"Eine U-Bahn ist kein Adventskalender": Kultiger MVG-Ansager sorgt an der Theresienwiese für Ordnung und gute Laune

München - Eigentlich ist Norbert Grünleitner (55) Frühaufsteher. Zur Wiesnzeit wirft es jedes Jahr seinen Rhythmus durcheinander. Da übernimmt er nämlich die Spätschicht als Gesamtleiter für die Wiesn-U-Bahnen. Er hat die Verantwortung, dass Tausende Oktoberfest-Besucher gut auf die Theresienwiese kommen und am Ende auch wieder nach Hause.
Grünleitner trägt eine MVG-Uniform und Warnweste. Wenn eine U-Bahn einfährt, kann er am Geräusch erkennen, ob sie voll oder leer ist. In der Hand hält er zu Schichtbeginn erstmal einen Kaffee, den tauscht er bald gegen sein Mikrofon aus. Denn Grünleitner ist der Mann hinter den lustigen Sprüchen, die zur Wiesnzeit vor allem abends durch den U-Bahnhof Theresienwiese schallen.
Oktoberfest in München: Alle drei Minuten rollt ein Zug an der Haltestelle Theresienwiese ein
"Eine U-Bahn ist kein Adventskalender, alle Türen gehen gleichzeitig auf" oder "Wer nimmer hergehen kann, kann auch zu mir kriechen, Hauptsache weitergeht's" oder "Die feschen Madel und Burschen alle zu mir in die Mitte" sind Sätze, die Grünleitner immer wieder ins Mikrofon spricht.
Alle drei Minuten rollt ein Zug an der Theresienwiese mit Oktoberfest-Besuchern ein. Bis zu 1.000 Leute pro Ladung müssen dann gesittet nach draußen oder abends wieder in die Züge hineingelotst werden. Und dabei helfen Grünleitners Sprüche. "Das machen wir nicht nur zur Gaudi. Die oberste Priorität ist die Sicherheit der Fahrgäste. Aber so macht es allen halt ein bisserl mehr Spaß!", sagt der Gesamtleiter.

U-Bahn-Sprecher Norbert Grünleitner bekommt zum 50. ein Ständchen auf dem Bahnsteig
Dass Grünleitner und die anderen Mitarbeiter – 90 Männer und Frauen in zwei Schichten an der U-Bahnstation Theresienwiese – Spaß haben, ist spürbar. Ständig wird Grünleitner gegrüßt, hier ein Ratsch, da ein Zuwinken. Freundlich schaut Grünleitner sowieso die ganze Zeit, wenn er sich an die besonders schönen Momente als U-Bahnsprecher erinnert, werden seine Gesichtszüge noch offener.
So zum Beispiel an seinen 50. Geburtstag. Grünleitern hat am 26. September Geburtstag; also immer zur Wiesnzeit. "Zum 50. wollte ich eigentlich vorher um 23.55 Uhr draußen sein. Das habe ich natürlich nicht geschafft. Die Kollegen kamen mit einem Kuchen und haben um Mitternacht angefangen 'Happy Birthday' zu singen. Und der dreiviertelte Bahnsteig ist miteingestiegen. Das war schon besonders schön", erinnert er sich. Als er davon erzählt, bekommt er Gänsehaut.
Im Mittelhäuschen an der Theresienwiese sitzt Nobert Grünleitner nur während der Wiesn
Natürlich ist bei dem Job nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. "Von A bis Z erleb' ich alles, von himmelhoch jauchzende bis zu Tode betrübt sind die Fahrgäste. Andere würden sich am liebsten direkt auf dem Bahnsteig vernaschen, andere können selber kaum mehr stehen. Die werden dann oft von einem Spezi heimgebracht, das ist doch auch was schönes", sagt Grünleitner.
Beim AZ-Besuch torkelt gerade ein älterer Herr in Tracht sehr betrunken Richtung U-Bahn. Sein Begleiter hält ihn fest, der Mann schafft es gerade so in die U-Bahn, sackt halb zusammen. Der "Spezi" fängt ihn auf und bugsiert ihn schließlich auf eine Sitzbank. "Sehen Sie, das ist doch wirklich toll, wie der sich kümmert. Sowas sag' ich dann schon auch mal durch", meint Grünleitner. Ja, seinen Job im Mittelhäuschen an der Theresienwiese macht er wirklich gerne. Eine schöne Abwechslung sei das jedes Jahr für die zwei Wochen. Sonst sitzt Grünleitner in seinem MVG-Büro.
Meistens läuft an der Haltestelle Theresienwiese alles friedlich
Meist verlaufe alles friedlich. Sollte eine der U-Bahnstationen mal zu voll sein, wird sie von oben gesperrt, damit die Gäste unten abfahren, bevor neue von oben dazukommen und alles sicher bleibt. Zu einem Gleissturz kam es in Grünleitners 25,5 Einsätzen am Wiesnbahnhof Nummer eins noch nie.
Das liegt laut dem Gesamtleiter auch daran, dass das Team wie ein gut geöltes Getriebe funktioniert, viele sind über etliche Jahre dabei. "Bei uns greift ein Zahnrad ins andere. Oft verstehen wir uns sogar wortlos", sagt der noch 55-Jährige. Egal, ob das mit der U-Bahnwache, den Sanitätern vor Ort, den Technikern oder den Türabfertigern ist.
Für die Stimme frühstückt der U-Bahn-Sprecher von der Wiesn immer ein Stück Ingwer
Grünleitner bleibt, bis alle Oktoberfestbesucher den Weg weg vom Gelände und den relevanten U-Bahnstationen gefunden haben. Halb eins bis eins ist es da meistens. "Daheim muss ich dann noch ein bisschen runterkommen", sagt er. Schließlich sei der Job ja auch aufregend. Dann schläft er bis halb elf und frühstückt, derzeit immer auch ein Stück Ingwer pur dazu. Grünleitner: "Für die Stimme, pur. Da hat mir noch nie was gefehlt".
So schön die Wiesn ist, wenn sie in rund einer Woche endet, ist Grünleitner auch froh, dann kann er wieder zu seinem normalen Schlafrhythmus zurückkehren. Derweil sorgt er noch dafür, dass die Wiesn-Besucher sicher, aber eben auch mit "ein bisserl Gaudi" gut nach Hause kommen.