Eine Wunderwelt ohne Anfang und ohne Ende

Man kann die Wiesn nicht hassen - aber lieben geht gut. AZ-Chefredakteur Arno Makowsky über ein Versprechen, das 16 Tage lang erfüllt wird.
von  Arno Makowsky
Die Wiesn - Ein Genuss, meint Arno Makowsky.
Die Wiesn - Ein Genuss, meint Arno Makowsky. © Petra Schramek

Man kann die Wiesn nicht hassen - aber lieben geht gut. Arno Makowsky über ein Versprechen, das 16 Tage lang erfüllt wird.

Eines mal vorweg: Man kann die Wiesn nicht hassen. Dieses Fest ist als Phänomen viel zu gewaltig, zu überwältigend, zu großartig, um irgendwelcher Kritik überhaupt zugänglich zu sein. Die Wiesn ist tatsächlich kein Volksfest. Sie ist ein Welttheater, das gleichzeitig Paradies und Apokalypse im Repertoire hat.

Man muss sie deshalb auch nicht vor kleinlichem Gemoser in Schutz nehmen. Was stört es den Mond, wenn ihn der Hund anbellt? Im übrigen: Sich über kotzende Provinzdeppen auf der Hackerbrücke aufzuregen, ist selbst zutiefst provinziell, weil es die Beschmutzung des eigenen Großdorfes geißelt. Bitte schnell nach Hause und sich hinter den Gartenzwergen verschanzen!

Ich finde es immer wieder begeisternd, wie es sieben Millionen (!) Menschen schaffen, zwei Wochen lang ein Lebensgefühl der Toleranz und der Fröhlichkeit zu zelebrieren, und wie wenig dabei unterm Strich passiert. Gemessen an diesen Massen sind die Straftaten lächerlich wenige.

Und die Besäufnisse? Die gibt es, klar. Ich persönlich kenne allerdings niemanden, der zehn Maß trinkt und danach eine Schlägerei anfängt.

Fast alle Menschen, die auf die Wiesn gehen – also sagen wir mal: mindestens 6,9 Millionen – trinken ein oder zwei Bier, amüsieren sich im Autoscooter oder in der Achterbahn und fahren dann mit der U-Bahn nach Hause, ohne vorher die Grünanlagen zu beschmutzen.

Viele von ihnen tragen alberne Dirndl und Trachtenanzüge, deren Lächerlichkeit allerdings davon übertroffen wird, wie sich manche Traditionshüter darüber ärgern. Ich finde die Plastik-Lederhosen und Fantasie-Dirndl witzig – sie werden der Idee der Wiesn als internationaler Großbühne perfekt gerecht.

Vielleicht muss man, um die Faszination Wiesn zu begreifen, schon als Kind dort gewesen sein: Wer als Sechsjähriger dieses irrsinnige Getöse um sich herum erlebt hat, die Musik, das Lachen, das Gebrüll des Löwen über dem Bierzelt („Lööööwenbräu“), das Geschrei der Fahrgäste in der Achterbahn, diese Wunderwelt ohne Anfang und ohne Ende – der wird die Wiesn-Begeisterung nie mehr los. Und er begreift, dass eine gewisse Dosis Unvernunft zum Leben dazugehört.

Dass es auch die Kehrseite gibt – das ist kein Argument. Oder verdammt jemand die Liebe, weil es auch Schmerz und Verzweiflung gibt?

Die Wiesn ist die Gegenwelt zu unserem auf Effizienz und Leistung ausgerichteten Alltag. Sie ist ein Versprechen, das 16 Tage lang erfüllt wird.

Lesen Sie hier das Contra zum Oktoberfest:  "Wiesn: Die schlimmste Zeit des Jahres!"

 

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