Herzprobleme durch Biergenuss: So lief die LMU-Studie auf dem Oktoberfest ab
München - Die AZ hat mit Dr. Moritz Sinner gesprochen. Der Kardiologe (38) arbeitet am LMU-Klinikum Großhadern und hat mit seinem Kollegen Dr. Stefan Brunner die Wiesn-Studie geleitet.
AZ: Schluck, Herr Doktor, schmeckt Ihnen nach dieser Studie das Bier noch?
DR. MORITZ SINNER: Sehr gut sogar! Trotz aller Ergebnisse. Ich bin ja auch leidenschaftlicher Wiesngänger.
Wie dürfen wir uns die Ideenfindung zu diesem Projekt vorstellen? Am Tresen?
Klar. Ich saß mit meinem Kollegen Stefan Brunner in der Au in meiner Stammkneipe. Wir brauchten eine wissenschaftliche Idee, weil wir am Uniklinikum ja nicht nur als Klinikärzte arbeiten, sondern auch in der kardiologischen Forschung – da braucht es jedes Jahr neue Ergebnisse.
Und die Wiesn stand vor der Tür ...
So ist es. Wir hatten uns davor mit den über 40 Jahre alten Berichten über das "Holiday Heart Syndrome" befasst. Da wird von Leuten berichtet, die aus dem Urlaub kommen, in dem sie viel getrunken haben – und zum Arzt gehen, weil irgendwas nicht stimmt.
Was fehlte denen denn?
Die fühlten plötzlich ihr Herz rasen oder stolpern, hatten unregelmäßigen Puls, waren schnell aus der Puste. Man ist dabei oft auf Vorhofflimmern und Herz-Rhythmus-Störungen gestoßen. Da waren die Leute aber schon wieder nüchtern. Wir wollten das mal direkt während des Trinkens umfangreich testen.
Ihre Studientruppe bestand aus zwei Ärzten und zwei Medizinstudentinnen. Wie haben Sie über 3.000 Wiesngäste zum Alkoholtest bewegt?
Das war nicht so schwer. Wir waren 16 Tage lang von Mittag bis Abend im Hofbräu- und im Herzkasperlzelt. Vor allem in den Boxen und Randbereichen. Wir haben die Studentinnen auf die Herren losgelassen und uns Männer auf die Damen. Je betrunkener die Leute waren, desto lustiger war’s, weil denen nicht ganz klar war, was wir wollten.
Wie haben Sie’s erklärt?
Dass wir schauen wollen, ob Alkohol einen Einfluss auf den Herzrhythmus hat. Dass wir ein EKG schreiben und einen Alkoholtest machen. Die beste Eintrittskarte war, dass sie den Alkotest umsonst kriegen. Und dass wir das Ergebnis der Polizei nicht verraten.
Ärztliche Schweigepflicht.
Klar. So haben wir 200 Tests am Tag geschafft. Mittags mit niedrigen Promillewerten, abends mit den höchsten – da brauchte es weniger Überzeugungskraft. Die beste Strategie war, Gruppen zu suchen. Es dauert zwei Minuten, bis der erste Ja sagt – dann hat man schnell den ganzen Tisch. Die meisten Probanden waren Münchner, zwei Drittel Männer – und die älteste Dame 90.
Wie war denn so die Promille-Selbsteinschätzung?
Bei Frauen realistischer als bei Männern. Wir sind auf etliche Herren getroffen, die morgens um 9 Uhr das Biertrinken angefangen haben, nach sechs, sieben Maßn am Nachmittag noch relativ gerade gehen konnten – und ihren Pegel auf ein Promille geschätzt haben. Dabei hatten sie 2,5.
Wie macht man denn ein EKG mitten im Bierzelt? Mit Hemd ausziehen?
Nein – obwohl sich ein paar Gaudiburschen gern ausgezogen hätten. Wir haben das über die Hände gemacht. An einem Smartphone sind zwei Metallplatten montiert, die Elektroden. Das nimmt man 30 Sekunden in die Hände, dann zeichnet es auf.
Ausgewertet haben Sie aber erst danach?
Ja. Und das ist abgesehen vom lustigen Studienanlass ein wichtiges Ergebnis: dass Alkohol in steigender Konzentration mehr Störungen macht.
Was also raten Sie künftigen Wiesngängern?
Es ist wie bei fast allem im Leben: Man muss versuchen, das richtige Maß zu finden.
Und wenn man 16 Wiesntage durchtrinkt ...
... will ich mir das besser nicht vorstellen. Aber da wird der Herzrhythmus nicht das Schlimmste sein, was durcheinander kommt.
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