Oktoberfest: 500 Euro Schmutz-Prämie?

Die Bürgerversammlung des Stadtbezirks fordert in einer Initiative Entschädigungen für die hohen Reinigungs- und Reparaturkosten.
von  Julia Lenders

MÜNCHEN Verreisen oder ärgern und ekeln. Für viele Anwohner sind das die Alternativen zur Wiesn-Zeit. Wild Bieseln gehört für zahlreiche Gäste genauso zum Oktoberfest wie die „Wilde Maus”. Manch benachbarter Innenhof verwandelt sich für mehr als zwei Wochen zum Freiluft-Klo. Den Anwohner stinkt’s.

Bei einer Bürgerversammlung im Bezirk Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt haben sie einen Vorstoß gewagt: Sie fordern eine Entschädigung für zusätzliche Reparatur- und Reinigungskosten während er Wiesn. Bis zu 500 Euro soll die Stadt erstatten – „auf Antrag und gegen Nachweis”, heißt es in der mehrheitlich beschlossenen Initiative.

Wobei das mit dem Nachweis aus ihrer Sicht kein Problem sein dürfte. „Die Verwüstungen und unappetitlichen Hinterlassenschaften durch Oktoberfestbesucher in Hauseingängen und Gärten rund um die Theresienwiese sind gut dokumentiert”, steht in dem Antrag. Am morgigen Dienstag muss der zuständige Stadtratsausschuss über die Schmutz-Prämie entscheiden.

Inge Bravo lebt seit 1979 am Kaiser-Ludwig-Platz. Sie hat die Initiative auf den Weg gebracht. „Jemand, der hier nicht wohnt, kann sich das gar nicht vorstellen”, sagt sie über den Wiesn-Wahnsinn. Auch ihr Nachbar, Mathe-Professor Martin Ruckert, findet: „Die Stadt ist als Veranstalter in der Pflicht!”

Die sieht das anders. Wiesn-Referent Dieter Reiter schlägt dem Stadtrat in seiner Beschlussvorlage vor, die Forderung abzulehnen. Hauptargument: Die Stadt sei nicht Verursacher der Beschädigungen und Verschmutzungen. Es werde auch schon viel getan, um „negative Begleiterscheinungen” abzumildern.

Bezirksausschuss-Chef Alexander Miklosy versteht diesen Standpunkt, findet aber: „Das Ansinnen der Anwohner ist berechtigt.” Er habe gehofft, dass die Verwaltung Lösungen anbietet. Jetzt will der Bezirksausschuss nach Plan B suchen. Erster Schritt: ein Brief an die Wiesn-Wirte mit der Bitte, den Anliegern entgegenzukommen.

 


 

Der Garten ist ein Klo, der Hof ein Hotel – was eine Anwohnerin zur Wiesn-Zeit erlebt

AZ: Sie sind Wiesn-Anwohnerin. Da braucht man starke Nerven, oder?

 

INGE BRAVO: Definitiv! Ich wohne seit 1979 am Kaiser-Ludwig-Platz. Oft meinen die Leute: Wenn man in die Nähe der Wiesn zieht, weiß man, auf was man sich einlässt. Aber das stimmt nicht. Früher war das alles nicht so heftig.

 

Was hat verändert?

 

Zum Beispiel dieses Vorglühen – das gab es früher nicht. Dabei haben die Leute, die sich vorher zuschütten, doch gar nichts mehr vom Oktoberfest. Es ist alles hemmungsloser geworden.

 

Fahren Sie während der Wiesn weg?

 

Allein in unserem Haus sind in dieser Zeit 60 bis 70 Prozent der Bewohner im Urlaub. Vor unserem Haus haben sie jetzt auch Taxis hingemacht. Sie können sich nicht vorstellen, was da für ein Lärm ist!

 

Ihr Haus hat keinen Zaun – das verstehen manche als Einladung, oder?

 

Die liegen zu hunderten bei uns auf der Wiese. Zehn bis fünfzehn Mann stehen gleichzeitig im Hof an der Mauer und pinkeln. Da liegen dann auch 30 bis 40 Häufchen mit Taschentüchern drauf. Und vor unserem Schlafzimmerfenster gibt es oft drei bis vier Leute, die sich übergeben. Der Hausmeister braucht eine Stunde am Tag, um das alles sauber zu machen. Zum Teil legen sich die Leute auch mit dem Schlafsack in den Hof und übernachten da.

 

Sie haben in der Bürgerversammlung eine Entschädigung für Anwohner gefordert. Warum soll die Stadt bezahlen?

 

Die Stadt ist Veranstalter der Wiesn – und profitiert davon. Deshalb ist sie auch in der Pflicht. Wir haben nichts gegen das Oktoberfest. Aber leider werden die Anwohner von der Stadt überhaupt nicht geschützt. Immer wenn wir etwas vorschlagen, wird es abgelehnt. Das ärgert uns.

 

Gehen Sie noch zur Wiesn?

 

Ich war seit sechs Jahren nicht mehr, weil’s einfach hoffnungslos überfüllt ist. Früher war ich jedes Jahr dort, da war’s auch noch angenehmer. Aber jetzt ist dort bloß noch Zirkus und Radau.

 

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