Oktoberfest 2019: Ein Wiesn-Fan und ein Wiesn-Hasser diskutieren

Endlich wieder Wiesn! Doch während sich die einen auf das Oktoberfest Freude, machen andere einen großen Bogen um die Theresienwiese. Zwei AZ-Redakteure diskutieren.
München - Am Samstag war Anstich zum 186. Oktoberfest. Seitdem wird auf der Theresienwiese gefeiert, geflirtet und gebechert (hier geht es zu unserem Wiesn-Newsblog 2019). Doch nicht jeder Münchner ist von der Wiesn begeistert. Kein Wunder: Denn Saufen, Grabschen und Schlägern gehören leider ebenfalls zum größten Volksfest der Welt dazu.
Auch in der AZ-Redaktion finden sich Vertreter beider Lager. Wiesn-Liebhaberin Jasmin Menrad und Wiesn-Hasser Ralph Hub geben ihren Senf ab.
AZ-Reporterin Jasmin Menrad: Ich liebe die Wiesn!

Nach jahrelangem Boykott wurde Jasmin Menrad AZ-Wiesnreporterin und erlebte mit Kotzhügel, Kettenkarussell und Brause eine späte Liebe.
Die Wiesn macht es Münchnern einfach, sie zu hassen und auch ich hatte Fluchtgedanken, sobald dieses Volksfest losging. Ja, ich gestehe: Ich habe das Oktoberfest viele Jahre boykottiert. Dann kam in meinem ersten Monat bei der AZ die Einladung, mit der Redaktion auf die Wiesn zu gehen. Weil ich nicht wie eine Soziopathin wirken wollte, ging ich mit und machte gute Miene zum verhassten Volksfest. Es war ein toller Abend! Nicht nur, weil die AZ zahlte, sondern weil keiner der Kollegen mit dem Gedanken "Das wird die Party des Jahres, heute geh ich steil!" auf die Wiesn gegangen ist.
O'zapft is! Die schönsten Bilder vom ersten Oktoberfest-Tag
Es war ein entspannter Abend und je länger der Abend, umso entspannter – okay: enthemmter – wurden die Kollegen. Nach diesem Abend war ich Teil der AZ-Familie. Nach Zeltschluss zogen wir noch über das Festgelände und Chef Thomas Müller kaufte für uns junge Kollegen Tickets für den Breakdancer und die Wilde Maus. Ich musste feststellen, dass es zwar einfach ist, die Wiesn zu hassen – dass es aber viel mehr Spaß macht, sie zu lieben. Dass ich mal Wiesnreporterin werde würde, konnte damals freilich keiner ahnen.
Dummbatzen-Lieder wie "Hulapalu" hasse ich immer noch aus tiefstem Herzen, aber die Wiesn finde ich charmant. Damit Sie das auch schaffen, hier ein paar Vorschläge, wie Sie und die Wiesn sich einander annähern können:
Gehen Sie nach einem Scheißtag in der Arbeit auf die Oide, drücken sie dem Mann am Kassenhäusl vom Kettenkarussell fünf Euro in die Hand und drehen fünf Runden im Karussell. Oder kaufen Sie sich eine Tüte Mandeln (ich bevorzuge Brause) und schlendern über die Wiesn – Leute beobachten. Bleiben Sie bei Käfer stehen und statten Sie auch dem Kotzhügel einen Besuch ab. Oder verabreden Sie sich zum Mittagessen mit alten Freunden im Zelt und verhocken bis zum Nachmittag. Oder stellen Sie sich nach dem Kehraus an eines der Schnaps- und Kaffeestandl. Bestellen Sie einen Irish Coffee und warten, bis Sie eine Auszogene geschenkt bekommen, weil das Zeug ja wegmuss.
Ja, am Wochenende ist die Wiesn die Hölle. Aber werktags ist sie ein buntes, blinkendes Zauberland, in dem man Menschen aus der ganzen Welt trifft, Karussellspaß hat und viele Süßigkeiten futtern kann. Letztlich ist die Wiesn wie das Wetter: nicht zu ändern. Aber warum sollte man sich ärgern, wenn man Spaß haben kann?
AZ-Reporter Ralph Hub: Ich hasse die Wiesn!

Die schlimmste Zeit des Jahres: AZ-Reporter Ralph Hub über seine Ablehnung des Fest-Wahnsinns.
Rund sechs Millionen Menschen auf dem Oktoberfest trinken jedes Jahr rund sechs Millionen Liter Bier. Wenn tatsächlich jeder nur eine Maß trinken würde, wäre das größte Volksfest der Welt weitaus erträglicher.
Der Alkoholgehalt liegt je nach Brauerei um die sechs Prozent. Was manche Leute nicht davon abhält, sich das Festbier reinzukippen, als wäre es Wasser.
Damit fangen die Probleme an. Denn mit jedem Schluck vergessen manche auch immer mehr ihrer Kinderstube. Und so wird jede Dirndlträgerin begrapscht und angebaggert, die bei drei nicht die Flucht ergreift – was im Gedränge aussichtslos ist. Die Augen glasig, die Wangen speckig glänzend, verwandelt sich manche Männer in achtarmige Kraken, die wahlweise nach Bierkrug, Brust oder Brezn grapschen.
Wobei auch die allermeisten Frauen nach der zweiten Mass oft nur Anlass zum Fremdschämen sind. Am Kotzhügel liegen Männlein und Weiblein in promilliger Bierseligkeit beieinander und schlafen ihren Rausch aus auf einer Wiese, die von Tag zu Tag mehr nach Raubtierkäfig riecht.
Die dunkle Seite des Oktoberfests: Kontrollverlust auf der Wiesn
Schön ist die Wiesn nur am Mittag, an einem sonnigen Tag, wenn man mit seinen Kindern bummeln kann. Abends wird gebrüllt, gepöbelt und gerne auch gerauft. Einen besonderen Grund dazu braucht’s selten. Volltrunkene Kombattanten enden oft im Sanitätsbereich – und wenn’s blöd läuft später vor Gericht.
Anwohner ärgern sich schwarz über ihre vollgekotzten oder vollgebieselten Vorgärten und Hauseingänge. Grausig ist auch die Fahrt nach Hause. Überfüllte Bahnsteige, U- und S-Bahnen voll wie ein Viehwaggon mit ähnlichem Geruch. Wer ins Umland will, sitzt, wenn er Pech hat, umringt von lauter Besoffenen und betet, dass der Zug den heimatlichen Bahnhof erreichen möge, bevor beim Gegenüber der Brechreiz siegt.
16 Tage – Massen von Menschen, die zur Wiesn pilgern und ein paar Stunden später kaum wiederzuerkennen sind. Lederhosn- und Dirndlfasching in Dauerschleife. Aber zum Glück wird keiner gezwungen, aufs Oktoberfest zu gehen. Jeder soll seinen Spaß haben. Meiner ist es, einen möglicht großen Bogen um das größte Volksfest der Welt zu machen.
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