schrieben, kündigten während der Pandemie - und kehrten nicht zurück. Die finanzielle Not vieler Münchner: Bestimmt 50 Menschen fädeln bei Dostler am Wochenende Bänder in die Lebkuchenherzen ein, weil sie etwas dazu verdienen müssen, um sich die teure Stadt leisten zu können.
Und dann ist da noch Corona: So mancher Schausteller hat Angst, dass das Oktoberfest noch abgesagt wird, erzählt Dostler. Mancher bestellte erst, dann stornierte er die Hälfte. Je nach Nachfrage wollen die Schausteller nachordern.
Doch das könnte schwierig werden: Mit Zuckermasse auf Lebkuchen zu schreiben, erfordere Übung. "Ich kann es selbst nicht", gibt Dostler zu. "Meine Mitarbeiter sagen schon: Herr Dostler, wenn Sie noch einen Auftrag reinholen, sind wir auch weg." So hoch ist das Arbeitspensum gerade.


Pärchen-Regel
Vor der Pandemie hatte er 170 Mitarbeiter. Jetzt seien es noch 120. Vor Corona fertigte sein Unternehmen bis zu drei Millionen Herzen, alleine für die Wiesn. Heuer seien es vielleicht zwei Millionen. "Es macht nicht mehr so viel Spaß", meint Dostler. Weil es so schwer geworden sei, zu kalkulieren. Gilt auch in Zeiten der Pandemie, der Inflation, des Krieges Dostlers alte Regel? "Wenn ein Pärchen auf die Wiesn geht und sie geht ohne Herzerl raus, gibts ein Problem." Dostler konnte das über 20 Jahre beobachten - denn so lange verkauft er schon Herzen an Schausteller auf der Wiesn.
I mog di – Verliebt in das Oktoberfest
Um zu erklären, wo genau er herkommt, drückt Dostler einem einen Flyer in die Hand. Vorne drauf sind in schwarz-weiß seine Mutter Hildegard und sein Vater, der auch Bernd Dostler heißt. "Liab alle und jeden gleich, nur so gehst nia fremd" steht darunter. Seine Eltern betrieben Cafés in Weiden in der Oberpfalz.

"Ich war immer der Sohn vom Vater und hatte das beste Leben”, sagt Dostler. Im Café habe er die Tür aufgehalten und sonst hauptsächlich Party gemacht.
Irgendwann habe sein Vater beschlossen: "Jetzt muss was werden aus dir." Er schickte ihn nach München. Eigentlich sollte er bloß eine Zeit lang in der Konditorei etwas lernen. "Zuerst ist eine Welt für mich zusammengebrochen", sagt Dostler. Aber nach vier Wochen war ihm klar: Er will nicht mehr nach Hause zurück.
Warum? Er verliebte sich – und zwar in das Oktoberfest. Gleichzeitig hatte er eine Geschäftsidee: bayerische Lebkuchenherzen. Er sei damals über die Theresienwiese geschlendert, er sah viele Herzen, aber bloß hochdeutsche Sprüche. "Ich liebe dich - was hilft dir des? Des muss heißen: "I mog di", sagt Dostler.
Hinter Dostler hängen in schwarz-weiß nicht nur seine Eltern an der Wand. Sondern auch: sein Ururgroßvater, der 1865 für seine besondere Rinderrasse einen Preis auf dem Oktoberfest gewann. Sein Urgroßvater, der 1890 das erste Stromkraftwerk in die Oberpfalz brachte. Seine Oma, die alle möglichen Orden für ihre Verdienste in der Landwirtschaft bekam. "Man hat schon Verantwortung, wenn man solche Größen im Rücken hat", sagt Dostler.

Herzen für Layla und Rosi
Jetzt will er im Nebenraum, wo die Herzen eingeschweißt werden, seine Neuheit zeigen: ein Layla-Herz.
Als Würzburg verbot, den Partysong wegen seines Textes (Ich hab 'n Puff - und meine Puffmama heißt Layla. Sie ist schöner, jünger, geiler”) verbot, seien bei ihm die Bestellungen eingegangen. 15 000-Layla-Herzen habe er in ganz Deutschland verkauft. Die Produktion fürs Oktoberfest laufe gerade. "Layla - i mog di" steht darauf. Oder "Ich bin Layla".
"Die Gaudi darf einem doch nicht genommen werden”, sagt Dostler. Ihm persönlich sei aber die Rosi, die in den Achtzigern für den Skandal im Münchner Sperrbezirk sorgte, lieber, meint er. Auch ihr hat Dostler heuer ein Herz gewidmet.
Ein Stockwerk tiefer ist die Backstube. Frauen in weißen Kitteln spritzen Zuckerfarbe auf die Herzen. An der Wand hängen riesige Hirschgeweihe - Dostler ist kein Jäger, er hat sie alle geerbt, sagt er.
Seine Lebkuchen seien auf der Wiesn die einzigen, die komplett bei München gefertigt werden und bei denen die Zutaten alle aus Bayern stammen, sagt Dostler. Seit kurzem gibt er bayerischen Honig in den Teig, um das Bienensterben aufzuhalten.
Früher habe er Geld für Aufforstung gespendet. "Als ich die Bäume mal sehen wollte, ging das nicht", erzählt Dostler. Danach habe er beschlossen, sich lieber um die Natur in Bayern zu kümmern. "Ich komm aus der Oberpfalz. Ich bin ein sehr realistischer Mensch", sagt er. Und für so einen sind Spenden für Bäume, die ihm keiner zeigen kann, rausgeworfenes Geld.
"Mein Vater hat das beste aus mir gemacht", da ist sich Dostler heute sicher. Zum Abschied drückt er einem drei Lebkuchenherzen in die Hand.
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