Oide Wiesn: Strauß macht’s mit 2
München - Der Tölzer Knabenchor besingt inbrünstig die Schönheit Bayerns, dann ein Tusch. Das Volk in feschem Trachtengewand erhebt sich in Freude Erwartung. Der Bayerische Defiliermarsch erklingt, und alle jubeln ihm zu. Keine Frage: Dieser Auftritt hätte Franz Josef Strauß selig sehr gefallen.
Stattgefunden hat er am Samstag auf der Oidn Wiesn (wo ja so manch Altes zu neuem Leben erweckt wird). Zwei Wochen nach seinem 100. Geburtstag feierte FJS nun unterhalb der Bavaria wundersame Auferstehung – dank seines irdischen Statthalters.
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Zum Wiesn-Start schlüpfte Kabarettist Helmut Schleich in seine Paraderolle, um im Herzkasperl-Festzelt als FJS-Double anzuzapfen. Die AZ war exklusiv dabei, als das Zeltbüro mal kurzzeitig zur Künstlergarderobe wurde.
„Erst Maske, dann Kostüm“, sagt Schleich und greift zur Puderdose. Für die Haare gibt’s Gel und Spray. „Das Wichtigste beim Strauß ist die Spitze vorn im Haar“, weiß sein Kult-Double – und wechselt die Brille: zartes Alltags-Metallgestell gegen dicke braune Horn-Variante. Die Sehstärke ist in beiden Brillen dieselbe, schließlich muss Helmut Schleich ja auch als FJS sein Manuskript lesen können.
Das zweite unverzichtbare Accessoire ist eine breite gemusterte Krawatte, die natürlich (zu) kurz gebunden werden muss. „Da habe ich einige aus historischen Beständen meines Großvaters.“
Als Schleich schließlich auch den recht altmodischen Trachtenanzug anhat, folgt eine Generalprobe der besonderen Art vorm Spiegel: Schultern hochziehen, Hals einziehen, Kinn zur Brust – eben die typische Strauß-Haltung samt unverkennbarem Grinsen, Auflachen und Wippen. FJS lebt! Bei Schleich heißt das: „Ich habe mich dieser Figur bemächtigt, sie feindlich übernommen.“
Draußen im Zelt jubilieren inzwischen die Sängerknaben. Hinter den Kulissen formieren sich die Musikanten, um dann mit FJS einzuziehen.
Am Rednerpult bekundete dieser seine Freude darüber, just im Herzkasperl-Zelt anzapfen zu dürfen: „Das stellt eindeutig eine posthume Hommage an mich dar, schließlich bin ich ja mit einem ebensolchen Herzkaschperl 1988 von all meinen irdischen Ämtern zurückgetreten.“
Womöglich etwas makaber, doch so ist er eben, der Schleich-Strauß, der das Zelt zum Toben bringt. Er poltert los gegen „die geschichtsvergessenen Kleingeister“ in der CSU, die ihn, „den größten Staatsmann, den dieses Land jemals hervorgebracht hat“, zum 100. Geburtstag nicht gebührend geehrt hätten: „Eine Ausstellung im Besenkammerl vom Stadtmuseum, wo dann auch noch der Stoiber, mein Brotzeitholer, zur Eröffnung die Festrede schwingen darf – so weit ist es gekommen.“
Was denkt er über die Oide Wiesn? Da zieht der Mann mit Hornbrille auf der Bühne so richtig vom Leder: „Man muss ein zweites Oktoberfest schaffen, das böse Zungen schon als Trachtlerzoo bezeichnen, um der Ballermann-Mega-Disco nebenan zumindest einen kulturellen Anstrich zu geben! Wäre es da nicht folgerichtig, auch ein zweites München einzuführen? Ein ,Oides München‘ mit bezahlbaren Mieten, normalen Menschen, die nicht jeden Grashalm hassen, der keinen Gewinn abwirft und einer ordentlichen Portion Münchener Grant?“ Mit einer ebensolchen packt sich FJS schließlich den Schlegel, haut auf den Wechsel und zapft mit nur zwei perfekten Schlägen an. Ozapft is auf der Oidn Wiesn.
Während sich Ministerpräsident Horst Seehofer zeitgleich im Schottenhamel damit begnügen muss, OB Reiter beim medienwirksamen Anzapfen zuzuschauen, kann sein legendärer Vor-Vorgänger quasi posthum selbst Hand anlegen. FJS hätte wohl grinsend gesagt: Wer ko, der ko!
Schleich, sein Super-Double, verwandelt sich wieder zurück und lässt den Wiesn-Auftakt bei Hendl und Bier erst im Schottenhamel, dann im Löwenbräuzelt ausklingen. Reiter, der heuer ebenfalls mit nur zwei Schlägen angezapft hat, zum FJS-Anstich: „Es war nie mein Bestreben, mit Strauß gleichzuziehen“, so Reiter lachend: „Doch beim Anzapfen ist das völlig ok.“