Nur noch Bio-Essen auf der Wiesn? Befürworter erklären Plan in der AZ

Die Initiative "Faire Wiesn" setzt sich dafür ein, dass bis 2035 alle auf dem Oktoberfest angebotenen Lebensmittel Bio, regional und Fair-Trade sind. Dafür erntet das Bündnis scharfe Kritik – die Wiesn werde so unbezahlbar, heißt es.
von  Guido Verstegen
Beim Thema Ernährung ist auf dem Oktoberfest noch viel Luft nach oben, findet die Initiative "Faire Wiesn".
Beim Thema Ernährung ist auf dem Oktoberfest noch viel Luft nach oben, findet die Initiative "Faire Wiesn". © imago images/Wolfgang Maria Weber

München - Bei der Initiative "Faire Wiesn" waren sie sehr überrascht, dass das Ganze aus dem Nichts wieder hochkochte, schließlich existieren die Ideen bereits. Schon im Vorfeld der Wiesn 2022 waren unter dem Siegel "Hendlsauerei" entsprechende Forderungen laut geworden, zudem überreichte das Bündnis einen Katalog mit detaillierten Forderungen an den Münchner Stadtrat.

Initiative "Faire Wiesn" fordert: 100 Prozent Bio regional auf dem Oktoberfest 

Jetzt sorgt ein "Bild"-Bericht wieder für Wirbel – die Initiative spürt heftigen Gegenwind. Ihr Ziel ist klar formuliert: So, wie die Stadt bis 2035 klimaneutral werden wolle, so sollten bis 2035 auch 100 Prozent der auf dem größten Volksfest der Welt angebotenen Lebensmittel Bio, regional und Fair-Trade sein.

"Das ganze Angebot soll Bio-Siegel haben! Fleisch, Kartoffelsalat, Popcorn, Brezn, Schokolade, Kassspatzn – einfach alles", betont Helmut Schmidt von der Münchner Initiative für Nachhaltigkeit (MIN) und Sprecher der Initiative, gegenüber der AZ.

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Schmidt fügt hinzu: "Langfristig sollte das ganze Angebot ein Bio-Siegel haben. Teil der Forderungen unsererseits ist eine zeitlich gestaffelte Anhebung des Bio-Anteils, damit Landwirten und Wiesnwirten beziehungsweise Beschickern ein realistischer Planungshorizont gegeben wird. Auch die faire Preiskalkulation ist Teil der Forderungen der Initiative."

Für 2025 wünscht sich die "Faire Wiesn" bereits eine Bio-Quote von 25 Prozent auf dem Oktoberfest – ein Bio-Bier wie von der "Bild" berichtet, habe man aber nicht auf dem Zettel.

Anke Neumeier über den Runden Tisch: "Da ist bisher wenig passiert"

Daher werde man sich auch in diesem Jahr gemeinsam mit den anderen Projektpartnern für ein nachhaltiges, gesundes Oktoberfest einsetzen, sagt Anke Neumeier vom Bund Naturschutz in Bayern (Kreisgruppe München). "Die Initiative setzt weiter alles daran, dass es einen Runden Tisch gibt mit allen Beteiligten – mit Vertretern der Stadt, mit den Wirten, mit den Beschickern. Aber passiert ist da bisher wenig", erklärt sie im Gespräch mit der AZ.

Anke Neumeier ist beim Bund Naturschutz in Bayern in der Münchner Projektstelle "Ökologisch Essen" tätig.
Anke Neumeier ist beim Bund Naturschutz in Bayern in der Münchner Projektstelle "Ökologisch Essen" tätig. © Bund Naturschutz

Wiesnchef Baumgärtner: "Ernährungs-Planwirtschaft wird es mit mir nicht geben"

Hauptvorwurf der Kritiker in Richtung der Initiative: Sollten die Pläne umgesetzt werden, sei die Wiesn bald unbezahlbar. "Zwangsvorschriften und eine Ernährungs-Planwirtschaft wird es mit mir nicht geben. Auch keine Luxus-Wiesn für die oberen Zehntausend der Grünen-Wähler", wird Wiesnchef Clemens Baumgärtner (CSU) im besagten Bericht zitiert. Ein Volksfest sei unter solchen Voraussetzungen "nicht mehr möglich". 

Mit Blick auf die Wiesn in diesem Jahr (16. September bis 3. Oktober) wiederholt das Bündnis seine Forderungen und will "eine Ernährungswende" herbeiführen, ordnet seine Vorstellungen aber auch entsprechend ein.

Neumeier: "Nur, wenn wir uns große Ziele setzen, schaffen wir auch die kleinen Schritte. Und der Weg ist noch weit." Auch die Stadt wolle schließlich vermehrt auf bio-regionale Produkte setzen und müsse da gerade auch die Großveranstaltungen im Blick haben: "Der Stadt wird es nicht helfen, wenn man das Oktoberfest in diesem Zusammenhang komplett ausspart."

Dehoga Bayern: "Nachhaltigkeit umfasst auch den Begriff der Ökonomie"

Er finde es grundsätzlich richtig, dass es inzwischen auch verschiedenste Bio-Angebote auf der Wiesn gebe, sagte Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) im Zuge der wieder aufgekommenen Diskussion. Aber eine komplette Umstellung auf Bio hält er nicht für angemessen: "Ich will, dass die Besucher auch weiterhin selbst entscheiden können, also die Wahlmöglichkeit haben, für welches Produkt sie sich entscheiden."

Der Bayerische Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga Bayern) kritisiert die Pläne der Initiative scharf. "Die Begrifflichkeiten fair, Bio, regional und Fair-Trade hören sich gut an, aber Nachhaltigkeit umfasst auch den Begriff der Ökonomie", wird Landesgeschäftsführer Thomas Geppert in einer Mitteilung des Verbandes zitiert.

Dr. Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes. (Archivbild)
Dr. Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes. (Archivbild) © imago images/STL

Anke Neumeier: "Wirte sind für das Thema Nachhaltigkeit offen wie nie"

Es sei "schlichtweg unrealistisch", eine derartige Menge an Waren in der geforderten Qualität zu bekommen. "Ganz davon abgesehen wäre dann ein Besuch auf dem Oktoberfest für die meisten unbezahlbar. Was daran soll fair sein?", schlägt Geppert in die gleiche Kerbe wie Baumgärtner. Und die "Bild" zitiert einen Wiesnwirt mit folgenden Worten: "Das ist der Tod vom Oktoberfest. Die Preise, die wir für Bio-Fleisch verlangen müssten, kann kein Mensch bezahlen."

"Ein Besuch auf der Wiesn ist doch schon jetzt für viele Menschen viel zu teuer", setzt Anke Neumeier dem entgegen, man müsse das große Ganze betrachten. "Ich spüre sehr wohl Sensibilität bei den Wirten, sie sind für das Thema Nachhaltigkeit offen wie nie. Und die Nachfrage der Besucher ist da." 

Neumeier – sie ist beim Bund für die Fachberatung Individualgastronomie und Betriebsgastronomie zuständig – macht Probleme grundsätzlicher Art aus, nämlich in städtischen Ausschreibungen und im Punktekatalog, mit dem die Stadt die Bewerbungen der Wirte bewertet. "Für die Wirte ist es schwierig, auf Bio-Produkte zu setzen, weil sie nicht die Unterstützung bekommen, die sie brauchen. Wer jetzt schon 20 Prozent Bio anbietet, hat nichts davon. Da ist die Stadt gefordert und muss in ihren Strukturen etwas ändern", sagt sie.

Unterstützt wird die Initiative vom Bund Naturschutz (BN) in München. "Die Stadt München hat als Biostadt und Fairtrade-Stadt eine besondere Verantwortung übernommen und wir sind sehr froh, dass es erste Interessensbekundungen gibt, dieser auch auf dem Oktoberfest gerecht zu werden", sagt Thorsten Kellermann, der stellvertretende Vorsitzende des BN in München.

Thomas Geppert: "Leben und leben lassen lautet die Devise" 

Für Dehoga-Chef Geppert steht fest: "Wir wollen für alle da sein, schließlich ist die Wiesn ein Volksfest. Bayern wird doch geliebt für seine Liberalitas Bavariae: Leben und leben lassen lautet die Devise, unter der ein jeder so leben kann, wie er will, solange er nicht in das Leben anderer eingreift."

Geppert sieht auch keinen akuten Handlungszwang, schließlich gebe es doch längst all das auf dem Oktoberfest, was da gefordert werde: "Aber in einer sozialen Marktwirtschaft dürfen nun einmal die Kunden entscheiden, was sie wollen. Wir leben zum Glück in einem Land, in dem jeder mündig genug ist, selbst zu entscheiden, was er will. Da braucht es keine Vorschriften Dritter, was man zu essen hat und was nicht."

Nachhaltigkeit: Neumeier sieht die Stadt in einer Vorreiterrolle 

Die Stadt München, die immerhin das größte Volksfest der Welt ausrichte, müsse eine Vorreiterrolle in Sachen Nachhaltigkeit auf Großveranstaltungen einnehmen, wiederholt Neumeier eine essentielle Kernforderung der Initiative "Faire Wiesn".  Das Oktoberfest sei ein Fest der Lebensfreude, der Gastfreundschaft und des Genusses – und das solle auch so bleiben.

"2019 kamen noch zahlreiche Wiesnhendl mit dem Etikett 'Bio Bayern' aus Niedersachsen, das geht einfach nicht", sagt sie, gibt die Hoffnung aber nicht auf: "Seit 1991 ist auf dem Oktoberfest ausschließlich Mehrweggeschirr und -besteck zugelassen. Damals war das Geschrei groß, heute stellt das niemand mehr in Frage."

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