Ärzte zum Corona-Risiko auf dem Oktoberfest: "Kein Grund für Infektionshysterie"

München - Sehr viele Münchner können es kaum erwarten – nur noch acht Tage, dann heißt's endlich: Auf geht's zur Wiesn! Doch es gibt auch die anderen: Diejenigen, die vor der Pandemie gerne gingen, heuer aber zögern. Manch einer sucht im Freundeskreis derzeit nach Ersatz für einen reservierten Platz. Zweieinhalb Jahre hat man es geschafft, sich nicht anzustecken – und nun ins dampfige Bierzelt?
Nach dem Dachauer Volksfest und dem Gäubodenfest in Straubing sind die Infektionszahlen ums Zwei- bis Dreifache gestiegen. Was blüht München? Wird unser Gesundheitssystem fertig werden mit neuen Rekordzahlen? Und: Was kommt auf Firmen zu? Müssen kleinere Betriebe nach der Wiesn vorübergehend zusperren, weil sich zu viele Mitarbeiter angesteckt haben?
Die AZ hat zwei Klinikärzte befragt: Professor Markus Wörnle, Internist und ärztlicher Leiter der Notaufnahme im LMU-Klinikum Innenstadt und Dr. Christoph Spinner, Infektiologe und Pandemiebeauftragter des TU-Klinikums rechts der Isar. Hier sind ihre Antworten auf unsere Fragen:
Wie viele werden sich auf der Wiesn anstecken? Ist München danach "durchseucht"?
Professor Markus Wörnle sagt: "Natürlich werden die Zahlen auch bei uns steigen. Genaue Prognosen sind schwierig."
Dr. Christoph Spinner vom Rechts der Isar bestätigt das, sagt aber: "Dennoch gibt es aus meiner Sicht keinen Grund für eine 'Infektionshysterie'. Wir müssen lernen, mit Covid-19 zu leben."

Wie hoch ist das Risiko, sich auf dem Oktoberfest mit Corona anzustecken?
"Atemwegserreger verbreiten sich durch die Luft", erklärt Christoph Spinner: "Daher hatten Viren auf dem Oktoberfest mit vielen Menschen in mäßig gut belüfteten Zelten schon immer leichtes Spiel. Für den 'Wiesnkatarrh' und Covid-19 sind das natürlich ideale Übertragungsbedingungen."
Ist eine Erstimpfung oder ein Booster jetzt noch sinnvoll?
"Besser jetzt als nie", sagt Internist Wörnle. "Ja, unbedingt!", sagt Infektiologe Spinner. "Jeden Tag nach einer Impfung nimmt der Schutz vor schwerem Verlauf aber auch vor Infektionen zu. Sieben bis 14 Tage nach der jüngsten Impfung erreicht sie sehr gute Wirksamkeit."
Geht der "alte" Impfstoff?
"Jede Impfung schützt", betont Christoph Spinner. "Die angepassten Omikron-Impfstoffe versprechen etwas höhere Spiegel neutralisierender, also schützender Antikörper." Beide Ärzte sind sich einig darüber, dass sich erst noch zeigen muss, wie wirksam der neue Wirkstoff ist.
Wann raten Sie von einem Oktoberfestbesuch ab?
Spinner: "Menschen mit relevanter Immunschwäche und hohem Risiko für schweres Covid-19 würde ich eher abraten. Auch deshalb, weil Impfungen bei Immunschwäche nicht vergleichbar gut schützen." Prof. Wörnle rät gefährdeten Personen: "Gehen Sie doch lieber untertags im Freien. Man kann sich in den Biergarten setzen, statt sich ins Getümmel im Zelt zu stürzen. Jeder hat es selbst in der Hand."

Mit der ganzen Abteilung rausgehen – eine gute Idee?
"Also wir machen das nicht", sagt Prof. Wörnle. "Aber man kann die Leute nicht davon abhalten, in großen Gruppen zu gehen. Das muss jeder selber entscheiden. Chefs sollten einkalkulieren, dass die Zahlen steigen."
Maske ja oder nein?
"Maske tragen ist grundsätzlich immer gut. Sie ist billig und effektiv", betont Wörnle. OP-Masken würden gut schützen, FFP2-Masken seien noch sicherer. Oberarzt Spinner findet sie in diesem Fall wenig sinnvoll: "Die Maske schützt nur, wenn sie getragen wird – spätestens beim Essen und Trinken im Bierzelt müsste sie abgenommen werden. Wer sich für einen Besuch auf dem Oktoberfest (noch) nicht bereit fühlt, kann ja pausieren."
Sollte man sich vor dem Besuch testen?
"Das wäre auf jeden Fall verantwortungsvoll", sagt Wörnle. Spinner weist darauf hin: "Ein negativer Test heißt nicht, dass keine Infektion vorliegt. Wer Symptome hat, sollte grundsätzlich zu Hause bleiben, unabhängig vom Testergebnis."
Corona und Wiesn-Grippe – fast das Gleiche. Stimmt das?
"Für junge, gesunde Menschen, ist es vergleichbar, für sie ist Corona meist nicht schlimmer als eine Wiesngrippe", sagt Markus Wörnle. Spinner ergänzt: "Sofern man durch eine vollständige Impfung geschützt ist, ist die Wahrscheinlichkeit schwerer Verläufe sehr gering." Aber beide Ärzte betonen: Man sollte sich nicht absichtlich anstecken.
Kann man beides kriegen? Corona und die Wiesn-Grippe?
"Ja, natürlich", sagt Spinner. "Auch das Risiko einer echten Grippe ist erhöht. Gerade für Risikopersonen ist deshalb vor der Wiesn nicht nur die Corona-, sondern auch die Influenza-Impfung sinnvoll."
Die LMU-Klinik Innenstadt steht quasi neben der Festwiese. Graust Ihnen vor dem Oktoberfest, Professor Wörnle?
"Nein", antwortet er. "Ich bin relativ entspannt. Ich rechne nicht damit, dass es zu einer Überlastung der Corona-Stationen kommen wird. Zudem hat es noch nie ein so gut vorbereitetes Oktoberfest gegeben. Früher haben wir als große Klinik neben der Festwiese immer eine große Zahl an Betrunkenen versorgen müssen. Dieses Mal bleiben die Sanitätszelte rund um die Uhr geöffnet. Hier wird man nun auch After-Wiesn-Patienten medizinisch versorgen können. Das ist alles perfekt organisiert. Wir sind extrem gut vorbereitet."
Auf Dauer gesehen: Lässt sich vermeiden, dass man sich mit Corona ansteckt?
"Vielleicht kann der eine oder andere dauerhaft entkommen. Aber es wird schwierig", sagt Markus Wörnle. Christoph Spinner meint: "Eine Ansteckung sicher vermeiden, kann man nicht. SARS-CoV-2 wird als Atemwegserreger bleiben."
Finden Sie die verpflichtende Quarantäne noch sinnvoll, auch wenn man keine Symptome hat?
Prof. Wörnle sagt: "Ich denke, dass es an der Zeit ist, Corona wie andere Infektionserkrankungen auch zu behandeln." Dr. Spinner sagt: "Menschen mit Symptomen einer Atemwegsinfektion sollten sich bis zur vollständigen Genesung immer aus der Öffentlichkeit fernhalten, schließlich besteht die Möglichkeit der Übertragung. Das war auch vor Corona so! Studien zeigen, dass die Infektiosität in den ersten fünf Tagen nach Beginn am höchsten ist und nach zehn Tagen verschwindend gering wird."