Christian Ude über Oktoberfest-Entscheidung: "Das wird nicht das Wiesn-Gefühl, das wir lieben"

Der SPD-Politiker Christian Ude war von 1993 bis 2014 Oberbürgermeister der Stadt. 2020 und 2021 zapfte er bei der Wirtshaus-Wiesn an. Er ist jahrzehntelang in der Kutsche auf die Wiesn gefahren, hat angezapft und den jeweils aktuellen Ministerpräsidenten die erste Maß überreicht. Kurz nach der Entscheidung, eine Wiesn 2022 zu planen, erreicht die AZ Alt-OB Christian Ude am Telefon.
AZ: Herr Ude, OB Dieter Reiter sah nicht zufrieden aus, verkündete aber eine Wiesn ohne Beschränkungen. Nachvollziehbar?
CHRISTIAN UDE: Ich halte das jetzt für eine sehr kluge Entscheidung.
Aber?
Aber wie die Pandemie und die Rechtslage im Herbst sind, das ist überhaupt noch nicht klar. Auf der aktuellen Rechtsgrundlage hätte die Stadt kein Fest verbieten können. Und dann ist es auch nicht durchzuhalten, die Wiesn abzusagen. Die Unsicherheit, die jetzt weiter besteht, liegt nicht am Rathaus.
Oktoberfest 2022: Wer zahlt bei einer kurzfristigen Absage?
Dieter Reiter will sicherstellen, dass für eine etwaige kurzfristige Absage nicht der Münchner Steuerzahler aufkommt.
Auch das halte ich für sehr verantwortungsvoll, den Steuerzahler von diesem Wagnis frei zu halten. Beschicker, die das Risiko nicht tragen wollen, sollten sich jetzt nicht darauf einlassen.
Freuen Sie sich auf die Wiesn?
Ich kann mir vorstellen, dass letztlich eine sehr reduzierte Wiesn stattfindet, die aber mit dem Wiesn-Gefühl, das viele Münchner lieben, nichts zu tun hat. Weil es im Herbst wieder neue Beschränkungen geben wird. Ich glaube, dass viele Gäste fernbleiben werden. Wer aber hingeht, entscheidet sich bewusst dafür.
Ude will nicht auf die Wiesn gehen
Werden Sie selbst im Festzelt feiern?
Vermutlich gehe ich nicht. Das würde meine Erinnerungen trüben. Eher gehe ich wieder zur Wirtshaus-Wiesn, wo es strenge Hygieneregeln gibt.
Nicht denkbar, dass sich Leute in den Wiesn-Zelten auch anders verhalten als früher?
Die Besucher, gerade die jüngeren, wollen unbedingt da rein, wo es eh schon überfüllt ist. Die Jugend sucht die überfüllten Zelte.
Dieter Reiter klingt sehr irritiert davon, dass sich der Ministerpräsident in diesen Wochen mit Volksfest-Besuchen schmückt, sich ohne Maske und mit Maßkrügen fotografieren lässt.
Markus Söder hat den Scharfmacher gespielt, den Schwarzen Sheriff, der gegen das Virus kämpft. Nun hält er es offenbar für populär, sich ohne Maske auf Volksfesten zu drängeln. Ich finde das sehr befremdlich, peinlich.
War das am Freitag gar nicht das Ende der Debatte, ob es eine Wiesn gibt, eher der Anfang?
Das wird noch sehr, sehr lange in der Schwebe bleiben.
Ihr Tipp?
Eine endgültige Entscheidung fällt in allerletzter Minute. Und nicht in München. Sondern in Berlin.