Aktivist zeigt in der AZ: So rassistisch ist das Oktoberfest in München

München - Die kurze Begegnung am Mittwochmittag mit einem Budenbetreiber steht symbolisch für die ganze Debatte rund um die Wiesn und Rassismus. Der Mann, der lieber nicht mit der AZ reden möchte, reagiert auf eine Frage zu den Bildern auf seiner Bude mit Unverständnis und trotziger Abwehr.
Sie zeigen stereotype Darstellungen von "Ureinwohnern im Dschungel", mit Kopfschmuck und Pfeil und Bogen bewehrt. Bilder, die 2023 mindestens aus der Zeit gefallen, durchaus auch als rassistisch betrachtet werden können.
Beim Thema Rassismus schalten viele in den Abwehrmodus, berichtet Aktivist Achim "Waseem" Seger
"Es ist leider der Alltag von Menschen, die Rassismus erleben, dass erstmal Abwehrverhalten da ist", sagt dazu Achim "Waseem" Seger (38). Er ist Münchner mit Wurzeln im Allgäu und Ägypten, Rapper, Leiter der Fachstelle Jugendarbeit in der Migrationsgesellschaft beim Bezirksjugendring Oberbayern, Direktkandidat für Die Linke bei der Landtagswahl, Chef der Partei "Die Urbane" in Bayern – und vor allem ist er: Aktivist.
Mit ihm spaziert die AZ am Mittwoch über die Wiesn, um über das zu reden, worüber die meisten hier eben nicht gerne reden. Er sehe zwar die Bereitschaft, zum Beispiel bei der Zweiten Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne), bei der städtischen Fachstelle für Demokratie und auch bei einzelnen Fahrgeschäftsbetreibern.
Noch immer zeigen viele Wiesn-Fahrgeschäfte stereotype Motive
"Aber auf der großen strukturellen Ebene nicht. Der Wiesn-Chef (Clemens Baumgärtner, CSU, d. Red.) hat nicht gerade große Bereitschaft gezeigt, das Thema proaktiv anzugehen", so Seger. Es passiere immer erst etwas auf Hinweise aus der Community. "Wir würden uns wünschen, dass das bei einer so großen Veranstaltung selbstverständlich dazugehört."
Immer wieder bleiben wir beim Spaziergang vor einem Fahrgeschäft oder einer Bude stehen, die Seger ins Auge fallen. Viele sind es auf der riesigen Wiesn tatsächlich auf den ersten Blick nicht.

Aber sie sind trotzdem überall verstreut und sie alle vereint eins: Sie zeigen immer stereotype Dschungel-Motive. Dickicht, wilde Tiere, dazu die vermeintlich "wilden" schwarzen Ureinwohner. "Wenn wir solche Bilder sehen und daneben schwarze Menschen im Anzug oder in Lederhosen, würde das einen anderen Kontext geben", sagt Seger. Die gibt es aber nicht. "Darum würde ich das schon als rassistisch einstufen".
Rassismus auf dem Oktoberfest: Wenn der Alkohol fließt, fallen die Hemmungen
Seger bedauert, dass das Gespräch über Rassismus so schwierig ist, dass immer gleich das Gefühl eines persönlichen Angriffs im Raum steht. "Eigentlich wäre es doch auch für die Standbetreiber gut, wenn mehr Menschen zu ihrem Stand kommen würden, wenn auch schwarze Menschen sich da wohl fühlen würden."

Fühlt er sich unwohl auf dem Oktoberfest? Seger selber sagt, er gehe nicht auf die Wiesn, um Alkohol zu trinken: "Ich trinke keinen. Aber wenn zum Beispiel im Herzkasperlzelt auf der Oidn Wiesn Bands spielen, die ich kenne, oder wenn Leute mich einladen, gehe ich gerne."
Als nüchterne Person sei man auf der Wiesn sowieso immer ein bisschen "alert", und: "Als PoC ("Person of Color", d. Red.) rechnet man schon damit, dass am Biertisch rassistische Kommentare und Äußerungen fallen". Das sei ihm auch schon passiert. "Wenn Alkohol konsumiert wird, kommt schneller raus, was die Leute denken", sagt Seger. Der Rechtsruck und Themen wie die antisemitischen Flugblätter in Hubert Aiwangers Schulranzen würden das noch verstärken.
Aktivist "Waseem" Seger wünscht sich, dass die Stadt München mehr Engagement zeigen würde
Es gebe auf der Wiesn ein sehr festes Bild von Kultur und Tradition, es sei klar, wer hier Gastgeber sei und wie das zu laufen habe. "Und da gibt es halt innerhalb der Struktur keine nicht-weiße Perspektive auf das Oktoberfest."
Was wäre also zu tun, dass die Wiesn noch weniger rassistisch wird? Für Seger zumindest ist klar: "Es wäre ein Vorzeigeprojekt, wenn die Stadt eine barrierefreie, diskriminierungsfreie Wiesn ordentlich vorbereitet und mit entsprechendem Engagement angehen würde." Zum Beispiel, indem man im Vorfeld Rassismusbetroffene mit an den Tisch holt und in die Organisation mit einbindet. "Dann würden sogar noch mehr Leute gerne hierherkommen. Und es hätte Strahlkraft auf den Rest der Gesellschaft, sogar weltweit."